Die US-Regierung hat Ende August erneut Tausende E-Mails vom Server der ehemaligen US-Aussenministerin Hillary Clinton veröffentlicht. Die Präsidentschaftskandidatin hat die Publikation angeregt, um dem Eindruck entgegenzuwirken, sie habe durch den Gebrauch einer privaten E-Mail-Adresse während ihrer Amtszeit etwas verbergen wollen.
Aus Schweizer Sicht interessant ist eine E-Mail vom 8. März 2010: Das Schreiben, das in Clintons Postfach (Kürzel «H», siehe Ausriss) landete, weckt Zweifel an der Loyalität der USA während der schweizerisch-libyschen Geiselkrise zwischen 2008 und 2010.
Eine hochrangige US-Diplomatin in Tripolis berichtet darin ihren Kollegen in Washington von einem schwierigen Telefonat mit einer Funktionärin des damaligen Diktators Muammar al-Gaddafi: Die Libyerin habe sich dabei auch ausführlich über die Schweiz beschwert. Unter anderem habe sie sich im Detail über «das kriminelle Verhalten und die Missachtung von internationalen Vereinbarungen» durch die Eidgenossenschaft beklagt.
Die US-Diplomatin gab sich laut der E-Mail Mühe, möglichst neutral zu bleiben. «Ich betonte, die USA seien nicht in den schweizerisch-libyschen Disput involviert und wollten auch nicht involviert werden. Wir hofften bloss, dass die Angelegenheit bald bereinigt werde.»
Dass sich die Amerikaner gegenüber Libyen offenbar nicht für die Schweiz einsetzten, ist bemerkenswert: Denn offiziell signalisierten sie der Schweiz stets ihre Unterstützung im Konflikt mit Gaddafi. In einem Zeitungsinterview im Oktober 2009 sagte der damalige US-Botschafter in Bern, Donald S. Beyer: «Nicht nur die US-Regierung, auch andere Regierungen würden der Schweiz gerne helfen.» Er hoffe auf eine baldige Rückkehr der Schweizer Geiseln. Diese sassen zu diesem Zeitpunkt seit über einem Jahr in Libyen fest.
Die amerikanische Botschaft in Bern stellte gestern auf Anfrage der «Nordwestschweiz» den Widerspruch zwischen der E-Mail der US-Diplomatin und den Aussagen von Ex-Botschafter Beyer nicht explizit in Abrede, betonte aber: «Zwischen den beiden Aussagen vergingen mehrere Monate, und sie reflektieren die jeweiligen Umstände, in denen sie gemacht wurden. In beiden ist der Wunsch nach einer schnellen und erfolgreichen Beendigung der Situation klar ersichtlich.»
Die harzigen, total zwei Jahre dauernden Freilassungsbemühungen des Bundesrates fruchteten wenige Monate nach der E-Mail der US-Diplomatin, jedoch ohne entscheidende Hilfe der USA: Am 14. Juni landete die letzte verbliebene Geisel, Max Göldi, in Begleitung der damaligen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey am Flughafen Zürich-Kloten.
Weitere Dokumente von Hillary Clintons Server mit Bezug zur Schweiz geben einen eher unspektakulären Einblick in den Arbeitsalltag der Ex-Aussenministerin. Am 10. Juli 2009 erhielt sie etwa von einer persönlichen Mitarbeiterin eine E-Mail mit ihrem Tagesprogramm. Darauf ist als erster Punkt vermerkt: «Telefongespräch mit der Schweizer Bundesrätin Micheline Calmy-Rey». Das viertelstündige Telefonat mit Calmy-Rey fand gemäss Programm um halb acht Uhr morgens (Lokalzeit) in Clintons persönlicher Residenz statt. Etwas mehr als zwei Wochen später reiste Calmy-Rey zu ihrer Amtskollegin in die Vereinigten Staaten.
Ein anderer Ausschnitt aus Clintons Mailverkehr stammt vom Winter 2010: Nachdem die Enthüllungsplattform Wikileaks damit begonnen hatte, Depeschen von US-Botschaften aus der ganzen Welt zu veröffentlichen, erhielt Clinton von der Botschaft in Bern eine Übersicht über die Berichterstattung der Schweizer Medien. Erwähnt wird auch ein Artikel über die Kontaktpersonen von Wikileaks-Gründer Julian Assange in der Schweiz. Der Bericht erschien am 2. Dezember 2010 in dieser Zeitung – und landete als Zusammenfassung im Postfach Clintons.