Vergangenes Wochenende bat mich ein befreundeter chinesischer Journalist, ihm zu erklären, wie die epidemiologische Lage in der Schweiz aussieht. Er habe von «Problemen» gehört und verstehe nicht, wie das in solch einem reichen Land möglich sei.
Er ist nicht der einzige mit diesem Eindruck. Hierzulande scheint vieles im Corona-Containment schief zu laufen. Die Pannenserie ist lang. Es fing an mit dem Maskenstreit, aus einem 109- wurde ein neunjähriges Opfer, zur Quarantäne gabs widersprüchliche Informationen. Der vorläufige Höhepunkt in der Kommunikationskrise war ein unter 30-jähriger Mann, der fälschlicherweise für tot erklärt wurde.
Das BAG-Kader um Stefan Kuster (Leiter Übertragbare Krankheiten) und Pascal Strupler (Direktor) steht seither unter Dauerbeschuss. In ihrer Haut will niemand stecken. Die Kritik am Krisenmanagement des Bundes ist nachvollziehbar. Grund für die Pannenserie ist aber nicht in erster Stelle das BAG, sondern die aktuelle Ausgestaltung des Föderalismus und welche Erwartungen wir an den Staat während einer Pandemie stellen.
Fakt ist: Das Virus, ob in Genf, Zürich oder am Walensee, ist dasselbe. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse gelten im Tessin gleich wie im Berner Jura. Die Probleme eines aufwändigen Contact Tracings nach Superspreading-Events sind dieselben, ob sie im Muotathal oder im Knonaueramt passieren.
Eine Pandemie schreit deshalb nach Koordination: Der Bund sollte Daten zentral sammeln, den Wissenschaftsdialog fördern, die Massnahmen koordinieren und zwecks Akzeptanz angleichen. Und er soll mit gemeinsamer Stimme kommunizieren, damit die Wissenschaft, die Bevölkerung und die Medien nicht bei 26 Kantonen einzeln nachfragen müssen.
So sollte es sein – doch das ist nicht ganz einfach.
Unser Land ist anders aufgebaut und zurecht stolz auf den Föderalismus. Die Kantone sind heute in vielen gesundheitlichen Fragen zuständig für die Bewältigung der Krise – so will es die besondere Lage, die der Bundesrat ausgerufen hat. Der Bund darf nur Verantwortung übernehmen, wenn es die Kantone von ihm verlangen.
Die Kantone stehen wiederum in der Verantwortung, diese Hilfe zu verlangen und dem Bund klar mitzuteilen, welche Marschrichtung sie wollen. Und das ist bis heute nicht passiert. Stattdessen haben Bund und Kantone eine gegenseitige Erwartungshaltung, in der sie sich Fehler, Verantwortlichkeiten und Kompetenzen gegenseitig zuschieben – und gar Koordinationssitzungen aus zeitlichen Gründen fernbleiben.
So kam es zu Problemen beim Contact Tracing, das von den 26 Kantonen zunächst einfach so verlangt wurde. Einige Kantonen setzten auf Excel-Listen, andere auf die Rückverfolgungs-Spezialsoftware «Sormas».
So kam es, dass Kantone und Bund unterschiedliche Daten zu Ansteckungsorten publizierten, während die wissenschaftliche Taskforce über Datenmangel klagte.
Und so kam es auch, dass der Bund einen unter 30-jährigen Mann fälschlicherweise für tot erklärte, nachdem zuvor der zuständige Kanton Bern auf Anfragen von Medien und des BAG schwieg.
Hätten die Kantone und der Bund früher das Krisenmanagement angesprochen und nach gemeinsamen Lösungen gesucht, stände das BAG heute nicht dermassen in der Kritik. Um das Vertrauen zurück zu gewinnen, braucht es nämlich nicht viel:
Wenn sich der Bundesrat diese Woche mit den Kantonen trifft, dann sollten sie sich diese Punkte auf die Traktandenliste setzen. Die Schweiz sollte eine Vorbildfunktion in der weltweiten Pandemie werden – und nicht im Ausland für Pannenserien bekannt werden.