Herr García Nuñez, im US-Bundesstaat Arkansas dürfen Ärztinnen und Ärzte unter 18-jährigen Trans-Menschen keine Hormone oder Pubertätsblocker mehr verschreiben. Was war Ihre erste Reaktion, als Sie von diesem Entscheid gehört haben?
David García Nuñez: Als Facharzt und Gesundheitspolitiker kann ich diesen Entscheid rational nicht nachvollziehen. Aber noch viel schlimmer ist dieses Gesetz für die Betroffenen. Dieser Entscheid wird Leben kosten.
Die Befürworter des Gesetzes sehen es anders. Sie wollen Kinder von lebensverändernden Verfahren schützen, die sie später bereuen könnten.
Dieses Argument macht in meinen Augen keinen Sinn. Ich kann mein Unverständnis auch gerne an einem Beispiel erklären.
Bitte.
Stellen wir uns ein Zwillingspaar vor. Beide wurden bei der Geburt dem weiblichen Geschlecht zugeordnet. Mit 16 geht die eine Schwester zur Gynäkologin, weil sie mit ihrem Freund Sex möchte und sichergehen will, dass sie nicht schwanger wird. Die Gynäkologin verschreibt ihr die Anti-Babypille – ein Hormonpräparat. Das andere Geschwister geht ebenfalls zum Arzt. Nicht aber, weil es eine Anti-Babypille will, sondern weil es eine männliche Geschlechtsidentität hat. Er möchte ebenfalls ein Hormonpräparat, damit er nicht mehr weiblich gelesen wird. Der Schwester traut man zu, über ihre Sexualität zu entscheiden und sie erhält womöglich sogar Zuspruch dafür. Ihrem Geschwister will man das Hormonpräparat aber verweigern, weil es «noch zu jung sei, um selbst zu entscheiden». Das macht doch überhaupt keinen Sinn.
Wir reden hier über ein Gesetz, das in den USA zustande kam. Wie sieht es in der Schweiz punkto Gleichberechtigung von Trans-Menschen aus?
Trans-Menschen werden nicht nur in den USA oder in Grossbritannien massiv unterdrückt, sondern auch in der Schweiz. Wir haben am Universitätsspital Basel Wartezeiten von mehreren Monaten. Stellen Sie sich vor, man diagnostiziert bei Ihnen Brustkrebs, Sie können dann aber erst im September erstmals eine Ärztin konsultieren.
Welche Konsequenzen hat es, wenn man Trans-Jugendlichen Hormonpräparate oder Pubertätsblocker verweigert?
Pubertätsblocker lösen für viele Jugendliche eine innere Anspannung, die wir als Geschlechtsdysphorie bezeichnen. Trans-Jungs haben beispielsweise das Problem, dass sie einmal im Monat menstruieren. Das kann traumatisierend sein. Sie fühlen sich von ihrem Körper verraten. Bei Trans-Mädchen ist es vielleicht der Stimmbruch. Man klingt plötzlich anders, die Stimme passt nicht mehr zu einem und man hört auf zu sprechen. Die Folgen sind vielfältig. Viele Jugendliche ziehen sich zurück, versuchen ihren Schmerz mit Alkohol und anderen Drogen zu lindern oder verletzen sich selbst.
Bedeutet denn eine Geschlechtsangleichung auch automatisch eine Behandlung mit Hormonpräparaten oder einen operativen Eingriff?
Überhaupt nicht. Die Medizin macht nicht aus Männer Frauen oder aus Frauen Männer. Wir schauen uns bei jeder einzelnen Person an, wo der Schuh drückt. Wir versuchen herauszufinden wo die Geschlechtsdysphorie genau liegt. Ist er körperlich betont? Ekelt man sich, wenn man sich im Spiegel anschaut? Oder ist es eher ein gesellschaftliches Problem. Wird man weiblich gelesen, obwohl man eigentlich männlich ist? Haben wir den Geschlechterschmerz geortet, gibt es für jede Person verschiedene Möglichkeiten. Vielleicht klingt der Schmerz ab, wenn man das Geschlecht im Pass ändern kann. Vielleicht braucht es aber auch eine hormonelle Behandlung oder eine Operation.
Wie alt sind die Patientinnen und Patienten, wenn sie zu Ihnen kommen?
Die Trans-Frauen sind im Durchschnitt etwa 30 Jahre alt, die Trans-Männer etwa 20. Die Behandlungssuchenden werden aber keineswegs jünger, das Problem wird einfach sichtbarer. Es ist ähnlich wie mit der Homosexualität in den 70er- und 80er-Jahren. Man redet mehr darüber und Trans-Menschen werden sichtbarer. Als ich mit 2008 meine Stelle am Universitätsspital Zürich angetreten bin, waren die Hürden massiv viel höher.
Wieso sind die Trans-Männer im Durchschnitt rund zehn Jahre jünger, wenn Sie zu Ihnen kommen?
Der Feminismus hat es geschafft, dass Frauen auch in Hosen zur Arbeit gehen oder Fussball spielen können. Den Männern fehlt dieses Instrument. Wenn die Tochter mit den Jungs rauft, sind die Eltern vielleicht sogar stolz. Wenn sich der Sohn aber die Fingernägel lackieren will oder einen Rock in die Schule anzieht, dann führt das zu viel mehr Aufmerksamkeit. Und die ist sehr oft negativ.
Sie haben bereits erwähnt, dass Trans-Menschen auch in der Schweiz diskriminiert werden. Können Sie sich vorstellen, dass auch hierzulande ein Hormonabgabeverbot für Trans-Jugendliche diskutiert werden könnte?
Ich rechne damit, dass wir früher oder später auch hierzulande auf politischer Ebene darüber reden werden. Wir diskutieren ja jetzt schon gehässig über genderneutrale Sprache und Toiletten.
Man darf nicht vergessen, dass diese Prozedur nicht Nichts ist. Ob eine Alterslimite von 18 ok ist, weiss ich nicht.
Ich kann einfach nicht verstehen, warum man darum so ein Tamtam macht. Das mag 100 Menschen betreffen, welchen man mit den Medikamenten helfen könnte. Warum so ein Drama machen?! Wenn die damit ein besseres Leben haben, soll man denen doch keine Steine in den Weg legen🤷♂️!?