Bain & Company ist spezialisiert auf Unternehmensberatung, hat den Hauptsitz in Boston und betreibt auch ein Büro in Zürich. Bis zu acht Berater gingen während Wochen am Leutschenbach ein und aus und analysierten die Arbeitsprozesse beim Schweizer Fernsehen.
SRF-Chefin Nathalie Wappler wird am kommenden 8. oder 9. Oktober Änderungen, Einsparungen und Entlassungen bekannt geben. Unter den Mitarbeitern von Schweizer Radio und Fernsehen ist der Unmut beträchtlich. Einige befürchten, dass der eigene Unternehmensbereich weggespart werden könnte. Andere kritisieren, dass mit der Verlagerung von Sendungen und Beiträgen auf digitale Kanäle immer nur über Strukturen und kaum über Inhalte geredet werde.
Wappler treibt das Projekt «2024» voran. Ziel ist es, ein junges Publikum zu erreichen, das sich abends nicht mehr vor der Flimmerkiste niederlässt. Die Fernsehdirektorin engagierte Bain & Company, um ihren grossen Plan umzusetzen. Die Berater hätten «in einer frühen Phase den Transformationsprozess im Projekt ‹SRF 2024› methodisch und beratend unterstützt», sagt SRF-Sprecherin Andrea Wenger. Das Mandat sei seit Juni beendet.
Wappler gab im August bereits die Absetzung der Sendungen «Eco», «Sportaktuell» und «Viva Volksmusik» bekannt. Gleichzeitig kündigte sie an, SRF werde vermehrt mit Angeboten auf YouTube und Instagram präsent sein, mit Comedy-Beiträgen in den sozialen Medien, mit einer digitalen Wissensplattform, Podcasts, Livestreams von Sportveranstaltungen und anderem mehr.
Wer Wappler wohlgesinnt ist, weist darauf hin, dass es für sie gar keinen anderen Weg gebe, als auf «Digital first» zu setzen. Die Zuschauerzahlen im herkömmlichen, linearen Fernsehen sinken; vor allem das junge Publikum wendet sich ab. Das Westschweizer Fernsehen ist bei der Digitalisierung bereits weiter als SRF.
Und immerhin habe Wappler angekündigt, dass sie mehr Mitarbeiter für investigativen Journalismus einsetzen wolle. Das stärke das Profil des öffentlichen Senders. Die Kritiker halten dagegen, es sei keineswegs klar, ob sich die SRG von ihrer Konzession her so stark digital ausrichten dürfe, wie Wappler das nun tut.
«Chaos im Newsroom»? Der Journalist Francesco Benini bastelt sich einen Artikel - und lässt weg, was nicht passt. Hier deshalb ein paar Ergänzungen dazu @SRF @CH_Wochenende https://t.co/gpHhEF3MtG
— Tristan Brenn (@brenntr) September 19, 2020
Sie verfolgt offenbar die Strategie, politische Behörden und private Konkurrenten vor vollendete Tatsachen zu stellen. Mitarbeiter am Leutschenbach bemängeln ausserdem, es sei für einen Service-Public-Sender sehr schlecht, wenn er ein Wirtschaftsmagazin wie «Eco» streiche und vage die Verbreitung von Wirtschaftsinformationen auf digitalen Kanälen in Aussicht stelle. «Wappler soll endlich sagen, wo sie mit SRF inhaltlich hin will», fordert ein Redaktor.
Die Chefin setzte die Talkshow «Schawinski» ab und lancierte als Ersatz «Gredig direkt». Eine Sendung, die sich überlebt hatte, wurde mit einer Sendung ersetzt, die belanglos ist. Wen soll das überzeugen?
Erschwert wird der Reformkurs der Chefin durch zwei Umstände: Die finanziellen Mittel werden knapper. Weil die Werbeeinnahmen sinken, muss SRF Einsparungen vornehmen. Im Oktober wird Wappler einen Personalabbau verkünden.
Zweitens funktioniert der Newsroom, in dem die Arbeit der Fernsehjournalisten koordiniert wird, miserabel. Eine technische Panne folgt der anderen. Und organisatorisch sieht es nicht besser aus: zu viele hierarchische Stufen, zu komplizierte Abläufe, zu viele unergiebige Sitzungen.
Die Inlandredaktion protestiert, Chefredaktor Tristan Brenn verspricht Besserung. Die Missstände sind so gravierend, dass sich die Journalisten inzwischen gegenseitig am Arbeiten hindern. Als die Credit Suisse 2019 mit Machtkämpfen im obersten Management international für Schlagzeilen sorgte, verschlief SRF die Story weitgehend.
An die Medienkonferenz des CS-Präsidenten bequemte sich kein Kameramann des öffentlichen Rundfunks. SRF übernahm die Bilder dann von Keystone-SDA und von der CS. Wappler muss dieses Problem, das ihr der Vorgänger Rudolf Matter eingebrockt hat, schnell in den Griff bekommen.
Davon abgesehen, wird sie das traditionelle Fernsehprogramm weiter ausdünnen. Ein Fernsehjournalist spottet, im Oktober werde Wappler die «Tagesschau» und «10 vor 10» liquidieren. SRF verbreite seine Informationen künftig in einminütigen Filmchen auf Tiktok.
Will dieses Publikum überhaupt erreicht werden?
Denn ich wage es zu behaupten, dass junge Leute vor 20 Jahren auch andere Beschäftigungen am Freitagabend hatten.
Und junge Leute über Instagram für Politik, Wirtschaft zu erreichen funktioniert nicht. Das sage ich als 17 Jähriger.