Die Gegner der Mindestlohn-Initiative haben die Kampfzone auf die Jugendlichen ausgeweitet: Kaum jemand werde noch eine Lehre absolvieren, wenn er auch ohne 4000 Franken verdienen könne, argumentieren sie. Dem widersprechen Experten. Sie glauben nicht, dass das duale Bildungssystem unter einem Mindestlohn von 22 Franken pro Stunde leiden würde, wie bürgerliche Politiker und Wirtschaftsverbände behaupten.
Wenn jeder Aushilfskraft ohne Ausbildung der Mindestlohn bezahlt würde, nehme man Jugendlichen jeden Anreiz, in eine Lehre zu investieren, warnte Gewerbeverbands-Präsident Jean-François Rime am Dienstag. «Wir locken sie mit dieser schädlichen Vorlage direkt in die Armutsfalle.»
Der Initiativtext sieht Ausnahmen für besondere Arbeitsverhältnisse vor –eine Formulierung, die namentlich auf Lehrverhältnisse zugeschnitten ist. Bei Fachleuten löst Rimes Argument darum Kopfschütteln aus. Wenn jemand eine Lehre mache, dann aus anderen Gründen als wegen des Geldes, sind sie überzeugt.
Eine Lehre sei eine Investition in die Zukunft, sagte Andreas Zysset, Direktor der Berner Lehrwerkstätten, an einer Medienkonferenz des Verbands des Personals öffentlicher Dienste (vpod). «Ein Lehrabschluss ist wesentlich wichtiger als kurzfristig ein Lohn von 4000 Franken.»
Aus Erfahrung weiss Zysset, dass ein gewisser Prozentsatz von Jugendlichen die Anforderungen für eine Lehre nicht erfüllt. Daran werde sich aber nichts ändern, wenn man Berufstätigen einen Mindestlohn bezahle. Schon heute könne eine Hilfskraft auf dem Bau mehr als 4000 Franken verdienen. «Dennoch machen die Jungen eine Lehre – weil sie etwas lernen und nicht als Hilfsarbeiter leben wollen.»
Auch der langjährige Berufsschullehrer Willy Nabholz ist überzeugt, dass Jugendliche nicht wegen des Lohns für Ungelernte auf eine Lehre verzichten. Dies sei «Schwarzmalerei und fern der Realität». Schon heute gebe es in einigen Branchen einen Mindestlohn, und Lehrstellen würden dort nicht gemieden. Im Gegenteil, sie seien umso begehrter.
Jugendliche seien sich bewusst, dass man ohne Lehrabschluss nirgends hinkomme. «Ohne geht es heute fast nicht mehr», sagte Nabholz. Wie Zysset ist er daher überzeugt: «Jugendliche machen eine Berufslehre nicht wegen des Geldes.» (sda)