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Das Verbot politischer TV- und Radio-Werbung ist den Parteien schnurz – jetzt wird in professionelle Clips investiert

Das Verbot politischer TV- und Radio-Werbung ist den Parteien schnurz – jetzt wird in professionelle Clips investiert

Strategen entdecken bezahlte Videos im Internet, das Verbot politischer TV- und Radio-Werbung verliert an Bedeutung.
30.07.2015, 07:1030.07.2015, 08:26
Lorenz Honegger / Aargauer Zeitung
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Aargauer Zeitung

Für den amerikanischen Fernsehzuschauer wird 2016 kein einfaches Jahr. Wie immer, wenn das Land einen neuen Präsidenten wählt, werden Republikaner und Demokraten einander mit aggressiven TV-Werbespots eindecken. Erfahrungsgemäss geben sie dafür Hunderte Millionen Dollar aus. Weit über drei Viertel der Spots sind negativ im Tonfall.

Angesichts solcher Verhältnisse kann sich der Schweizer Medienkonsument glücklich schätzen: Politische TV- und Radio-Werbespots sind hierzulande illegal. Der Nationalrat bestätigte das Verbot letztmals im Frühling 2014. Doch wie lange greift es noch?

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Bezahlte Polit-Werbespots dürften auch in der Schweiz bald zum Normalfall werden.

Wie eine Umfrage zeigt, nehmen Parteien, Verbände und Einzelkandidaten immer häufiger Geld in die Hand, um für ihre Kampagnenvideos auf Facebook, YouTube und Twitter eine möglichst prominente Platzierung zu erhalten. Ohne Bezahlung bringen es die Filmchen meist nur auf wenige hundert Klicks. Dank neuer Werbemöglichkeiten auf den Social-Media-Plattformen erzielen die Clips nun aber Reichweiten, wie sie sonst nur im TV und Radio möglich wären. Bezahlte Polit-Werbespots dürften damit auch in der Schweiz bald zum Normalfall werden.

60'000 bis 70'000 Franken

Dass die schleichende Amerikanisierung der Wahl- und Abstimmungskämpfe bereits begonnen hat, zeigt ein Beispiel vom vergangenen Mai: Im Vorfeld der Abstimmung über die Erbschaftssteuerinitiative lud der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) ein Video auf YouTube, in dem er die ungleiche Vermögensverteilung in der Schweiz anprangerte. Der Spot besteht aus aufwendig animierten Grafiken, kommentiert von einem professionellen Sprecher, begleitet von dramatischer Hintergrundmusik.

Die deutsche und die französische Version des knapp dreiminütigen Videos erzielten zusammen über 120'000 Klicks. Für die Platzierung auf YouTube und Facebook zahlte der SGB gemäss eigenen Angaben über 10'000 Franken. Mitsamt Produktion kostete der Spot «zwischen 60'000 und 70'000 Franken», wie Sprecher Thomas Zimmermann auf Anfrage sagt. Obwohl das Stimmvolk die Initiative ablehnte, zieht er eine positive Bilanz: «Wir werden sicher wieder auf dieses Werbemittel setzen.»

 «Ich glaube, wir stehen am Anfang einer grösseren Entwicklung.»
Moritz Zumbühl, Agentur Feinheit GmbH

Hinter dem Video der Gewerkschaften steht die Zürcher Marketing-Agentur Feinheit GmbH. Deren Geschäftsführer Moritz Zumbühl ist vom Potenzial von politischer Video-Werbung im Internet überzeugt: «Ich glaube, wir stehen am Anfang einer grösseren Entwicklung.» Noch vor vier Jahren habe man über das Internet vor allem jüngere Zielgruppen angesprochen. «Heute erreicht man alle Altersklassen.» Aus strategischer Sicht sei dies «eine einmalige Chance für Politiker».

Ohne Geld gehe es indes nicht. «Je begehrter die Zielgruppe, desto teurer wird es. Für 50'000 Kontakte bezahlt man auf den Social-Media-Plattformen zwischen 5000 und 10'000 Franken», so Zumbühl.

Keine kantonale Werbung

«Wenn Sie in Zürich einen Werbespot für einen Aargauer Kandidaten verbreiten, kann das im schlimmsten Fall kontraproduktiv sein.»

An Grenzen stossen Parteien dann, wenn sie auf kantonaler Ebene Werbung schalten wollen: Im Online-Bereich ist bis jetzt nur nationale Werbung möglich. «Wenn Sie in Zürich einen Werbespot für einen Aargauer Kandidaten verbreiten, kann das im schlimmsten Fall kontraproduktiv sein», sagt Zumbühl.

Die Parteien haben – mit Ausnahme der Freisinnigen – ihre ersten Gehversuche mit bezahlten Online-Werbespots hinter sich. Die CVP gab in den Abstimmungskämpfen zur Erbschaftssteuer- und zur Familieninitiative laut Generalsekretärin Béatrice Wertli jeweils einige hundert Franken aus. Parteimitglied und Nationalrat Guillaume Barazzone liess sich sein Wahlvideo für die Genfer Stadtratswahlen Anfang Jahr gegen 20'000 Franken kosten.

Die Sozialdemokraten werben laut Sprecher Michael Sorg ebenfalls mit Online-Videos. Das SVP-Generalsekretariat will keine detaillierten Angaben machen, bestätigt aber, auch schon für Werbespots auf YouTube und Co. bezahlt zu haben.

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