Herr Skenderovic, ist Ihrer Einschätzung nach der rechtsextreme Aufmarsch und der Angriff in Charlottesville ein schlimmer Einzelfall oder steckt da mehr dahinter?
Damir Skenderovic: Ehrlich gesagt, überrascht es mich etwas, wie erstaunt jetzt viele sind. Was in Charlottesville passiert ist, sehe ich als
Folge von den Entwicklungen der letzten Monaten und
Jahre. Während seiner Präsidentschaftskampagne wurde Donald
Trump bereits von rechtsextremen White-Supremacy Gruppierungen
in aller Öffentlichkeit unterstützt. Trump hat sich nie wirklich
von diesen Leuten distanziert.
Einige
von ihnen hat er sich sogar zu seinen engsten Mitarbeiter gemacht.
Mindestens zwei wichtige Berater von Präsident Trump stehen der Ideologie der so genannten Alt-Right-Bewegung nahe. Dazu gehören Steve Bannon, ehemaliger Leiter von Breitbart News, und Stephen Miller, der Redenschreiber von Trump. Die beiden hatten auch die Rede von Trump bei seiner Vereidigung geschrieben, in der Apokalyptisches, Bedrohungsszenarien und der Slogan «America first» zentral waren und sich so der Einfluss der Alt-Right-Ideologie zeigte.
Wodurch zeichnen sich die extremen
Rechten in den USA aus?
Zentral ist der klassische, biologistische Rassismus, der die Überlegenheit der «weissen Rasse» propagiert. Auch kam es in der Vergangenheit
immer wieder zu Gewalttaten, die von rechtsextremem Gedankengut und
Rassismus getrieben waren. Beispielsweise
auch 1995 bei dem Bombenattentat in Oklahoma City, als 168 Menschen ums
Leben kamen.
Wie haben sich diese
Bewegungen entwickelt?
Es
ist zu beobachten, dass in den letzten Jahren eine
Ideologisierung und Intellektualisierung in Teilen der rechtsextremen
Szene stattgefunden hat. Das heisst, es gibt einige Vordenker, die
mit Vorträgen, Publikationen und Online-Auftritten versuchen, der
Bewegung ideologische Inhalte zu vermitteln. So gibt es auch ein
Institut, das National Policy Institute, das Tagungen, Referate und
Diskussionsabende organisiert und von Richard B. Spencer, einer der
Leaderfiguren der Alt-Right-Bewegung, geleitet wird.
Woher stammen diese neue Ideologien
und intellektuellen Linien der amerikanischen Rechtsextremen?
Vieles
ist in den letzten Jahren aus Europa importiert worden. So sind zum
Beispiel mehrere Autoren und Bücher der französischen «Nouvelle droite» der 70er- und 80er-Jahre ins Englische übersetzt
oder neu aufgelegt worden.
Zu Europa: Wie stark sind
die Rechtsextremen hier?
Das ist schwer
messbar. Was gesagt werden kann ist, dass sie Aufwind haben.
Warum?
Durch das Internet und die sozialen Medien können sich Rechtsextreme heute besser vernetzen und organisieren. Auch können sie ihre Inhalte einfach und ungefiltert bereit stellen. Zudem stellt die Politik von rechtspopulistischen Parteien einen Nährboden dar. Denn mit ihrem Diskurs über Muslime, Migration oder Flüchtlinge haben sie die Grenzen des Sagbaren erweitert. Gerade für jüngere Generationen, die mitbekommen, dass es in Ordnung ist, wenn in der Politik und Öffentlichkeit mit Stereotypen und diskriminierend über Flüchtlinge gesprochen werden kann, ist der Schritt noch radikaler zu denken und zu sprechen ein kleiner. Schliesslich ist auch zu erwähnen, dass die wirtschaftlichen Krisenentwicklungen der letzten Jahre vor allem bei der jüngeren Generation die Zukunftserwartungen getrübt haben und die identitätspolitischen Ablenkungen von den reellen sozialen und ökonomischen Problemen, wie sie die Rechtspopulisten betreiben, zusehends auch bei jüngeren Menschen Anklang finden.
In Europa sind vor allem Bewegungen
der «Neuen Rechten» in den Schlagzeilen. Was genau ist damit
gemeint?
