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Gesundheit

Exzessiver Pornokonsum: So verändert er laut Experten das Sexualverhalten

Wie beeinflussen Pornos unsere Sexualität? Und was ist, wenn man zu viel davon konsumiert?
Wie beeinflussen Pornos unsere Sexualität? Und was ist, wenn man zu viel davon konsumiert? bild: shutterstock

Was zu viel Porno mit dir macht

Übermässiger Pornokonsum kann zu mehr sexuellen Übergriffen führen. Das zeigt eine Studie aus Schweden. Wir haben bei drei Experten kritisch nachgefragt.
29.01.2020, 10:2029.01.2020, 12:35
Helene Obrist
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Der Konsum von harter, gewaltvoller Pornografie kann zu strafbarem Sexualverhalten führen. Über diese These berichtete jüngst die NZZ am Sonntag. Einige Männer verspürten den Wunsch, das Sexualverhalten, das sie in pornografischen Filmen sehen, in Wirklichkeit auszuprobieren, so Andreas Hill, Leitender Arzt an der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.

Auch eine Studie aus Schweden kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: So konsumieren 10,5 Prozent der 18-jährigen Männer täglich Pornos – mehr als die Hälfte davon gab an, die in den Filmen gesehenen sexuellen Praktiken in Wirklichkeit ausprobieren zu wollen. Ein gutes Viertel dieser Männer beging auch sexuelle Übergriffe – deutlich mehr als diejenigen, die seltener Pornografie konsumierten.

Wir haben bei drei Experten nachgefragt und wollten wissen, ob sie die gleichen Beobachtungen gemacht haben und wie sich exzessiver Pornokonsum auf die eigene Sexualität auswirkt.

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bild: bilder zvg/watson

Welchen Einfluss hat eine Pornosucht auf das Sexualverhalten?

«Mir fällt in erster Linie auf, dass exzessiver Pornokonsum die ‹sexuellen Skripts› einer Person beeinflussen kann. Sexualität wird mehr und mehr von sozialen Faktoren geprägt. Sex wird vermehrt als ‹casual› ohne grosses Commitment angesehen. Und man kriegt den Eindruck, dass Sex genauso stattfinden muss, wie das in Pornos dargestellt wird – mit einem extrem limitierten Aktivitätsspektrum. So verlernen die Menschen zunehmend, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu hören und diese zu entdecken.»
Dr. Andrea Burri, Leiterin und Gründerin des Institute for Sex Counselling and Sexual Sciences (ISCSS)
«Die erste Erregungsquelle bei Männern ist meist eine visuelle. Schaut ein Mann bei der Selbstbefriedigung immer einen Porno, braucht er irgendwann immer diesen spezifischen visuellen Anfangsreiz, um sich zu stimulieren. Irgendwann koppeln sich die Möglichkeit zu einem Orgasmus mit diesen konsumierten Bildern oder Filmen und es geht nicht mehr ohne. Das hat einen Einfluss auf die Sexualität in einer Beziehung. Auch entwickelt man beim Pornogucken keine eigenen Fantasien mehr. Die braucht es aber beim Geschlechtsverkehr.»
Esther Schütz, Sexualtherapeutin und Studienleiterin MA Sexologie
«Wenn sich jemand nur noch mit Pornos in Stimmung bringen kann, führt das zu Lustlosigkeit in der Paarsexualität. Manche fühlen sich nach dem Pornokonsum auch sexuell nicht richtig ‹satt› obwohl sie Stunden dafür aufwenden.»
Adrian Stumm, Sexologe

Führt übermässiger Pornokonsum zu mehr sexueller Gewalt?

«Diese Frage wird hitzig diskutiert. Es gibt immer mehr empirische Forschungsergebnisse, die deutlich aufzeigen, dass übermässiger Pornokonsum tatsächlich zu erhöhtem Vorkommen von sexueller Gewalt führen kann. Zwar wird man mit Längsschnittstudien nicht wirklich Herr über die Kausalität, aber man kriegt einen besseren Einblick was was beeinflussen könnte. Zudem gibt es natürlich weitere Faktoren, die man mit einbeziehen muss: Das Geschlecht, aus welchem Land die Studien stammen, welche Art von Pornos erhoben wurden und so weiter. Und diese Ergebnisse bedeuten noch lange nicht, dass jeder, der Porno exzessiv konsumiert, sexuell gewalttätig wird.»
Dr. Andrea Burri, Leiterin und Gründerin des Institute for Sex Counselling and Sexual Sciences (ISCSS)
«Das kann ich so nicht bestätigen. Es fehlen Langzeitstudien zu diesem Thema – und diese sind dringend nötig. Klinische Studien zeigen zwar, dass ein exzessiver Pornokonsum einen Einfluss auf das Sexualverhalten hat, nicht aber zwingend auf die Gewalttätigkeit einer Person.»
Esther Schütz, Sexualtherapeutin und Studienleiterin MA Sexologie
«Gewaltpornos oder Gewaltfantasien führen zu mehr sexueller Gewalt. Das weiss man schon seit mehreren Jahrzehnten aus der Tätertherapie. Aber die allermeisten Männer wollen Pornos sehen, bei denen die Frau den Sex geniesst.»
Adrian Stumm, Sexologe

Führt exzessiver Pornokonsum dazu, dass man immer härtere Inhalte konsumiert?

