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Nachverhandlungen mit der EU?

ARCHIVBILD ZUR MK DES BUNDESRATES ZU DEN BEZIEHUNGEN SCHWEIZ - EU, AM MITTWOCH, 4. JULI 2018 - A limousine with the flags of the European Union and Switzerland waits in front of the Bernerhof, during  ...
Der Streit über das Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU geht weiter.Bild: KEYSTONE

Nachverhandlungen mit der EU? Die Schweiz hofft trotz Brexit-Nein

Die Schweiz und Grossbritannien haben ein ähnliches Problem: ihre Abkommen mit der EU finden im eigenen Land keine Mehrheit. Die EU schliesst Nachverhandlungen zum Brexit aus, zeigt sich aber gesprächsbereit. Die Schweiz hofft auf Nachverhandlungen zum Rahmenabkommen.
17.01.2019, 04:14
Barbara Inglin und Remo Hess / ch media
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Die Schweiz und Grossbritannien haben ein ähnliches Problem: Beide haben ein Abkommen mit der EU verhandelt, das weit davon entfernt ist, im eigenen Land eine Mehrheit zu finden. Was für die Briten die Frage des sogenannten Backstop ist, also die Garantie einer unsichtbaren Grenze in Nordirland, ist für die Schweiz die Personenfreizügigkeit.

epa07285836 Jean-Claude Juncker, President of the European Commission, delivers his speech at the European Parliament in Strasbourg, France, 15 January 2019, during the debate on the Review of the Aus ...
Jean-Claude JunckerBild: EPA/EPA

Genauer: die Aufweichung der flankierenden Massnahmen zum Lohnschutz und die drohende Übernahme der Unionsbürgerrichtlinie. Sie stellen die roten Linien dar, die einen Abschluss des Rahmenabkommens verhindern. Nachverhandlungen über diese Punkte, das machte die EU mehrmals klar, kommen nicht infrage. Die Schweiz müsse sich entscheiden. Gegenüber den Briten tönt es gleich.

So auch am Mittwoch, am Tag nach der Ablehnung des Brexit-Deals im britischen Parlament. Er nehme das Ergebnis mit Bedauern zur Kenntnis, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Die Briten sollten nun «so rasch wie möglich» sagen, wie es weitergehen soll. Juncker: «Die Zeit ist fast abgelaufen.»

Die roten Linien der Briten

EU-Chefverhandler Michel Barnier bezeichnete das Austrittsabkommen bei einer Sonderdebatte im EU-Parlament einmal mehr als den «bestmöglichen Kompromiss». Die Gründe für die Ablehnung im britischen Parlament seien sehr unterschiedlich, sogar widersprüchlich gewesen, so Barnier. Er verwies damit auf die Tatsache, dass der Deal sowohl von einem Teil der Regierungspartei als auch von der linken Labour-Opposition abgelehnt wurde. An jene Labour-Abgeordneten, die gegen den Deal stimmten, weil er ihnen einen zu harten Bruch mit der EU herbeiführt, signalisierte Barnier Offenheit. Eine ambitioniertere Partnerschaft, die über ein einfaches Freihandelsabkommen hinausgehe, sei jederzeit möglich. Dazu müsste Grossbritannien aber seine roten Linien revidieren, sprich die Personenfreizügigkeit und die Regeln des Binnenmarkts akzeptieren.

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Michel BarnierBild: EPA/EPA

Klar ist aber auch: Für eine sehr weiche Brexit-Variante gibt es im britischen Parlament keine Mehrheit. Auf der anderen Seite würden sich die Brexit-Hardliner auch bei Zugeständnissen wie der zeitlichen Beschränkung des Backstop auf zum Beispiel fünf oder zehn Jahre kaum besänftigen lassen. Die Briten, so scheint es, wissen einfach nicht, was sie wollen.

Angesichts dessen deutet vieles darauf hin, dass der auf den 29. März angesetzte Brexit verschoben werden könnte. Die Rede ist von drei Monaten bis Ende Juni, um zusätzliche Gespräche zu führen. Es sei weiterhin «unsere absolute Priorität», dass es zu einem geordneten EU-Austritt des Vereinigten Königreichs komme, so Michel Barnier am Mittwoch.

Eine Chance für die Schweiz?

Die EU signalisiert Grossbritannien also eine gewisse Gesprächsbereitschaft. Was bedeutet das für die Schweiz und das Rahmenabkommen? «Das ist alles Spekulation und Kaffeesatzlesen», meinte Bundespräsident Ueli Maurer am Mittwoch auf eine entsprechende Frage. Kürzlich hatte er angekündigt, dass er mit der EU Nachverhandlungen über das Rahmenabkommen führen wolle. EU-Kommissar Johannes Hahn erklärte Nachverhandlungen hingegen für ausgeschlossen.

Bundespraesidient Ueli Maurer spricht waehrend einer Medienkonferenz am Mittwoch, 16. Dezember 2018 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Ueli MaurerBild: KEYSTONE

Zentral seien für den Bundesrat nun die anstehenden Konsultationen mit den Parteien und weiteren Organisationen, sagte Maurer am Mittwoch. Man wolle herausfinden, welches die wichtigsten Bedürfnisse seien (siehe Kasten unten). Und dann nochmals das Gespräch mit der EU suchen.