Mit
der Bezeichnung «Neue Rechte» sind jene gemeint, die in erster Linie
intellektuell und kulturell arbeiten, die Bücher schreiben, Vorträge
halten und Zeitschriften herausgeben.
Was ist ihre Ideologie?
Der eine wichtige Punkt ist der kulturelle Rassismus, den die französische Nouvelle droite in den 70er-Jahren angefangen hat zu verbreiten. Demnach hat jeder Mensch seine Herkunft, seine Kultur, seine Identität, und das ist sehr wichtig und muss gestärkt werden. Nur sollen sich die Menschen nicht durchmischen, das schwäche die eigene Identität, den Zusammenhalt und das Profil einer Gemeinschaft, einer Kultur, eines Landes. Das nennt man Ethnopluralismus. Damit verbunden ist der zweite Punkt, die Identitätspolitik. Die eigene Identität steht im Vordergrund, die eigene Gruppe muss bevorzugt werden. Identitätspolitik wird nicht nur von der Neuen Rechten, sondern in den letzten Jahren auch verstärkt von Rechtspopulisten betrieben. Auch Trump mit seinem «America first» geht in diese Richtung.
Ist es falsch, Vertreter der Neuen Rechte als Nazis oder
Rechtsextreme zu bezeichnen?
Ja,
denn ich glaube, man muss es differenzierter anschauen. Wenn man von
der extremen Rechten spricht, meint man damit in erster Linie
Neonazis und Neofaschisten, die sich auf den Faschismus beziehen, den
Nationalsozialismus verherrlichen oder eine Blut-und-Boden Ideologie und einen klassischen Rassismus propagieren. Vertreter der Neuen Rechten wollen sich von solchen
Ideologien distanzieren, da sie wissen, dass sie damit auf breite
Ablehnung stossen.
In aller Munde
sind in den letzten Wochen die Identitären. Wo sind sie politisch zu
verorten?
Ursprünglich ist der Bloc identitaire, wie sie zunächst hiessen, aus der rechtsextremen Szene in Frankreich heraus entstanden. Doch die Identitären vermeiden es inzwischen, einen klassischen Rassismus zu verwenden. Vielmehr sprechen sie von der anderen Kultur und von der Verteidigung der eigenen kulturellen Identität. So sind die Identitären vom Diskurs her von der Neuen Rechten beeinflusst, haben aber weiterhin Verbindungen zum rechtsextremen Lager.
Wie sieht die
Situation bezüglich Rechtsextremismus in der Schweiz aus?
In der Schweiz gibt es seit über 30 Jahren eine rechtsextreme Szene. Sie ist europaweit vernetzt, öffentlich aber relativ wenig präsent. Es gibt ein paar einschlägige Zeitschriften, Social Media Feeds, immer wieder Treffen und Konzerte.
Wie jenes im
St.Gallischen Unterwasser vergangenes Jahr mit 5000 Rechtsextremen.
Das Problem ist, dass die Öffentlichkeit immer sehr erstaunt ist, wenn einmal etwas passiert, wie das Konzert damals. Das hängt damit zusammen, dass die Kenntnisse über die rechtsextreme Szene in der Schweiz sehr gering sind. Es werden wenig Anstrengungen unternommen, um dies zu ändern, um breite Aufklärungsarbeit zu leisten.
Was wäre
nötig?
Auch in Skandinavien gibt es nur eine relativ kleine rechtsextreme Szene, aber die Behörden setzen sich intensiv mit Thema auseinander, es gibt spezielle Ausbildungskurse für die Polizei, Informations- und Sensibilisierungskampagnen unter Jugendlichen werden organisiert, an Schulen wird Aufklärung betrieben. Bei uns in der Schweiz ist die Sensibilität für Rechtsextremismus kleiner als in vielen anderen Ländern.
Haben Sie Hoffnung für die weitere Entwicklungen in Europa?
Was in den USA mit dem Wahlsieg Donald Trumps und nun in Charlottesville geschehen ist, hat viele in Europa aufgeschreckt. Es könnte ein Fanal sein, so dass man solche Entwicklungen, die vieler Hinsicht ihren Ursprung in Europa haben, nicht mehr akzeptiert und sich die Zivilgesellschaft, die Medien, die Politik wieder vermehrt und mit Nachdruck gegen Fremdenfeindlichkeit, Diskriminierung und Nationalismus engagiert.