Mit sieben rauchte er seinen ersten Joint, mit 13 kamen weitere Drogen dazu, und drei Monate vor seiner Einweisung eskalierte es: Täglich konsumierte Elias* Cannabis und Medikamente wie Xanax, am Wochenende kamen Codein und MDMA hinzu. Irgendwann merkte er, dass er ein Problem hatte und wusste, dass er etwas verändern muss. Vor vier Wochen wies sich der heute 16-Jährige selbst in die Entzugsklinik ein.
Diese Entscheidung zu treffen sei schwer gewesen, sagt er. Es bedeutete, alles seinen Eltern zu beichten und auch vor den Freunden zuzugeben, dass er ein Problem hat. «Die Drogen haben mich kaputt gemacht. Ich habe nichts mehr gefühlt, ich war nur noch drauf, hatte auf nichts mehr Lust. Meine Welt drehte sich nur noch um den nächsten Kick», sagt Elias. Die Entscheidung für einen Entzug habe er nicht nur für sich, sondern auch für seine Familie gemacht. «Es hat sie sehr getroffen, mich so zu sehen. Ich will sie nicht enttäuschen.»
Nun ist Elias seit einem Monat im Entzug. Und seit einem Monat durfte er nicht nach Hause. Wegen Corona. Unter normalen Umständen dürfte er an den Wochenenden zu seinen Eltern und dort ganz normal Besuch empfangen. Doch wegen der Pandemie sind die Regeln strenger. Nach Hause darf er nicht, besuchen darf ihn nur die Familie, keine Freunde, in allen Situationen gilt das Abstandhalten und das Maskentragen. Körperkontakt ist nicht erlaubt – mit niemandem.
Zu Beginn war sich Elias nicht bewusst, was diese Regelungen für ihn bedeuten würden. Er habe nicht geahnt, wie lange er dort bleiben würde. Zusammen mit dem extremen Suchtdruck war die Zeit zu Beginn alles andere als einfach. Neben den körperlichen Beschwerden wie Schlafmangel, Übelkeit, Nervosität und Zitteranfällen war die psychische Belastung hoch. Thema Nummer eins waren die Drogen, die Gedanken drehen sich ständig nur darum, bald wieder high zu sein. «Es ist, als wäre ein wichtiger Teil von mir einfach weggenommen worden», sagt Elias. «Ich vermisse es, obwohl ich weiss, dass es etwas schlechtes ist und dass ich aufhören muss. Trotzdem habe ich es geliebt, drauf zu sein. Die süchtige Seite von mir lässt mich nur an die schönen Dinge zurückdenken, die schlechten werden ausgeblendet.»
Die Familie und die Freunde sehen und nach Hause gehen zu können, würde Elias vielleicht ein wenig ablenken. Wenn es ihm schlecht geht, dann kann er nicht einfach schnell einen Freund zu sich holen, ihm bleibt nur das Telefonieren. Das sei nicht das Gleiche, meint Elias. Er fühle sich einsam und alleine. «Es sind hier zwar ständig Menschen um mich herum, aber es ist dennoch nicht mein gewohntes Umfeld und die Menschen, die ich liebe», sagt er.
Dass Patienten einer Entzugsklinik am Wochenende normalerweise nach Hause gehen, hat auch damit zu tun, dass sie sich dann mit ihrem Suchtdruck auseinandersetzen müssen. «Es ist wie ein Test, ob man auch im gewohnten Umfeld den Drogen widerstehen kann. Denn dort hat man theoretisch die Möglichkeit, etwas aufzutreiben», sagt Elias. Das sei nun aber nicht möglich. «Es ist wirklich schwierig. Ich vermisse mein Zuhause so sehr und es belastet mich.»
Der fehlende Körperkontakt sei das grösste Problem. Doch diese Regelung ignoriere er weitgehend. «Am ersten Wochenende kam mein Vater zu Besuch», erzählt Elias. «Ihn zu sehen hat gut getan. Endlich konnte ich kurz abschalten.» Die Begegnung sei zuerst seltsam gewesen. «Mein Vater war erst zurückhaltend, wegen den Corona-Regeln. Dann zog ich die Maske aus und umarmte ihn. Das war es, was ich wirklich gebraucht habe.»
Auch zwischen den Patienten sei die körperliche Nähe verboten. «Wir machen es aber trotzdem», sagt Elias. Wenn die Betreuer nicht da sind und jemand weint, wird diese Person umarmt.
Elias erzählt von einem Moment, als eine Mitpatientin im Fernsehraum weinte, weil sie ihren Hund vermisste. «Ich habe ihren Leidensdruck verstanden und sie tat mir unendlich leid», sagt er. Er habe sie in die Arme genommen, um sie zu trösten. «Ich kann doch nicht einfach jemanden weinen lassen. Corona war mir in diesem Moment egal.»
Eigentlich würden die Bewohner jeden Abend zusammen kochen. Aber wegen Corona ist das auch nicht erlaubt. Es gebe jedoch Alternativen: «Die Betreuer haben ein Guetzlibachen organisiert. Da haben wir in einer Vierergruppe, mit Maske und Handschuhen, zusammen gebacken.»
Vor zwei Wochen wurde Elias 16. Seine Eltern und seine Geschwister durften ihn besuchen – aber nur mit Abstand und Maske. Inoffiziell haben die Betreuer es ihm aber erlaubt, im McDonalds essen zu gehen, weil es in der Klinik keinen warmen Platz gibt, wo man zusammenkommen kann. Das Kaffee ist für Besuch gesperrt. «Der Ausflug war aber nur eine Ausnahme, weil es mein Geburtstag war. Sagen durfte ich es niemanden», sagt Elias. Auch dass er seine Familie umarmt habe, hätten die Betreuer akzeptiert. «Sie finden, wir brauchen die körperliche Nähe, und solange sie es nicht sehen, drücken sie zwei Augen zu.»
Der Geburtstag war den Umständen entsprechend gut, meint er. «Anders als ich es gewohnt bin, aber dennoch schön.» Er konnte mit seiner Familie plaudern, Musik hören, beisammen sein. Ein bisschen Normalität. Erst auf dem Nachhauseweg hätte er sich Gedanken gemacht. «Ich wusste nicht, wie lange es geht, bis ich meine Familie wieder sehen kann. Erst da wurde mir bewusst, was das wirklich bedeutet.»
Doch nicht alles ist so schwierig, wie es scheint. Elias findet auch in dieser komplizierten Zeit Wege. Letztes Wochenende habe er sich mit seinen Freunden drei Stunden lang über Facetime unterhalten. «Es hat sich angefühlt, als wäre ich wirklich dabei. Es ist natürlich nicht das Gleiche, aber es ist besser als nichts.»
Solche Interaktionen sind wichtig für Menschen, vor allem für Menschen in Not. Elias ist stark, ihm sei klar, warum diese Regelungen gelten. Es sei diese Ungewissheit, die ihn quäle. Er wisse nicht, wie lange er noch hier sein müsse und wie lange diese Regelungen noch gelten werden. Er wünscht sich eine Lockerung. «Wenn ich wenigstens zwei enge Freunde aussuchen könnte, die mich besuchen dürfen, würde mir das schon helfen.»
Würde Elias wirklich die Regeln einhalten müssen, dann wäre sein Aufenthalt um einiges schlimmer, meint er. Mit dem Suchtdruck umzugehen ist schon schwierig genug, dann noch auf körperliche Nähe zu verzichten? «Das geht nicht», sagt er.
*Namen geändert.
Blibed gsund