Für ihre Impfstrategie wurde die Europäische Union heftig geprügelt. Manches war überzogen. So mussten die Produktionsanlagen für die Corona-Vakzine erst aufgebaut werden. Dennoch sah die EU im Vergleich etwa mit Ex-Mitglied Grossbritannien schlecht aus. Nun aber vermelden die «Kernländer» Deutschland und Frankreich gute Nachrichten.
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So wurden in Deutschland allein am Mittwoch rund 656’000 Impfdosen verabreicht. Das waren 290’000 mehr als am Vortag. Verantwortlich dafür ist der Einstieg der Hausärzte, die der bislang schleppenden deutschen Impfkampagne offensichtlich Schub verleihen. Knapp 14 Prozent der deutschen Bevölkerung hat mindestens eine Impfdosis erhalten.
Fast noch eindrücklicher ist die Entwicklung in Frankreich. Dort musste Präsident Emmanuel Macron am 31. März den dritten landesweiten Lockdown anordnen, nachdem die Strategie, sich mit hohen Infektionszahlen durchzuwursteln, krachend gescheitert war. Zuvor hatte Macron eine Beschleunigung des bislang lahmen Impftempos befohlen.
Pro Woche sollen eine Million Spritzen verabreicht werden, forderte Macron: «Es gibt keine Feiertage, keine Wochenenden. Wir müssen jeden Tag impfen, auch abends.» Dazu wurden im ganzen Land riesige Impfzentren aufgebaut, unter anderem im Stade de France. Geimpft wird in Militärspitälern, auch die Tier- und Zahnärzte werden eingespannt.
Nun zeigen sich erste Erfolge. Am Donnerstag konnte Ministerpräsident Jean Castex verkünden, dass mehr als zehn Millionen Menschen mindestens eine Dosis erhalten haben. Das entspricht rund 15 Prozent der Bevölkerung. Damit sei Frankreich dem bisherigen Zeitplan um rund eine Woche voraus, sagte Castex beim Besuch eines Impfzentrums.
Die Erfolgsmeldungen aus Deutschland und Frankreich mögen eine Momentaufnahme sein, denn alles steht und fällt mit der Lieferung der Impfstoffe. Doch auch hier sieht es für Europa immer besser aus. In Frankreich wurde am Mittwoch ein Werk in Betrieb genommen, in dem das Vakzin von Pfizer/Biontech produziert wird. Und weitere Lieferungen sind in der Pipeline.
Ab 19. April soll der Impfstoff des US-Herstellers Johnson & Johnson in Europa zum Einsatz kommen. Die EU hat 200 Millionen Dosen bestellt, mit einer Option auf die gleiche Menge. Er kann in einem normalen Kühlschrank gelagert werden, und vor allem genügt eine Dosis für die Immunisierung. Dies dürfte die Impfkampagne in Europa zusätzlich ankurbeln.
Die Schweiz hat nichts davon, denn das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat die Verhandlungen mit J&J zu spät aufgenommen und will darauf verzichten, trotz vorhandener Zulassung durch Swissmedic. Dabei wurde das Vakzin quasi vor den Augen des BAG entwickelt, in Bümpliz bei Janssen Vaccines, der Impfstoffsparte des Mischkonzerns.
Zwar erhält auch die Schweiz immer mehr Nachschub von Moderna und Pfizer/Biontech, doch bei den Menschen, die mindestens eine Dosis erhalten haben, liegt sie hinter den meisten EU-Ländern. Überhaupt hat man das Gefühl, bei uns gehe es ziemlich gemächlich voran. So herrschte über Ostern bei uns Impfpause, anders als in Macrons Frankreich.
Gesundheitsminister Alain Berset musste im März das Impfziel um einen Monat nach hinten verschieben. «Bis spätestens Ende Juli erhalten alle, die dies wollen, mindestens eine Impfdosis», sagte Berset. Dafür aber müssen Pfizer/Biontech und Moderna rechtzeitig liefern. Von einer Beschleunigung des Impftempos will man in Bern nichts wissen.
Die Halbierung von Impfdosen oder die Verabreichung von vorerst nur einer Impfdosis seien kein Thema, sagte Patrick Mathys vom BAG am Mittwoch vor den Medien. Dabei wird diese Strategie in Grossbritannien mit einigem Erfolg praktiziert. Auch in den Kantonen geht es nur langsam vorwärts. Teilweise wird die breite Bevölkerung erst ab Juni geimpft.
In dieses Bild passt auch der Streit um ein angebliches Angebot von Lonza an den Bund, in Visp eine eigene Produktionslinie für den Impfstoff von Moderna aufzubauen. Was genau ablief, bleibt diffus. Einen Beleg für eine offizielle Anfrage von Lonza gibt es nicht, und Verwaltungsratspräsident Albert Baehny äusserte sich zum Thema widersprüchlich.
Über die Verwendung des Impfstoffs entscheidet nicht Lonza, sondern Moderna. Die Schweiz kann ihn auch nicht einfach in Visp «abzapfen». Endabmischung und Abfüllung finden in einem Werk in Spanien statt, die Verteilung an die Empfänger erfolgt via Belgien. Aber es bleibt ein Gefühl, dass für die Schweiz mehr möglich gewesen wäre.
Die «NZZ am Sonntag» ortete bei Bundesrat Berset ein «gestörtes Verhältnis zur Pharmaindustrie». Berset und seine Entourage bekundeten Mühe, einen Draht zur privaten Wirtschaft zu finden und zu erhalten, kritisierte die Zeitung. «Es ist traurig, dass die Regierung nicht mit uns reden wollte», sagte ein nicht näher definierter Pharma-Manager.
«Es hätte sicher Momente gegeben, in denen ein runder Tisch Dinge beschleunigt hätte», so der Manager. Einmal mehr fragt man sich, warum die Schweiz als einer der weltweit führenden Pharma- und Forschungsstandorte es nicht geschafft hat, sich einen Vorteil bei den Corona-Impfungen zu erarbeiten. Sie hätte ja nicht gleich die USA kopieren müssen.
Diese steckten mit der Operation Warp Speed Milliarden in die Entwicklung und Produktion von Impfstoffen. Mit beträchtlichem Erfolg: Ab 19. April sollen alle Erwachsenen einen Impftermin bekommen. In solchen Fällen sind die Amerikaner hemmungslos pragmatisch, während ein solches Vorgehen bei uns wohl als «unschweizerisch» bezeichnet würde.
Es ist möglich, dass die Schweiz in den nächsten Wochen den Impfturbo zünden kann. Dennoch bleibt ein Unbehagen über das «Beamtentum» und die damit verbundene Nullrisiko-Mentalität, mit der Bund und Kantone auf diese gewaltige Herausforderung reagieren. Weshalb die Schweiz nun sogar von der EU abgehängt werden könnte.
Mich nervt es langsam richtig. Erste Dosis bis Ende Juli? Das heisst vollständig geimpft ist man Ende August. Und auch dieses Ziel werden wir wohl mit Bravur verfehlen. Das ganze ist ein grosses Fiasko, vor allem wenn man wir uns mit den Vereinigten Staaten vergleichen.
Das Problem: Niemand im BAG muss um seine Stelle fürchten. Wieso sollte man sich dann also noch extrem viel Mühe geben?
Für die CH-Seele die grösstmögliche Beleidigung, tiefer kann man nicht mehr fallen;-)
Impfen kommt nicht voran und das Testen kommt auch nicht voran.
Aber immerhin haben wir 1 Monat lang über Terrassen gestritten.
Noch schimmer ist, das der zuständige Bundesrat die fortlaufenden Missstände beim BAG völlig zu ignorieren scheint.