Liebe Frau Jansen
Bis wenige Tage vor Ihrer Wahl zur Juso-Präsidentin habe ich Ihren Namen nicht gekannt. Das war bei allen Juso-Spitzen vor Ihnen auch so. Erst das Amt verleiht ja der Person die nachrichtenwertige Relevanz, dass massenmedial mit dem nötigen Gewicht über sie berichtet werden kann.
Dann habe ich gewartet. Auf die Auftakt-Provokation, den rituellen Tabu-Bruch, der so sicher kommt, wie das Amen in der Kirche und den neuen Kopf der Juso auf die Front- und Titelseiten spülen soll. Freudig habe ich darauf geharrt, was Ihnen wohl nach Wermuths Joint, Roths rassistischen Plakaten und Funiciellos BH-Verbrennung wohl noch in den Sinn käme, um die Arena des politischen Aufmerksamkeitssports ein paar Tage zu dominieren.
Und dann dieser geniale Schachzug: Sie machen sich als junge SP-Feministin gar nicht erst selbst die Hände dreckig, sondern lassen das die alten weissen Establishment-Männer erledigen! SRF-Ombudsmann Roger Blum rügt auf Ihre Beschwerde hin SRF-Satiriker Michael Elsener, weil dieser sie aus dramaturgischen Gründen in seiner Sendung als «heiss» bezeichnet hatte!
Ein genialer Schachzug, eine Meisterleistung der Polarisierung. Sofort debattierten die Wird-man-wohl-noch-sagen-Dürfer gegen die politisch Korrekten und man kam natürlich zu keiner Einigung, weshalb die Frontseiten und die Sozialen Medien drei Tage fast überzukochen drohten ob der Causa «Miss Juso». Sie hatten Ihr Ziel erreicht und das auch noch äusserst elegant.
Ich habe deshalb sehr hohe Erwartungen in Sie und Ihre strategischen Fähigkeiten gesetzt.
Dann kam der Wahlherbst und der Durchmarsch der Grünen war absehbar. Und natürlich sind die SP-Wähler dann auch scharenweise zu den Grünen übergelaufen. Seither machen Sie keine so gute Falle mehr. Die Grünen anpfeifen, weil sie überlegen, einen Bundesratssitz haben zu wollen? Einen gewählten grünen Ständerat «asozialer» Politik zu bezichtigen? Das wirkt nun nicht mehr sehr strategisch.
Das weckt in mir ein bisschen den Verdacht, dass es Sie persönlich sehr gekränkt hat, dass die Grünen diese Wahlen so haushoch und auf Kosten der SP gewonnen hatten. Ich kann mich natürlich täuschen. Aber falls es so ist, dann sollten Sie sich hüten, diese Kränkung ihr Handeln bestimmen zu lassen. Das Schlechtmachen des Siegers wird einem persönlich als Unsouveränität ausgelegt und hilft auch dem eigenen Team nicht, wieder auf die Füsse zu kommen.
Wenn Sie langfristig und wirklich erfolgreich sein wollen, dann halten Sie es mit Karl Lauterbach, der sein vorzeitiges Ausscheiden nach hartem Kampf um den SPD-Vorsitz mit Fassung trägt. Zuvor hatte er sich entschieden, die Provokationen des mächtigen Juso-Chefs Kevin Kühnert an seine Adresse unentgegnet zu lassen. Es sei der häufigste Fehler in der Politik, «dass man aus einem Unrechtsempfinden, aus einer Kränkung heraus emotional handelt und Fehler macht.»
Ein solcher ist es auch, nach verlorenen Wahlen auf die politische Gegnerschaft einzudreschen. Das führt nur zur kontinuierlichen Profilierung der eigenen Partei als Wahlverliererin und bringt auch keine Wechselwählenden zurück.
Machen Sie es lieber wie Ihr deutsches Pendant Kevin Kühnert. Treiben Sie mit Ihrer Organisation die eigene Partei vor sich her, kümmern Sie sich um Ihren Einfluss auf die Nachfolge des Gesamt-Präsidiums. Auf dass die SP ein wenig aus der Behäbigkeit und wieder zu einem klareren Profil finde. Das scheint mir den Zielen Ihres Engagements dienlicher.
Kühnerts Provokation übrigens bestand darin, die Kandidatur von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjahns zu unterstützen, der früher gerne CDs aus Schweizer Banken gekauft hat. Die beiden haben es jetzt auch in die Stichwahl um den SPD-Vorsitz geschafft. Und wenn sie gewinnen, dann wird Kühnert Generalsekretär. Wetten?
Liebe Grüsse
Maurice Thiriet