Ich war am Samstag auch an der Klimademo. In Zürich. Im Block der ultrastolzen Eltern quasi. Da waren junge und sehr junge Menschen, die ihre Transparente hochhielten, oft mit einem kleinen Eisbären, oft mit einem Satz über Greta («Greta hat Recht und sie ist erst 16, gopfnomol!»), selten mit einem Scherz («Die Erde ist der einzige Planet mit Bier!»). Wer keine Stecken gefunden hatte, um damit ein Transparent zu basteln, hatte Laserschwerter genommen.
Ich fragte mich einen Moment lang, ob die eigensinnige Greta, wenn sie mit all den engagierten Kids zur Schule gehen würde, nicht vielleicht ein klassisches Mobbing-Opfer wäre. Und wie viele der Klimademo absichtlich ferngeblieben waren. Wie sehr das Event gerade das Engagement übertünchte. Und dass «wir» hier am liebsten auf die Strasse gehen, wenn unsere eigene Zukunft unmittelbar bedroht ist. Und wenn man ein herziges Tier wie den kleinen Eisbären zum emotionalen Maskottchen machen kann.
Aber war das schon jemals anders gewesen? Hatte mich als Kind nicht die kleine weisse Plüschrobbe vom WWF mehr berührt als jedes Kriegsbild? War es nicht die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gewesen, die mich dazu gebracht hatte, sofort Greenpeace beizutreten und nach einem halben Jahr einen Beschwerdebrief zu schreiben, weil ich noch nicht dazu eingeladen worden war, mich irgendwo an eine Brücke zu ketten, sondern nur dazu, meinen Mitgliederbeitrag endlich zu bezahlen?
Aber niemals wäre es mir und meinen Mitschülern in den Sinn gekommen, uns zu organisieren, geschweige denn überregional. Oder gar mehrmals.
Vom Internet hatten wir noch nie gehört. Mark Zuckerberg war bei Tschernobyl knapp zwei Jahre alt.
Ich beschloss also, meine miesen Gedanken zu ignorieren, und mich den ansteckenden Vibes dieses Samstagnachmittags hinzugeben. Denn hier fand sich alles, was «Jugend» ausmacht, zu einer Kraft, die gross und gut war und jede Skepsis niederwalzte.
Hier war sie, die überschäumende Lust, laut zu sein, endlich gehört zu werden, sich mit aller Wut und Power zu verausgaben. Die Begeisterung darüber, Ohnmacht in Masse, ein Anliegen in eine Bewegung umgesetzt zu haben. Die ganz und gar heutige Fähigkeit, sich schnell, breit und wirkungsvoll zu organisieren, dem «sozial» vor «Medien» wieder einen Sinn zu geben. 400 waren in Zürich von der Polizei erwartet worden, über 10'000 waren gekommen.
Die Demo war friedlich und entspannt, schliesslich waren hier nicht alternde Aggressionsträger am Werk, sondern junge Menschen, die nun mal einfach weit liebevoller mit sich und der Welt umgehen als frühere Demogenerationen. So von aussen gesehen nervt dieses vermeintlich Weichgespülte manchmal, aber jetzt musste man sagen: Wie wohltuend ist das denn? Eine Demo, die durchs Nadelöhr der Langstrassen-Unterführung geht? Ist möglich!
Es war also insgesamt verdammt beeindruckend und grossartig. Sehr jung und sehr erwachsen zugleich. Es hatte nichts mit easyjettenden 17-jährigen Instafluencerinnen zu tun, die sich mittels Schönheits-OPs an die Kardashians angleichen lassen.
Und wenn wir alle Glück haben, dann gelingt es vielleicht, aus einem Protest Politik zu machen. Es wäre nicht das erste Mal. Aber es wäre eins der ersten Male, dass sie von einer Seite initiiert worden wäre, mit der weder Wirtschaft noch Politik gerechnet haben. Gewissermassen aus der Zukunft.