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35'000 tote Haie jedes Jahr – Fair-Fisch-Label MSC massiv in der Kritik

Von Roger Welti frisch gefangene Felchen, aufgenommen am Dienstag, 10. Mai 2016, auf dem Bodensee bei Altenrhein. Roger Welti fischt seit 36 Jahren im Bodensee. Er hat wie alle anderen Fischer am See  ...
Fische, die darauf warten, verspeist zu werden.Bild: KEYSTONE

35'000 tote Haie jedes Jahr – Fair-Fisch-Label MSC massiv in der Kritik

«Steht MSC drauf, ist ein fair gefangener Fisch drin». Das meinen viele Konsumenten, die in der Migros oder bei Coop zum Fair-Label greifen. Jetzt wird die gemeinnützige Organisation allerdings frontal angegriffen.
27.01.2017, 09:2927.01.2017, 19:55
Felix Burch
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MSC heisst ausgeschrieben «Marine Stewardship Council» und steht für nachhaltige Fischerei. Wer verantwortungsvoll Fisch kauft, achtet auf das Label. Es ist das bekannteste in der Fisch- und Meeresfrüchte-Branche.

Diese Woche hat die Organisation Post bekommen. Absender sind 53 Organisationen aus der ganzen Welt. Greenpeace gehört ebenso dazu wie der Verein Fair-Fish aus der Schweiz. Sie alle behaupten, MSC halte nicht das, was sie den Konsumenten verspricht. Die Vorwürfe sind happig: 

Dieses Label steht auf den Fischverpackungen.
Dieses Label steht auf den Fischverpackungen.

MSC zertifizierte Fischerei, die 35'000 Haie tötete 

MSC zertifiziere Fischereien, die alles andere als nachhaltig ans Werk gehen. Ein Beispiel dafür sei die Atlantic Canadian Swordfish Longline Fishery. Die Fischerei generiere mehr Beifang als Fang und sei verantwortlich für über 35'000 getötete Haie und zwischen 200 und 500 getötete Schildkröten pro Jahr, heisst es im Brief. MSC hat die kanadische Fischerei im Jahr 2011 zertifiziert. 

Ein Walhai schwimmt unter einem Fischernetz durch.
Ein Walhai schwimmt unter einem Fischernetz durch.bild: shutterstock

MSC lässt Fischfang mit Grundschleppnetzen zu

Eine fragwürdige Fangmethode ist der Fischfang mit Grundschleppnetzen. Solche Netze beschädigen laut den Organisationen den Meeresboden und die dort lebende Tiere. Dies aus zwei Gründen:

  • Am Meeresboden leben Arten, die äusserst spät geschlechtsreif sind. Sie reagieren empfindlich auf jegliche Art von Störungen.
  • Durch das Fischen mit Grundschleppnetzen werden Laichgründe zerstört. Dennoch hat MSC den Granatbarsch zertifiziert. Er braucht 20 Jahre, bis er geschlechtsreif ist. Beim Fang der Granatbarsche landeten alte Korallen in den Schleppnetzen. Der Meeresboden leide und brauche Jahrzehnte um sich zu erholen, sind sich die Kritiker sicher. 
Umweltverschmutzung Garbage Plastikmüll Meeresverschmutzung Schildkröte Fischernetz
Auch Meeresschildkröten verfangen sich beim Fischfang in Netzen.

MSC lässt Produkte aus überfischten Beständen zu

MSC biete Produkte aus überfischten Beständen an. Das zeige die Studie des GEOMAR Helmhotz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (hier findest du mehr dazu). Die Studie zeigt, dass mehrere Fischbestände über der von MSC festgelegten Obergrenze befischt wurden. Dennoch sind Fische aus solchen Beständen weiterhin Träger des MSC-Siegels. 

In this Wednesday, July 2, 2014 photo, freshly caught ballyhoo, caught off the Florida Keys, are piled up to be sold as bait at Key Largo Fisheries Inc. in Key Largo, in the Florida Keys. Federal offi ...
Das Geschäft mit Fischen ist ein globales Business.Bild: Lynne Sladky/AP/KEYSTONE

«Entzieht ihnen das Label»

Die Absender des Schreibens an MSC führen in ihrem Brief vier Fischereien auf, die ihrer Meinung nach nicht nachhaltig arbeiten (1. The Atlantic Canadian Swordfish Longline Fishery, 2. Antarctic krill fisheries, 3. The NZ Orange roughy deep-sea bottom trawl fishery, 4. The Gulf of Maine lobster fishery). Die Organisationen rufen MSC dazu auf, diesen Fischereien das MSC-Label zu entziehen und keine Betriebe damit zu zertifizieren, die gewisse Standards nicht einhalten würden. 

«Pauschalisierungen sind wenig hilfreich»

MSC-Sprecherin Andrea Harmsen sagt zu watson, das Unternehmen nehme externe Kritik ernst. Das sei gar ein wichtiger Bestandteil des MSC-Programms. Zum Thema Beifang sagt Harmsen:

«Der MSC-Umweltstandard wird kontinuierlich in Zusammenarbeit mit Experten aus Wissenschaft, Fischerei und Umweltschutz weiterentwickelt.»

Weiter müssten die zertifizierten Fischereien oder solche, die zertifiziert werden wollen, sicherstellen, dass sie ihre Massnahmen zur Minimierung unerwünschter Beifänge von gefährdeten Arten laufend verbessern und regelmässig überprüfen lassen. 

