In vielen Städten scheint das Ja zum CO2-Gesetz am 13. Juni klare Sache zu sein. Auf dem Land hingegen entwickelte sich ein Nein-Trend: Im April waren 38 Prozent dagegen, Ende Mai schon 53 Prozent, schreibt das Polit-Forschungsinstitut gfs.bern. Das Gesetz hat nur noch eine knappe Mehrheit.
Obwohl gerade Bäuerinnen und Bauern unter dem immer trockeneren Wetter leiden, haben ländliche Gebiete häufig eine konservative Haltung in Klimafragen. So waren sie beispielsweise beim Energiegesetz 2017 mit 48,5 Prozent Ja-Stimmen dagegen, die Städte mit rund 65 Prozent klar dafür. Die Initiative «Grüne Wirtschaft», die ein Jahr zuvor vors Volk kam, verwarfen die Landregionen mit 73 Prozent, deutlicher als die Stadtzentren mit 55 Prozent.
Fällt das CO2-Gesetz ebenfalls in den klassischen Stadt-Land-Graben? Was sind die Gründe? Ein Ausflug ins Zürcher Oberland soll Antworten liefern.
Während der Zugfahrt wechselt die mehrheitlich in Beton verkleidete Gegend zu grünen Teppichen vor einer blauen Leinwand. Von Rüti führt die Buslinie 885 weiter Richtung Osten. Auf den Wiesen grasen Kühe zwischen «Nein zu den Agrarinitiativen»-Schildern. Es ist kurz nach Mittag. Der fast leere Bus kurvt die schmale Hauptstrasse entlang, Felsen heben sich vom Boden empor und bilden eine Allee. Alte Fabrikgebäude ziehen vorbei, dann kommt das Ortsschild: «Willkommen in Wald!»
Im Dorfkern der 9000-Seelen-Gemeinde steht eine Molkerei. Hier räumt Andrea Trachsler gerade Chips-Packungen ins Regal. «Ich lasse mir von den Städtern sicher nichts vorschreiben», sagt die Geschäftsführerin auf die Frage, ob sie – wie die Mehrheit in den Städten – für das CO2-Gesetz stimmen werde. «Die sollen lieber mal vor der eigenen Türe wischen.» Trachsler heisst eigentlich anders, doch sie will ihren richtigen Namen in diesem Text nicht sehen.
Gelesen habe sie die Unterlagen zur Abstimmung zwar noch nicht. Doch sie könne sich gut vorstellen, dass «die in der Stadt» ein sauberes Klima wollten. Bei denen sei auch die Luft dreckiger, täglich führen zig Lastwagen durch die Gegend, um die Geschäfte zu beliefern. «Sie wollen gleichzeitig keine Autos, aber volle Ladenregale. Alles kann man eben nicht haben.» Hier auf dem Land schaue jeder für sich, sagt die 53-Jährige. Den Grundsatz des Gesetzes finde sie deshalb ja eigentlich ganz gut: «Man soll für sein eigenes Handeln verantwortlich sein.» Trotzdem werde sie Nein stimmen.
Worüber wir eigentlich abstimmen: Das CO2-Gesetz will neue Umweltabgaben und Zuschläge auf den Treibstoff einführen. Das Fliegen, das Benzin und das Heizen mit Öl und Gas sollen teurer werden. Um wie viel genau, ist bei den Gegnern und Befürwortern umstritten.
Der Graben zwischen Stadt und Land in Umweltfragen wird seit Jahren grösser, sagt Politgeograf Michael Hermann. Dafür gebe es zwei Gründe: «Erstens betrifft der Umweltschutz die Landwirtschaft direkter. Dort ist die Natur eine Ressource, ein Werkzeug.» Städter sähen die Natur eher als Ort der Sehnsucht: zur Erholung, für die Freizeit.
Der zweite, indirekte Grund: «Die Wertehaltungen sortieren sich stärker», sagt Hermann. Wer lokal und konservativ denke, ziehe eher aufs Land, Leute mit globaler und post-materieller Einstellung gingen in die Stadt.
Für Jürg Brändli war der politische Graben der Grund, wieso er nach 15 Jahren von Zürich weg und nach Wald gezogen ist. Er sitzt mit Martin Muheim in der Lounge des Kaffees Majoka, nur wenige Hausecken weiter von Frau Trachslers Molkerei. Vor ihnen stehen leere Tassen. «Ich bin schon seit jeher SVP-Wähler und wollte nicht mehr zu einer politischen Minderheit gehören», sagt Brändli. Sein Kaffee-Kumpan Muheim sagt in scherzhaftem Ton: «Dann müsste ich ja von hier wegziehen!»
Die beiden würden sich bei Abstimmungen regelmässig aushebeln, sagt Muheim. Er stimme für das CO2-Gesetz. «Ich bin zwar gegen zusätzliche Steuern, aber das Verantwortungsprinzip ergibt Sinn.» Die Heizung bei seinem Haus werde er bald mit einer Wärmepumpe ersetzen, erzählt der 67-Jährige.
Brändli ist anderer Meinung. «Das CO2-Gesetz ist verlogen», sagt er. «Fliegen ist wie Rauchen: Entweder man macht's oder man lässt's bleiben. Alles dazwischen ist einfach nicht konsequent», so der 49-jährige Schriftsteller. Ausserdem bringe es nichts, etwas zu erzwingen, was sich gerade von alleine entwickle. «Wir leben in der Schweiz schon sehr klimafreundlich.»
