Herr Fehr, der Bundesrat hat heute erneut die Massnahmen verschärft. Reicht das im Kampf gegen das Virus?
Jan Fehr: Die Massnahmen werden nicht ausreichen. Wir hinken mit den schrittweisen Verschärfungen dem Virus hinterher. Das Virus ist uns immer einen Schritt voraus.
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Deutschland greift viel härter durch, hat aber wesentlich tiefere Fallzahlen. Bräuchte es auch in der Schweiz einen harten Lockdown?
Ich bin überzeugt, dass die Massnahmen weiter verschärft werden müssen. Einen harten Lockdown, wie wir ihn im Frühling hatten, ist aber womöglich nicht notwendig. Es gibt Studien, die zeigen, dass die Ansteckungszahlen in den Schulen nicht so gross sind, dass man diese erneut schliessen müsste.
Es fehlen noch immer klare Daten zu den Ansteckungsorten. Ist es nicht widersprüchlich, Gastrobetriebe zu schliessen, aber Geschäfte weiterhin offen zu lassen?
Man steckt sich überall dort an, wo man nahe aufeinander ist und die Schutzmassnahmen nicht einhalten kann. Im Restaurant legt man die Maske ab, insofern ist das Ansteckungsrisiko dort grösser. Aber wie bereits erwähnt, kann man sich auch in einem dicht gedrängten Laden anstecken. Zudem geht es darum, die Mobilität insgesamt zu verringern. Dass dies wirkt, haben wir in der ersten Welle gelernt.
Weihnachten und Silvester stehen vor der Tür. Mit welchem Gefühl blicken Sie den Festtagen entgegen?
Ich mache mir grosse Sorgen. Mit den weiterhin offenen Geschäften und Weihnachten vor der Tür werden sehr viele Menschen noch Geschenke einkaufen gehen. Es besteht das Risiko, dass sich viele Leute auf engem Raum in den Geschäften drängen. Das erhöht das Ansteckungsrisiko.
Kantone mit günstiger epidemiologischer Lage dürfen die Massnahmen gemäss Bundesrat lockern. Machen solche Regelungen epidemiologisch Sinn?
Überhaupt nicht. Das führt lediglich zu einem kantonalen Pingpong. Ein gutes Beispiel sind die Kantone Basel-Stadt und Baselland. Man musste im Tram nur ein paar Stationen weiterfahren und konnte in ein noch offenes Restaurant in Baselland einkehren. Auch wenn der eine Kanton im Moment besser dran ist, kann das schnell wieder ändern. Das sehen wir aktuell auch bei den Westschweizer Kantonen. Dort steigen die Fallzahlen bereits wieder an.
Die Kantone können zum Beispiel selbst über eine Schliessung der Skigebiete entscheiden. Das kann dazu führen, dass man im Kanton Wallis auf die Piste darf, im Kanton St.Gallen jedoch nicht. Sind solche unterschiedlichen Massnahmen nicht kontraproduktiv im Kampf gegen das Virus?
Es ist tatsächlich viel schwieriger geworden, einen Überblick über all die verordneten Massnahmen zu behalten. Während der ersten Welle war die Kommunikation klar. Aber aktuell habe ich das Gefühl, dass vielen noch nicht klar ist, wie ernst die Lage ist. Die Massnahmen müssen in den Köpfen der Menschen ankommen, damit alle im Kampf gegen das Virus am selben Strick ziehen.
Ist die aktuelle Situation prekärer als noch im März?
Es ist schwierig, die erste und die zweite Welle miteinander zu vergleichen. Während dem ersten Ausbruch, waren die Fallzahlen viel tiefer, weil wir noch weniger Kapazitäten hatten, um zu testen. Die Situation ist aktuell aber deutlich ernster. Die Todeszahlen sind viel höher und das Gesundheitssystem ist insgesamt viel mehr am Anschlag als noch im Frühling.
Die Massnahmen gelten bis zum 22. Januar. Rollt bei einer schnellen Lockerung bereits die dritte Welle an?
Ich befürchte, dass wir mit den aktuellen Massnahmen bereits nahtlos in die dritte Welle rutschen. Wenn wir dann einmal von Lockerungen sprechen können, dann müssen diese sehr vorsichtig geplant und stufenweise ausgeführt werden. Im Sommer wurde viel zu rasch gelockert. Es braucht eine saubere Planung, um eine nächste Welle zu verhindern.
Swissmedic will den Impfstoff für die Schweiz bereits im Dezember freigeben. Ist das nicht wenigstens ein Lichtblick?
Die Impfung wird uns in den nächsten zwei bis drei Monaten nicht aus dem Schneider helfen. Aber sie ist sicherlich ein Lichtblick im Hinblick auf den Frühling. Wir müssen aber bis dahin vernünftig sein und verantwortungsvoll handeln, sonst hilft uns dieses Weihnachtsgeschenk nicht viel.
Wohl deshalb hat man die Ladenöffnungszeiten ja verkürzt.
Es ist darum (leider) sehr wahrscheinlich, dass Jan Fehrs Aussage richtig ist. Der Bundesrat wird so abermals neu ansetzten müssen, weil man ständig hinterher hinkt. So wird es einfach ständig noch schlimmer - nicht nur für die Pflegekräfte, sondern auch für die Kultur und die ganze übrige Wirtschaft.
Sie greift ja wohl nur, wenn man sich effektiv die ganze Zeit über ausschließlich auf EINEN anderen Haushalt für gegenseitige Besuche beschränkt.
Aber als 5-köpfige Familie am 24. Dez. morgens zu den Meiers, abends zu den Müllers, am 25. Dez. vormittags zu den Pfisters, nachmittags zu den Schmids etc. etc. - das hilft dann epidemiologisch wohl weniger.
Wie die Leute das wohl handhaben?
„Bleiben Sie zuhause!“ war einfacher zu verstehen.