Walter Thurnherr ist der Bundeskanzler der Schweiz. Bild: keystone
Der Bundesrat weigert sich, beim Covid-19-Gesetz mitzureden – obwohl es der Nationalrat von ihm verlangt. Darum sitzt heute wieder der Bundeskanzler dort, wo eigentlich jemand der Regierung sitzen sollte.
Das Covid-19-Gesetz ist die wohl umstrittenste Vorlage der Herbstsession im Parlament. Der Bundesrat will sich damit die Kompetenz geben, in einigen Bereichen weiterhin das Notrechtsregime durchsetzen zu können.
Ein heikles Thema, das bereits im National- und Ständerat zu hitzigen Voten geführt hat. Auf dem Bundesratsplatz in den Ratssälen sass aber jeweils nicht ein Mitglied der Regierung – sondern Bundeskanzler Walter Thurnherr. Das passte vergangene Woche nicht allen: Der Nationalrat erhob Einspruch und verlangte auf Antrag von SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi, dass doch bitte ein Bundesrat oder eine Bundesrätin in der Debatte dabei sein soll.
«Es ist wahrscheinlich das wichtigste Gesetz, das wir in dieser Legislatur beraten. Es soll auch ausdrücklich keine Kritik an Herrn Bundeskanzler Thurnherr sein. Aber es ist eine institutionelle Frage, ob hier ein Bundesrat oder der Bundeskanzler anwesend ist», begründete Aeschi seinen Antrag.
Nationalratspräsidentin Isabelle Moret hinter ganz vielen Plexiglasscheiben. Bild: keystone
Heute Dienstag wird die Diskussion im Nationalrat fortgesetzt – doch ohne Bundesrat. Die Regierung habe den Wunsch des Nationalrats zur Kenntnis genommen und beschlossen, ihm nicht nachzukommen, sagte die Nationalratspräsidentin Isabelle Moret gestern spät am Abend.
Moret begründete als Hausherrin des Nationalrats die «Kä luscht»-Haltung des Bundesrat damit, dass die Regierung der Bundeskanzlei gewisse Geschäfte übertragen könne. Und das habe er beim Covid-19-Gesetz getan. «Ich werde daher den Bundeskanzler einladen, um über das Covid-19-Gesetz zu diskutieren», so Moret gestern.
Einen Satz danach – so verrät es das Wortprotokoll des Nationalrats – gab es Applaus, weil Moret verspätet den 65. Geburtstag von SP-Nationlrätin Laurence Fehlmann Rielle verkündete. Die Feierstimmung wollte offenbar niemand mit Verärgerung über den bundesrätlichen Affront stören.
Hinweis: In einer ersten Version hiess es, dass der Bundesrat Geschäfte dem Bundeskanzler übertragen kann. Korrekter ist, dass Geschäfte der Bundeskanzlei übertragen werden können und diese dann vom Bundeskanzler oder der Bundeskanzlerin vertreten werden. Der Satz wurde präzisiert.