Die SVP hat als einzige Partei die Nein-Parole zum CO2-Gesetz beschlossen. Wie viele ländliche Gemeinden ist auch Wald von der Volkspartei dominiert: Ihr Wähleranteil ist mit rund 38 Prozent der höchste und sie stellt den aktuellen Gemeindepräsidenten, Ernst Kocher. Die politische Mehrheitsmeinung zeigt sich auf den Wahlplakaten: Während am Dorfeingang ein SVP-Kandidat im Weltformat strahlt, wurde das Poster einer Grünen-Kandidatin in der Seitengasse zur Bahnhofstrasse mit einem unanständigen Schriftzug bekritzelt.
Aus Richtung des Bahnhofs, von dem jede halbe Stunde ein Pendlerzug Richtung Winterthur oder Rapperswil fährt, kommt Laura Bipp. Sie sei in Eile und habe sich über das CO2-Gesetz noch gar nicht informiert. Nach einer kurzen Erklärung ist sie erstaunt, dass die Landregionen zu einem Nein tendieren. «Die Städte sind ja viel dreckiger und es wird mehr CO2 produziert.»
Sie finde die individuelle Abgabe auf Treibstoffe gut und sei auch bereit, jährlich etwas mehr zu zahlen. Dass einige das nicht so sehen, erklärt sie sich so: «Ich denke, es ist normal geworden, viel zu haben und zu brauchen. Davon wollen die Leute wohl nichts mehr abgeben.»
Etwas unterhalb des Bahnhofs steht das Restaurant Zürcherhof. In der Vitrine an der Wand hängen ausgeschnittene Zeitungsartikel anstatt des Wochenmenüs, alle aus der Sektion Politik. Vor dem Haupteingang ist ein grosses Transparent gegen das Covid-Gesetz aufgehängt, auf dem Garagentor eines gegen das PMT.
«Was ich vom CO2-Gesetz halte? Auf jeden Fall annehmen», sagt Ursula Schranz. Sie sei hier bloss die Aushilfe und die rechte Hand des Wirtes. Schranz setzt sich an den runden Tisch vor der Bar. Das Restaurant ist leer, die vier Gäste auf der Terrasse sind bedient. Die beiden Transparente draussen? Solche würden sie vor Abstimmungen oft aufhängen. Einige Gäste hätten deshalb begonnen, das Restaurant für einige Zeit oder sogar ganz zu meiden, erzählt die 63-Jährige. «Aber das ist mir egal. Ich habe dann zu denen gesagt: Musch gar nüme cho!»
Plötzlich öffnet sich die Türe und ein älterer Mann kommt rein. Ob er sich dazusetzen dürfe, fragt er. Während er am runden Tisch Platz nimmt und erfährt, worum sich das Gespräch gerade dreht, sagt er bestimmt: «Auf keinen Fall stimme ich für das CO2-Gesetz». Er stellt sich als Martin Hess vor.
Der 79-Jährige kommt gerade von der Arbeit, das Taxi steht vor der Tür parkiert. «Natürlich arbeite ich noch», sagt Hess. Sich pensionieren lassen wolle er erst mit 80. «Wissen Sie, das ist auch eine Geldfrage», sagt er im belehrenden Ton. Deshalb stimme er auch gegen dieses «Abzocker-Gesetz». Er habe schon einmal eine Krise erlebt, als die Preise in die Höhe schnellten. Das brauche er nicht noch einmal.
Ein Faktencheck der NZZ zeigt, dass die Landbevölkerung beim CO2-Gesetz insgesamt günstiger davonkommen dürfte. Sie fliege seltener und heize weniger mit Öl oder Gas als die Städter. Einzig beim Benzin sei es umgekehrt.
Wer auf dem Land wohnt, braucht häufiger ein Auto, weil die Gebiete weniger gut erschlossen sind. Schlägt die Treibstoffbranche bei Annahme des Gesetzes 12 Rappen auf das Benzin, kann das zu Mehrkosten beim Endverbraucher führen. Die Zeitung rechnet vor, dass man pro Jahr 180 Franken mehr zahle, sofern man in dieser Zeit 25'000 Kilometer gefahren sei. Das entspricht ungefähr der Autofahrstrecke von Zürich nach Lissabon – fünfmal hin und zurück.
Dazu erwähnt Politgeologe Michael Hermann eine Frage, die bei Abstimmungen über neue Umweltschutz-Abgaben besonders zentral sei: Liesse sich der Klimawandel durch die Schweiz überhaupt stoppen? «Viele Konservative leugnen den Klimawandel nicht, zweifeln jedoch, dass sich dieser aufhalten lässt, vor allem nicht durch die Schweiz. Wenn man es so sieht, bleiben vom CO2-Gesetz nur unnötige Kosten.»
Taxifahrer Hess glaubt diesen «Gstudierten» und Politikern jedoch kein Wort. «Das sind alles Lügner», sagt er. «Auch die SVP lügt. Aber sie sind wenigstens noch nahe beim Volk», fährt Hess fort und beginnt, nach dem ersten Glas Rotwein an einem zweiten zu nippen.
Auf die Frage, ob es denn besser sei, das Volk aus der Nähe zu belügen, schüttelt er den Kopf. So viel Unverständnis nervt ihn. Seit über 60 Jahren lebe er hier und diese Gemeinde brauche solche Gesetze nicht, findet er: «Wald sagt Nein!»
Ausser natürlich, Ausländer oder Nicht-SVP-Wählende ziehen zu. Dann wird ganz genau geschaut, was das für fremde Fötzel sind und was die alles falsch machen.