«Weltverbesserer gesucht ...» – mit diesen Worten wirbt die Schweizerische Textilfachschule (STF) für ihr neustes Weiterbildungsangebot über nachhaltige Textilproduktion. Während es faire und ökologisch produzierte Lebensmitttel schon längst aufs politische Parkett geschafft haben, harzt es bei der Textilproduktion. Weshalb, erklärte uns Holger Neubauer, Fachbereichsleiter Textiles an der STF.
Herr Neubauer, nach Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch ging ein Aufschrei durch die Bevölkerung. Aber auch drei Jahre später kann man in den Läden T-Shirts für fünf Franken kaufen.
Holger Neubauer: Wenn der Preis sichtbar ist, finden Dinge im Hirn statt, die rational nicht nachvollziehbar sind. Man kauft dann einfach das Schnäppchen. Wenn aber ein Kaffee mehr als ein T-Shirt kostet, ist das einfach irrsinnig. Kennt man die Prozessstufen, die ein solches Kleidungsstück durchläuft, merkt man ziemlich schnell, dass fünf Franken alles andere als gerechtfertigt sind. Hier muss aber auch der Konsument in die Verantwortung genommen werden. Wir sollten uns nicht nur Gedanken über fair produzierte Lebensmittel, sondern auch über unsere Kleider machen. Schliesslich tragen wir die täglich auf unserer Haut.
Das ist einfacher gesagt als getan. Wenn ich beim Bio-Bauern einkaufen gehe, sehe ich, wo die Tomaten gewachsen sind. Gehe ich in einen grossen Laden Kleider kaufen, habe ich keine Ahnung.
Das ist ein grosses Problem. Die Verarbeitungsprozesse in der Massenproduktion sind so weit weg und meist nicht nachvollziehbar. Hier sind auch die Unternehmen und vor allem deren Marketingabteilung gefragt. Sie müssen dem Konsumenten die nötigen Informationen zur Verfügung stellen – wenn sie diese denn haben.
Hinkt die Textilproduktion in Sachen Nachhaltigkeit hinterher?
Keineswegs. Nachhaltigkeit ist auch in der Textilbranche in aller Munde. Viele grosse, international agierende Firmen und Produzenten investieren viel, um nachhaltiger zu werden. In den gleichen Topf wie die Lebensmittelbranche kann man die Textilproduktion nicht werfen.
Warum nicht?
Die meisten Lebensmittel, die wir konsumieren, kommen aus der Schweiz, aus Deutschland oder aus Mitteleuropa. Reden wir über unsere Kleider, wird es global. Die Wertschöpfungskette ist eine ganz andere. Häufig werden im textilen Handel Produkte eingesetzt, von denen man weder weiss, woher sie kommen, noch wie sie entstanden sind. Das ist bei den Bekleidungstextilien, die in der Schweiz hergestellt werden nicht der Fall, da haben wir die Transparenz.
Ist hier auch die Politik gefordert?
Von der Politik wurde schon viel angestossen in den letzten Jahren. Informationsplattformen wie «labelinfo.ch» geben dem Konsumenten die Möglichkeit, sich genauer über die verschiedenen Labels zu informieren. Aber auch da verliert man als Konsument schnell den Überblick ob der schieren Anzahl an verschiedenen Labels.
Welche Labels können Sie empfehlen?
«Oeko-Tex» gehört in der Textilindustrie unterdessen zum Standard. Dieses Label schaut auf die Einhaltung von Grenzwerten verschiedener giftiger Substanzen und je nach Labeltyp auch auf die Produktion selbst. Aber auch Labels wie «bluesign», «Fairtrade Max Havelaar» und «Coop Naturaline» haben einen guten Ruf, da gewisse Produktionsstufen für den Kunden gut nachvollziehbar sind.
In der Schweiz produzierte Kleider kann man zwar heute schon kaufen. Oft aber zu einem sehr hohen Preis. Und häufig entsprechen diese Kleider dann nicht der Vorstellung des modeaffinen Publikums.
Im Bereich Fast-Fashion braucht es sicher noch einige Zeit und Anstrengungen, bis sich nachhaltige Mode durchsetzen kann. Zwar arbeiten Marken wie Zara und H&M bereits mit Nachhaltigkeitslabeln zusammen, aber auch da wird man als Kunde nur teilweise über die einzelnen Produktionsschritte und -Bedingungen informiert. Gäbe es einen Zara, der nachhaltig und bezahlbar wäre, wäre das eine Win-Win-Situation. Dafür braucht es aber noch einige Zeit.
Ein weiteres Problem, das der Textilbranche anhaftet, ist der Mikroplastik. Viele Kleidungsstücke enthalten Polyester. Ein Kunststoff, der sich nicht abbaut und oftmals in den Weltmeeren landet. Was wird dagegen unternommen?
Hier sind Innovationen gefragt. Es wird bereits versucht, Kunststoffe, aus denen Textilien produziert werden, auf ein nachhaltigeres Niveau zu bringen. Grundlage dafür sollen Stoffe sein, die entweder direkt aus der Natur stammen oder biologisch abbaubar sind oder beides zusammen. Diese Bestrebungen finden aber primär in Mitteleuropa statt. Global gesehen steigt der Polyesterverbrauch immer weiter. Das hängt auch mit dem Wachstum der Bevölkerung zusammen. Auch hier braucht es noch Zeit, damit sich das Bewusstsein für Nachhaltigkeit auch global verankert und Alternativen gefunden sind.