Just als die Feriensaison startete, demonstrierten über 100 Aktivisten am Flughafen Zürich. Sie lagen reglos am Boden, in der Eingangshalle hingen Transparente mit der Aufschrift «No Flight Feel Alright». Es war der Startschuss ihrer Kampagne fürs 2020, mit welcher sie unter dem Hashtag «Flugstreik» zum Verzicht aufs Fliegen aufrufen.
Was sich nun viele fürs nächste Jahr vornehmen, habe ich bereits im 2019 getan. Ohne von diesem Aufruf gewusst zu haben, nahm ich mir in der Silvesternacht letztes Jahr vor, zwölf Monate lang keinen Fuss in ein Flugzeug zu setzen.
Ein paar Monate zuvor bin ich für vier Wochen nach Mexiko geflogen und konnte mir bei der Rückkehr kaum vorstellen, über ein Jahr nicht mehr in diese geliebte Ferne zu reisen und das karibische Meer zu sehen.
Wer jetzt denkt, ich sei danach bei den Klimastreiks vorne mitgelaufen, täuscht sich. Die Berichte der Klimaerwärmung und deren Auswirkungen liessen mich schon vor den Klimastreiks nicht kalt. Sie waren der Grund, weshalb ich diesen Entschluss gefasst habe. Gleichzeitig wollte ich mich einer Challenge stellen, genauso wie andere dem alkoholfreien Januar – nur eben länger und etwas einschneidender.
Mein erster Flugzeug-Verzicht war im Frühjahr, als ich eine Freundin für ein Wochenende in Düsseldorf besuchen wollte. Die Reisezeit mit dem Flugzeug ab Zürich: eine Stunde und 20 Minuten, plus eine Stunde Zugfahrt von Luzern nach Zürich Flughafen – insgesamt wäre ich in etwas mehr als zwei Stunden in Düsseldorf gewesen. Meine Zugreise von Luzern nach Düsseldorf dauerte fünfeinhalb Stunden. Rechnet man die Zeit vor dem Check-In und den Flughafentransfer dazu, kommt es vermutlich aufs Gleiche hinaus. Dieselbe Rechnung kann man mit den darauffolgenden Städtetrips nach Lyon (fünf Stunden) und Florenz (rund sechs Stunden) machen.
Ich fühlte mich also keineswegs eingeschränkt. Doch mit der Sommerferien-Planung kamen die Schwierigkeiten. Ich wollte unbedingt ans Meer; am besten kristallklar, türkisblau und mit weissem Strand. Die erste Wahl fiel auf Albanien, diese Newcomer-Feriendestination soll meine Kriterien erfüllen, sagte mir das Internet. Mit dem Zug ist es auch erreichbar – so scheint es zumindest auf den ersten Blick. Von der Schweiz fährt man beispielsweise nach Bari (elf Stunden), dort nimmt man die Fähre nach Durres (neun Stunden) und fährt dann mit dem Auto (vier Stunden) nach Ksamil an die Traumstrände.
Schnell musste ich merken: Für nur zwei Wochen lohnt sich die lange Reise dorthin nicht. Also entschied ich mich für Sommerferien auf Sizilien. Die Insel befindet sich zwar auch weit weg, die Anreise ist aber um einiges unkomplizierter: Von Mailand fährt ein direkter Nachtzug auf die Insel, sogar mit Verlad des ganzen Zuges auf die Fähre! Fahrtzeit ab Luzern: etwas mehr als 20 Stunden. Nimmt man die Verbindung mit Umsteigen, erreicht man Sizilien sogar in rund 15 Stunden. Aus Bequemlichkeitsgründen buchte ich den direkten Zug und genoss die lange Fahrt – zuletzt mit Aussicht aufs Meer:
Und das karibische Meer von Europa habe ich auch gefunden:
Bis dahin hat sich mein Vorsatz nie wie ein Verzicht angefühlt. Denn ich habe schöne Orte gesehen, ohne zu fliegen. Im Herbst wollte ich eine Freundin in Lissabon besuchen, die einmalig ein paar Monate dort weilte. Die Ferientage reichten jedoch nicht, um mit dem Zug nach Lissabon zu reisen – immerhin dauert eine Fahrt 25 Stunden. Mit dem Flieger wäre ich in nur drei Stunden da gewesen. Ich liess mich aber nicht verleiten und verzichtete – auch wenn mir das nicht einfach fiel.
In meinem Jahr ohne Flugzeug habe ich gemerkt, dass mir nichts gefehlt hat. Mir wurde aber bewusst, wie viel Zeit ökologisches Reisen tatsächlich braucht. Bei der Reise nach Sizilien sind zwei Tage nur fürs Zugfahren draufgegangen. Als ich im Herbst nach Utrecht in Holland fuhr, nahm ich einen Tag mehr frei, weil die Anfahrt acht Stunden dauerte – mit dem Flugzeug wäre ich in drei Stunden dort gewesen. Insgesamt verbrachte ich dieses Jahr 101 Stunden im Zug für Auslandreisen.
Ob ich nächstes Jahr wieder ins Flugzeug steige, weiss ich nicht. Nach den Bränden im Amazonasgebiet, jenen in Australien, den Überschwemmungen, Hitzerekorden, dem anhaltenden Gletscherschwund und dem stets ausfallenden Schnee lässt es sich für mich aber schwer mit meinem Gewissen vereinbaren. Dennoch möchte ich nicht für einen vollkommenen Flugverzicht plädieren. Viel eher für die Berücksichtigung des Zugs, wenn immer möglich. Denn so viele erstaunte Gesichter wie dieses Jahr, als ich den Leuten gesagt habe, dass ich mit dem Zug bis nach Sizilien gefahren bin, habe ich noch nie gesehen.
Es ist nicht die Fliegerei, das Fleisch essen oder das Auto fahren an sich, sondern unser gestörtes Konsumverhalten, das uns immer mehr in den Dreck bringt.
@Watson, ich bin in den letzten 26 Jahren nicht, und damit noch nie, geflogen. Aber, scho rächt, ich komme ohne Artikel aus. Applaudiert mir einfach damit ich wenigstens selber glaube dass ich was besonderes bin und richtig viel zum Umweltschutz beitrage. Danke.