«Dazu kenne ich keine Studienergebnisse und kann deswegen auch nichts dazu sagen.»
Dr. Andrea Burri, Leiterin und Gründerin des Institute for Sex Counselling and Sexual Sciences (ISCSS)
«Diese Tendenz stelle ich zum Teil fest. Irgendwann reicht dieses eine Bild oder dieser eine Porno nicht mehr, um sich zu erregen. Man sucht neues, spannenderes Material, das einen erregt. Vielleicht ein bisschen Bondage. Über die Jahre hinweg kann das bei manchen dazu führen, dass sie härtere Pornografie konsumieren, damit sie die Erregung noch aufrecht erhalten können.»
Esther Schütz, Sexualtherapeutin und Studienleiterin MA Sexologie
«Die Reizschwelle ist bei häufigem Konsum immer höher. Die herkömmlichen Filme werden langweilig und ein Gefühl von innerer Leere macht sich breit. Die Pornos werden dann ausgefallener oder härter.»
Adrian Stumm, Sexologe

Ist Pornosucht auch bei Frauen ein Thema?

«In den 15 Jahren in denen ich tätig bin, hat die Zahl der Personen, die bei mir wegen Pornosucht Hilfe suchen, ganz klar zugenommen. Frauen sind aber nach wie vor in der Minderheit.»
Dr. Andrea Burri, Leiterin und Gründerin des Institute for Sex Counselling and Sexual Sciences (ISCSS)
«Vor allem unter den Jugendlichen gibt es auch immer mehr Frauen, die vermehrt Pornos konsumieren. Harte Pornos sind aber für Frauen weniger interessant als für Männer.»
Esther Schütz, Sexualtherapeutin und Studienleiterin MA Sexologie
«Mit Frauen und Pornosucht habe ich bisher keine Erfahrungen gemacht. Man kann aber davon ausgehen, dass es bei Frauen ähnliche Suchtmechanismen sind, wie bei Männern.»
Adrian Stumm, Sexologe

Was kann man gegen Pornosucht tun?

«Wir müssen mehr über die Gefahren des exzessiven Pornokonsums aufklären und gleichzeitig alternative Möglichkeiten und Wege der Sexualerziehung schaffen. Die sexuelle Gesundheit sollte gefördert und ein positives Bild von Sexualität gezeigt werden. Und es braucht mehr Anlaufstellen für Jugendliche, die Hilfe brauchen.»
Dr. Andrea Burri, Leiterin und Gründerin des Institute for Sex Counselling and Sexual Sciences (ISCSS)
«Ich schicke voraus, dass nicht jeder Mann, der Pornos konsumiert, pornosüchtig ist. Wichtig ist die Abwechslung, mal auf den äusseren visuellen Reiz von Porno zu verzichten und ein nächstes Mal von den eigenen Fantasien auszugehen, damit sich diese wieder entwickeln. Wenn Männer stets vor einem Porno sitzen in der Selbstbefriedigung, sind sie in der Regel nicht in Kontakt mit der eigenen Wahrnehmung. Die Erregungssteigerung ist sehr mechanisch und sie gucken sich selbst nicht an. Dieses Verhalten kann durchbrochen werden durch mehr Selbstwahrnehmung und damit auch mehr Genuss. Wer es mit sich selbst geniessen kann, bringt mehr Kompetenzen mit in den sexuellen Austausch zu zweit.»
Esther Schütz, Sexualtherapeutin und Studienleiterin MA Sexologie
«Man kann beispielsweise seine Stimulationstechnik mit den Händen abwechslungsreicher gestalten. Das finden viele anfangs langweilig, weil viele exzessive Pornokonsumenten ein desensibilisiertes Geschlechtsorgan haben. Die Nervenenden im Genital wiederzubeleben ist aber ein wichtiger Schritt, um aus diesem Teufelskreis der pornobasierten Sexualität zu kommen. In einer Beratung geht es aber immer zuerst darum, die eigenen Verhaltensmuster zu verstehen. Blosse Tipps banalisieren das Problem nur.»
Adrian Stumm, Sexualpädagoge
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158 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Max Dick
29.01.2020 10:32registriert Januar 2017
Ist es sexuell abnormal dass man am liebsten Pornos schaut, die sich an schönen Stränden und Palmenparadiesen abspielen und dann eigentlich mehr Lust auf Ferien allgemein bekommt denn spezifisch auf Sex?
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Pümpernüssler
29.01.2020 10:39registriert Juli 2018
Dass der Pornokonsum aber auch positive Effekte auf die eigene Sexualität hat, wird ignoriert. Einfach weiter Porno als Schlimm zu propagieren ist realitätsfremd. Fetische entwickeln sich in der Kindheit. Der Pornokonsum führt nicht zwingend zu neuen Fetischen. Dass sich Teenies Gewaltpornos anschauen, ist wohl mehr Neugier als Neigung.

Dieser Artikel liest sich wie ein Bericht zu gewalttätigen Videospielen. Polemik ungestützt auf Langzeitstudien.
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LiquidIce
29.01.2020 11:23registriert Juli 2018
Es spielt gar keine Rolle, ob es nun der Porno-, Drogen-, Serien- Konsum ist. Schlussendlich ist es die Menge, die das Gift ausmacht und nicht die Sache alleine. Ich habe jahrelang täglich Pornos angeschaut und mir ist es erst aufgefallen, dass ich süchtig danach bin als ich damit aufhören wollte. Das grösste Problem dabei war, dass ich kein Bedürfnis hatte mit einer Frau Sex zu haben, weil Porno mir das selbe gegeben hat wie beim Sex. (dachte ich mir zumindest) Und dazu konnte ich jeden Tag eine "andere" Frau nehmen, was im realen Leben normalerweise nicht so einfach geht. Ob das gesund ist?
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