Der Bundesrat hat gestern beschlossen, die Massnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus um eine Woche, bis zum 26. April, zu verlängern. Fast im gleichen Atemzug liess er verlauten, dass noch vor Ende des Monats erste Massnahmen «vorsichtig und schrittweise» gelockert werden.
Dazu veröffentlichte er eine Grafik, auf der zum ersten Mal ein konkreter Überblick zur Epidemieentwicklung in der Schweiz ersichtlich ist. Inklusive Zukunftsaussichten.
Diese Grafik stellt insofern ein Novum dar, als dass sie einen Blick in die Zukunft wagt und erahnen lässt, wohin uns die Reise ungefähr führen wird. Bisher hielt sich der Bundesrat in Sachen Prognosen ziemlich bedeckt.
Trotzdem sind noch viele Punkte unklar, die Grafik ist sehr allgemein gehalten. Wie haben sie uns genauer angeschaut und erklären, was sie aussagt und was nicht.
Diese drei Wörter kursieren seit Beginn der Epidemie durchs Netz, nun werden sie auch vom Bundesrat in den Mund genommen.
Von vorne: Containment bedeutet Eindämmung. Damit bezeichnet man den Versuch, das Virus komplett zu unterdrücken. Containment funktioniert nur, wenn die Fallzahlen tief genug sind. Denn um erfolgreich einzudämmen, bedarf es ein rigoroses Nachverfolgen der Kontakte von Infizierten mit anschliessender Abschirmung. Auch weitreichendes Testen gehört zu dieser Strategie.
Daniel Koch, Leiter der Abteilung übertragbare Krankheiten des Bundesamt für Gesundheit (BAG), meinte kürzlich bei einer Pressekonferenz, dass für ein erfolgreiches Containment 50 bis 100 Personen pro Infektionsfall unter Quarantäne gestellt werden müssten.
Nun lässt die Grafik durchblicken, dass wir uns zu Beginn der Epidemie, also seit dem ersten Corona-Nachweis am 25. Februar, in der Containment-Phase befanden. Der Bundesrat hat in dieser Phase verschiedene Massnahmen ergriffen, wie zum Beispiel das Social Distancing oder die Abschirmung vulnerabler Gruppen.
Doch der Versuch der Eindämmung scheiterte und führte uns am 16. März in die nächste Phase.
Mitigation lässt sich am besten mit Schadensbegrenzung übersetzen. Die Abschirmung und Verfolgung von Infizierten ist aufgrund der hohen Fallzahlen nicht mehr möglich, also versucht man, mit Isolations- und Hygienemassnahmen, wie sie der Bundesrat am 16. März beschlossen hat, die Ansteckungen zu minimieren.
Ziel dieser Massnahmen ist es, den R0-Wert unter den Wert 1 zu drücken. Nur so lässt sich die Kurve abflachen. Der R0-Wert bezeichnet die Basisreproduktionsrate, also die durchschnittliche Anzahl Menschen, die ein mit dem Coronavirus Infizierter ansteckt. Werden keinerlei Massnahmen getroffen, so liegt der R0-Wert für das Coronavirus ungefähr zwischen 2-3, was exponentielles Wachstum bedeutet.
Laut der Grafik befinden wir uns also zurzeit in der Mitigationsphase. Ist diese Phase erfolgreich, führt uns das zu Punkt drei.
Schaffen wir es, die Basisreproduktionsrate unter 1 zu drücken, so sieht der Bundesrat eine Rückführung in die Containment-Phase vor. Begleitet würde dieser Prozess von einer Transitionsphase (oranger Kreis).
Wie diese Übergangsphase aussehen könnte, wurde an der Pressekonferenz vom Mittwoch angedeutet. Ab dem 26. April sollen die getroffenen Massnahmen aus der Mitigationsphase schrittweise gelockert werden.
Danach geht es zurück zu Phase eins, Containment. Dies bringt uns zu den Dingen, die die Grafik uns nicht sagt.
Das wohl grösste Fragezeichen bei dieser Grafik ist der aktuelle Status der Schweiz. Haben wir den Peak schon erreicht?
Die Geschwindigkeit der Ausbreitung hat in den letzten Tagen tatsächlich deutlich abgenommen. «Die Massnahmen zeigen Wirkung», liess der Bundesrat verlauten. Setzt sich dieser Trend fort, dürften wir uns momentan kurz nach dem Peak befinden.
Ähnlich sieht es auch der Epidemiologe Christian Althaus von der Universität Bern. Am Donnerstagvormittag veröffentlichte er neuste Einschätzungen zum R0-Wert in der Schweiz. Seinen Berechnungen zufolge konnte dieser dank der getroffenen Massnahmen auf 0.59 gesenkt werden.
Social distancing measures in Switzerland seem to have been effective and reduced the reproduction number of #COVID19 to 0.59 (95% CI: 0.36-0.89). Question now is by how much can the interventions be relaxed on 26 April? @ISPMBern @unibern https://t.co/fAermeev1u pic.twitter.com/7da4n6h5PZ
— Christian Althaus (@C_Althaus) April 9, 2020
Trifft Althaus' Berechnung zu, wäre das ein sensationeller Wert, der mit jenem in Wuhan vergleichbar ist. Ende Monat könnten wir so tatsächlich mit der Lockerung der Massnahmen beginnen und dereinst zurück zur Containment-Strategie wechseln.
Wie genau eine solche Containment-Phase aussehen würde, ist auf der Grafik nicht ersichtlich. Der Grund ist simpel: Es ist zu früh, einen solchen Plan zu erstellen. Der Bundesrat wird sich erst am 16. April über die Ausgestaltung der Übergangsphase beraten.
Einen Blick auf andere Länder wie Südkorea oder Singapur zeigen jedoch, was es braucht, um eine zweite Ansteckungswelle zu vermeiden:
Auch eine Zusammenarbeit mit dem Ausland ist unumgänglich, da sich das Virus nicht an Landesgrenzen hält.
Was ebenfalls nicht ersichtlich ist, ist die Anzähl Fälle, ab der man wieder zurück zur Stufe Containment wechseln kann. Ein rigoroses Contact-Tracing beansprucht eine Menge Ressourcen und ist mit einer zu hohen Anzahl Infizierter nicht umsetzbar.
Das Containment ist aber nur so lange erfolgreich, wie sich R0 unter dem Wert 1 bewegt. Sobald die Basisreproduktionsrate diesen Wert wieder übersteigt, wird der Bundesrat schärfere Massnahmen zur Eindämmung ergreifen müssen.