Auch Staatssekretär Roberto Balzaretti betonte, die Entwicklungen in Grossbritannien solle man nicht überbewerten. «Wir müssen schauen, was für ein Abkommen wir auf dem Tisch haben, und uns damit auseinandersetzen.» Die EU habe zwar betont, der Text sei endgültig. EU-Kommissar Hahn habe aber auch gesagt, die Tür für Verhandlungen sei zwar zu, aber nicht abgeschlossen.

ARCHIVBILD - ZUR CVP-BUNDESRATSKANDIDATIN ELISABETH SCHNEIDER-SCHEITER STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG - Elisabeth Schneider-Schneiter, CVP-BL, spricht an der Herbstsession der ...
Schneider-SchneiterBild: KEYSTONE

Elisabeth Schneider-Schneiter, Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission, sieht gewisse Parallelen. «Die Schweiz und Grossbritannien sind in einer vertrackten Situation», sagt die CVP-Nationalrätin. Das mit der EU ausgehandelte Abkommen sei im Inland nicht mehrheitsfähig, ein Ausstieg aus den bilateralen Verträgen aber auch nicht. Beim Rahmenabkommen könnten Nachverhandlungen zu einer besseren Akzeptanz im Inland führen, sagt Schneider-Schneiter. So müsse etwa die Unionsbürgerschaft explizit ausgeschlossen werden können, und für die flankierenden Massnahmen brauche es mehrheitsfähige Lösungen.

Aussenpolitikerin Christa Markwalder wertet es positiv, dass die EU Grossbritannien ein gewisses Entgegenkommen signalisiert. Die Schweiz sei aber in einer anderen Situation. «Grossbritannien befindet sich in Scheidungsverhandlungen mit der EU, wir versuchen, unser Konkubinat zu regeln. Von den allfälligen Kollateralschäden der Scheidung wollen wir nicht betroffen sein», sagt die FDP-Nationalrätin. Darum konzentriere sich die Schweiz besser auf die eigenen Verhandlungen, statt auf die Briten zu fokussieren. Das Rahmenabkommen, wie es jetzt vorliege, enthalte Rechte und Pflichten, bringe der Schweiz aber auch viele Vorteile. Komme es zu Neuverhandlungen, könnte auch die EU neue Forderungen aufbringen, gibt Markwalder zu bedenken. «Diese Risikoabwägung müssen wir machen.» (aargauerzeitung.ch)

Der Bundesrat startet die Konsultation
Der Bundesrat will den relevanten Akteuren den Puls zum institutionellen Rahmenabkommen mit der EU fühlen, und zwar persönlich. Er hat sich dafür entschieden, die Akteure zu Treffen und mit Vertretern der Regierung einzuladen. Am 7. Dezember hatte der Bundesrat vom Verhandlungsergebnis Kenntnis genommen – und von der Tatsache, dass die EU die Verhandlungen als abgeschlossen betrachtet. Er beauftragte die zuständigen Departemente, Konsultationen durchzuführen. Gestern hat der Bundesrat nun die Modalitäten für die Konsultation festgelegt. Es handle sich nicht um eine Vernehmlassung im Sinne des Gesetzes, sondern um direkte Treffen und Kontakte, um die Standpunkte der betroffenen Kreise einzuholen, schreibt er in einer Mitteilung. Das Ziel sei es, «interaktive Diskussionen» über die Vor- und Nachteile des Abkommensentwurfs zu führen und eine konsolidierte Position in Bezug auf die offenen Punkte zu erarbeiten. Der Bundesrat erwartet von den Teilnehmenden nach den Gesprächen eine schriftliche Rückmeldung. (SDA)

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23 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ökonometriker
17.01.2019 06:52registriert Januar 2017
Die Probleme der Schweiz sind nun wirklich in keinster Weise mit dem Brexit vergleichbar. GB will sich von der EU trennen und verhandelt unter extremen Zeitdruck die Scheidungsmodalitäten. Eine Einigung liegt noch in weiter Ferne.

Die Schweiz und die EU möchten hingegen enger kooperieren und verhandeln mit deutlich weniger Zeitdruck quasi einen Hochzeitsvertrag. Man ist sich bereits bei den meisten Punkten einig und muss noch einige Details klären. Klar, wegen dem Brexit muss die EU einen auf hart machen, was die Verhandlungen verlangsamt. Aber am Ende wollen hier beide Seiten voran kommen.
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Fairness
17.01.2019 07:01registriert Dezember 2018
Die EU gehört dringenst reformiert. Sie soll sich auf ihre ursprünglichen Aufgaben nämlich grenzüberschreitende Probleme wie Flüchtlings- und Aussenpolitik, Verkehrswege und den Aufbau einer gemeinsamen Armee besinnen und sich nicht diktatorisch undständig drohend in die Souveranität der Staaten einmischen. Das gibt alles andere alsVertrauen. Über 500 Jahre brauchte die Schweiz um zur Schweiz zu werden. Das Zusammenwachsen geht auch heute nicht viel schneller.
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