Le siege International du WWF (World Wide Fund for Nature) photographie ainsi que son logo le Panda, ce jeudi 7 avril 2016, a Gland (VD). L'ONG prevoit la suppression d''une centaine d& ...
Der WWF unterstützt MSC. WWF hat die Organisation mitgegründet.Bild: KEYSTONE

Zudem weist Harmsen darauf hin, dass die Fischereibewertungen nicht durch den MSC selbst, sondern durch unabhängige Dritte durchgeführt werden.

Zur Kritik, dass Langleinen- und Grundschleppnetze schlecht seien, meint Harmsen: «Eine Fangmethode, die bei Fischerei A negative Umweltfolgen hat, kann bei Fischerei B ohne negative Auswirkungen und nachhaltig sein.» MSC schliesse keine legale Fangmethode pauschal von einer Zertifizierung aus. Pauschalisierungen seien wenig hilfreich auf dem langen Weg mehr und mehr Fischereien zu einer nachhaltigen, umweltschonenden Arbeitsweise zu bewegen. 

Update 
MSC betont, es gebe unterschiedliche wissenschaftliche Meinungen darüber, «wann Fischereiaktivitäten einen Fischbestand gefährden». Die MSC folgt gemäss Harmsen den Kriterien der UN Welternährungsorganisation FAO. Diese vertritt eine andere Meinung als die GEOMAR-Studie. MSC sagt, die GEOMAR-Studie sei fehlerhaft. So seien drei von elf Beständen gar nicht von MSC-zertifizierten Fischereien befischt worden. Zudem seien für die Studie falsche Daten herangezogen worden.
Auch bei der kanadischen Langleinen Schwertfisch-Fischerei ist MSC anderer Meinung als die Verfasser des Briefes. Die Fischerei habe im Kontext der MSC-Zertifizierung ihren Beifang durch das Umfahren bestimmter Gebiete, durch den Einsatz von besonderen Haken und Schnüren und durch Schulung aller Fischer zum einen generell deutlich auf ein nachhaltiges Mass verringern, und zum anderen Verletzungen und Sterblichkeit bei dennoch beigefangenen Tieren minimieren können. Mithilfe eines lückenlosen Überwachungsprogramms für die gesamten Flotte würden die Fangfahrten und Fanggebiete ständig aufgezeichnet und überwacht. (feb)
Das sagen Coop und Migros
Coop wie auch Migros verkaufen MSC-zertifizierte Fische und Meeresfrüchte. Bei Migros heisst es, MSC habe momentan die strengsten Richtlinien für Wildfang. Migros sei stets an Verbesserungen interessiert. Ein Label solle und müsse sich stetig weiterentwickeln. Mediensprecher Martin Bosshard: «Migros ist Mitglied bei der WWF Seafood Group.» Darum stütze sich die Migros auf die Nachhaltigkeitsbewertung ihres Sortimentes durch den WWF. Gemäss Coop-Sprecher Ramón Gander bezieht Coop von den im Bericht erwähnten Fischereien keine Fische. «Wir erachten MSC als geeigneten Standard, um die Fischerei nachhaltig zu gestalten», sagt Gander. (feb) 

WWF steht weiter zu MSC

MSC wurde 1997 vom WWF mitgegründet. Der WWF unterstützt die unabhängige Organisation auch heute weiter. Zu den aktuellen Vorwürfen sagt Corina Gyssler von WWF Schweiz: «Die in der Kritik stehenden sechs Fischereien betrachtet auch der WWF als kritisch: Wir haben uns in den entsprechenden Zertifizierungsphasen kritisch eingebracht und bei den meisten der genannten Fischereien Einspruch eingelegt.» WWF betont, dass die meisten der 306 MSC-zertifizierten Fischereien vorbildlich arbeiteten. 

 

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quelle: epa/epa / franck robichon
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56 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ano Nym
27.01.2017 11:31registriert September 2016
Netzfischen ist so ähnlich wie eine Haube über ein Wald ausbreiten, alles töten was drin ist, und nur rauspicken was man essen möchte...
Die wirklich einzige Art zielgerichtet Fisch ohne Beifabg zu kriegen, ist mit einer Harpune, was dem Jagen gleichkommt.
Aber das ernährt höchstens den eigenen Esstisch oder ein paar Familien.
Unter dem Strich ist die kommerzielle Fischerei etwas vom Schlimmsten was wir unserem Planeten antun können! Auf sozialer, ökologischer und ökonomischer Ebene.
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Anded
27.01.2017 09:45registriert Oktober 2014
Man sollte sich auch weniger auf Labels und mehr auf gesunden Menschenverstand verlassen. Dass generell überfischt wird ist jedem klar. Auch dass die Schäden am Meer und an bedrohten Tierarten (die sich zB in Netzen verfangen) von der Intensität der Fischerei abhängen. Generell möglichst wenig/keinen Meereswildfang essen, insbesondere wenn man in einem Binnenland ist, hilft der Sache am meisten.
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sheshe
27.01.2017 11:20registriert November 2015
Ich habe mir vor Jahren gesagt, dass ich keinen Fisch mehr esse, wenn ich nicht am Meer bin. Ist vielleicht ein bisschen heuchlerisch, aber besser, als jeden Tag Fisch zu essen. Am liebsten kaufe ich ihn da von lokalen Fischern. Noch lieber fange/schiesse ich ihn selbst. Wir müssen unseren Fischkonsum stark einschränken, damit unsere Ozeane, welche unser tägliches Leben extrem beeinflussen, wieder gestärkt werden können. Oder halt weniger "populäre" Fische/Schädlinge essen, wie z.B. den Feuerfisch aus dem Mittelmeer.
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