Dienstag, 20. September 2016. An die Religionsattachés in den türkischen Botschaften von über 30 Ländern ergeht ein Befehl aus Ankara. Die Länderverantwortlichen erhalten den Auftrag zum Spitzeln. Bis «Dienstschluss» am Dienstag, 27. September, sollen sie «detaillierte Berichte» über die Gülen-Bewegung in ihrem Land abliefern.
Nicht mal Kindergärten bleiben verschont. Im Befehl aus der Giftküche des Präsidenten Recep Erdogan wird detailliert aufgezählt, was von den Zuträgern verlangt wird: «Informationen über Organisationen/Strukturen, Aktivitäten, Bildungseinrichtungen (Kindergärten, Volks- und Mittelschule, Fakultäten, Heime etc.), Nichtregierungsorganisationen, Hilfsorganisationen, Human Resources, Vereine, die kulturelle Aktivitäten durchführen etc. der Fetö in Ländern/Gebieten, wo Sie tätig sind.»
Die Fetö (steht für «Fethullahistische Terrororganisation») ist laut dem türkischen Präsidenten Erdogan eine Organisation, die vom Prediger Fethullah Gülen geleitet wird. Gülen ist der angebliche Anführer des gescheiterten Putsches gegen Erdogan vom Juli 2016. Seither versucht Erdogan, die Gülen-Bewegung weltweit auszumerzen.
Erdogans Mann in der Schweiz verpetzt seine Landsleute pünktlich. Am 27. September 2016 übermittelt Engin Yilmaz, der Stellvertretende Botschaftsrat für religiöse Angelegenheiten der türkischen Botschaft in Bern, seinen Geheimdienstbericht an das Präsidium für Religionsangelegenheiten in Ankara. Yilmaz ist auch Imam der türkischen Moschee in Zürich Oerlikon.
Im anderthalbseitigen Spitzelrapport, der der «Nordwestschweiz» auf Türkisch und in deutscher Übersetzung vorliegt, skizziert Yilmaz die Verbreitung der Gülen-Bewegung in der Schweiz. Fetö verfüge über «viele Organisationszentren in der Schweiz». Als «Imam der Organisation für die Schweiz» wird «der Journalist und Schriftsteller Ismet Macit» bezeichnet. «Unseren Informationen zufolge sind in letzter Zeit aus der Türkei geflohene militante Fetö-Anhänger in die Schweiz gekommen und haben sich hier niedergelassen», steht im Papier weiter. Zudem beeinflusse die Organisation «mit finanziellen Mitteln die Medienberichterstattung in der Schweiz zuungunsten der Türkei».
Der Bericht zeigt auch, dass Gläubige bespitzelt werden. Gülen-Anhänger gingen seit dem Putsch nicht mehr «in unsere Moscheen», sondern in die anderer Gruppen, so der Rapport. In der Schweiz mit ihren 120'000 türkischstämmigen Bürgern sei Fetö gerade im Bildungsbereich sehr aktiv und verdiene viel Geld. Etwa 500 Schüler von Fetö-Bildungsinstituten brächten der Organisation «jährlich ca. 2 Millionen Schweizer Franken ein». Die Organisation werde zudem vom Unternehmer Club Schweiz (UCS) finanziert, «dessen Mitglieder Geschäftsmänner sind». Der UCS ist eine türkische Unternehmervereinigung mit Sitz in Zürich.
Es werde vermutet, dass «die Einnahmen aus der Schweiz sowie die Gelder aus der Türkei und anderen Ländern auf geheime Bankkonten in der Schweiz überwiesen» würden. Eine ganze Reihe von Bildungseinrichtungen wird aufgezählt, die angeblich Fetö-kontrolliert sind: die Sera-Schule in Zürich, die Elite-Bildungszentren in Basel und Lausanne, der Aare-Bildungsverein in Solothurn, das Säntis-Bildungsinstitut in St.Gallen, drei Ekol-Bildungszentren sowie das Elite- und das Fokus-Bildungszentrum in Zürich. Als Nichtregierungsorganisationen, die mit Fetö verbunden seien, zählt der Bericht auf: Ideal-Kulturverein, Anatolien-Kulturverein, Dialog-Institut, Stiftung Lernforum, Plus-Kulturzentrum, Rosarium-Frauenkulturzentrum, Berna-Frauenkulturzentrum, Time To Help.
Der Spitzelrapport ist dem bekannten österreichischen Nationalrat der Grünen, Peter Pilz, zugespielt worden. Ihm ist zu verdanken, dass die Sache jetzt in der Schweiz öffentlich wird. Der Wiener Sicherheitspolitiker ist seit Monaten daran, Erdogans Spitzelnetzwerk aufzudecken. Er sagt zur «Nordwestschweiz»: «Wir haben Dokumente aus 35 Staaten; sie stammten aus den türkischen Botschaften. Wir zerschlagen jetzt Staat für Staat diese Netzwerke, die Erdogan installiert hat.»
Gestützt auf seine Unterlagen, hat die Wiener Staatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet. Wie Pilz im Fall Österreich darlegte, verfügt Erdogan über ein ausgedehntes Spitzelnetzwerk. In der Schweiz ist das nicht anders, wie auch der Geheimrapport aus Bern klarmacht.
Pilz arbeitete mit den hiesigen Grünen zusammen. Nationalrat Balthasar Glättli will das Papier inhaltlich noch nicht kommentieren: «Wir sind daran, in der Schweiz ergänzende Recherchen über die Infos von Peter Pilz hinaus zu machen und werden damit zu gegebener Zeit vor die Medien treten.»
Unklar ist, ob die Schweizer Bundesanwaltschaft in Sachen Türken-Spitzel ermittelt. Es geht mutmasslich um verbotenen Nachrichtendienst. Eine Sprecherin sagt, dass «zurzeit» kein Strafverfahren laufe. Es seien «laufend verschiedene Abklärungen und Analysen im Gang, die aus ermittlungstaktischen Gründen nicht kommentiert werden.»
Inzwischen greift Erdogan auch in seiner Berner Botschaft durch. Laut «Tages-Anzeiger» ersuchen verschiedene türkische Diplomaten um Asyl in der Schweiz. Unter ihnen ist Volkan Karagös, der noch letztes Jahr als Botschafter ad interim in Bern amtete. Jetzt wirft Erdogan auch ihm vor, den Prediger Gülen zu unterstützen.