Verbier ist innert der letzten Tage ins Zentrum der nationalen und internationalen Berichterstattung gerückt. Das Bergdorf im Kanton Wallis gilt über die Landesgrenzen hinaus als beliebtes Reiseziel – besonders bei Britinnen und Briten. Doch die müssen per sofort in Quarantäne.
Denn seit dem Wochenende ist bekannt, dass in Grossbritannien und in Südafrika eine mutierte, aggressivere Form des Coronavirus entdeckt wurde. Wer seit dem 14. Dezember aus diesen Ländern in die Schweiz eingereist ist, muss sich – so will es der Bundesrat – sofort in Isolation begeben.
Das Westschweizer Fernsehen RTS berichtete, dass am Wochenende rund 10'000 Menschen aus dem Vereinigten Königreich in Genf gelandet sind. Die totale Anzahl betroffener Gäste ist bisher aber nicht bekannt. In Verbier versucht die Gemeinde derweil, so viele Britinnen und Briten wie möglich auf eigene Faust zu finden. Ein Augenschein vor Ort.
«Wir haben 350 identifizieren können, die seit Mitte Dezember aus Grossbritannien angekommen sind und in Quarantäne sein sollten», sagt Jean-Marc Sandoz, Mediensprecher der Gemeinde Banges, zu der der Wintersportort gehört. 50 seien noch am Sonntag zurückgereist, bevor die Flüge gestoppt wurden.
Dennoch tappt Sandoz im Dunkeln. Weder weiss er, ob die 350 Briten tatsächlich in Quarantäne sind, noch, wie viele Personen in Verbier von der bundesrätlichen Anordnung betroffen sind. «Seit Montagabend ruft die Tourismusbehörde Hotels, Airbnb-Betreiber und Chalet-Vermieterinnen an, um die englischen Gäste zu finden», so der Mediensprecher.
Doch die Leute ausfindig zu machen, sei schwierig. «Wenn wir die Liste mit allen Gästen hätten, wäre das kein Problem, aber wir können nicht jedes Haus absuchen.» Eine solche Liste gäbe es zwar, doch der Bund könne diese aus Datenschutzgründen nicht aushändigen, erklärt Sandoz.
Die Behörde in Verbier hat keinerlei Anhaltspunkte. «Unsere einzige Anweisung vom Kanton ist, den betroffenen Gästen den Link für das Formular zu geben, das sie mit ihren Reise- und Herkunftsangaben ausfüllen müssen», sagt er.
Die Gemeindepolizei könne zudem kontrollieren, ob die Quarantäne eingehalten werde. Hierbei stellt sich für Sandoz ein ganz anderes Problem: «Wenn die Polizei jemanden auf der Strasse kontrolliert, weil die Person Englisch spricht, grenzt das an Diskriminierung.»
Verbier sei sehr beliebt bei Britinnen und Briten. «Obschon nicht feststeht, ob anzahlmässig gar mehr in St.Moritz, Davos oder Zermatt sind.» Unabhängig vom Ort: Alle Gemeinden mit britischen Touristen teilen das Schicksal von Verbier. Man könne jetzt nicht mehr tun als weitersuchen, informieren und warten, sagt Sandoz.
In Verbier ist von der Aufregung um die britischen Gäste nicht viel zu spüren. Die Strassen präsentieren sich im Weihnachtsschmuck und die Menschen sind teils mit Skiern, teils mit Markenkleidern beladen. Sie sprechen Französisch, Holländisch, und etwas, das man als Flämisch einordnen könnte.
Am Weg zum Skilift steht das Big-Ben Pub. Am Abend gönnen sich hier einige Schneesportler ein kaltes Bier. Gesprochen wird vorwiegend Englisch. Am Fenstertisch im Inneren des Pubs sitzen drei Männer. «Ja, wir sind aus Grossbritannien», sagt der eine und fügt schnell hinzu: «Aber wir sind schon seit vier Monaten hier.»
Nicht sehr erfreut über die Störung erklärt er: «Wir müssen nicht in Quarantäne und kennen auch niemanden, der muss.» Sein Kollege fügt an: «Wir lassen uns hier zu Skilehrern ausbilden. Das geht gut ein halbes Jahr, deshalb sind wir schon so lange hier und bleiben noch bis im März.»
Anders behandelt fühlten sie sich nicht. Die Organisation am Skilift und in den Restaurants sei «flawless» und die Polizei bewirke durch ihre Präsenz, dass sich die Gäste an die Regeln halten.
Ob sich die englischen Touristen an die Quarantäne-Regeln hielten, kann auch der Pub-Inhaber Antoine nicht beantworten. Er frage auch nicht nach. «Aber ich habe seit Montag merklich weniger Gäste», sagt er. Er gehe deshalb davon aus, dass einige seiner britischen Gäste entweder nach Hause gereist oder in Quarantäne sind.
Weniger Gäste hat auch Hotelinhaber Roger Bernhard*. Einer davon sei aus England und seit Montag in Quarantäne. «Er landete letzten Freitag und wollte morgen wieder abreisen. Jetzt muss er bis am 28. Dezember hier bleiben.» Die täglichen drei Mahlzeiten stellt der Roomservice vor die Türe des Gasts. «Ich stelle mir das richtig unangenehm vor: Er kann weder nach Hause noch nach draussen und muss Weihnachten alleine im Zimmer verbringen», sagt Bernhard.
Der Hotelier steht an der kleinen, hölzernen Rezeption. An der Wand hängen viele goldige Schlüssel mit hölzernen Kugeln, der Reihe nach nummeriert. «Von den 44 Zimmern sind aktuell 15 besetzt», sagt Bernhard. Er will anonym bleiben, aus Angst, seinen Ruf zu riskieren. Auch ihn belastet die Situation. Normalerweise hat er um diese Jahreszeit kein einziges freies Zimmer. «Neben der ohnehin mageren Geschäftslage haben nun alle Gäste aus Grossbritannien ihre Buchungen gecancelt.»
Bernhard sei auf die ausländischen Touristen angewiesen. Viele Schweizerinnen und Schweizer hätten ihre eigenen Chalets und würden nicht in Hotels übernachten. Den anderen zwölf Hotels in Verbier gehe es nicht besser, meint Bernhard. «Ich gehe davon aus, dass viele bankrott gehen, auch mein eigenes Geschäft.» Im Gegensatz zu anderen Betrieben erhalten Hotels keine Unterstützung, da sie ihr Geschäft nicht schliessen müssen. «Es wäre besser, wenn der Bund einen Lockdown verhängen würde, dann hätten wir wenigstens auch einen Anspruch», so Bernhard.
*Name durch die Redaktion geändert.