Sie demonstrierten für gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie, für mehr Respekt und gegen sexualisierte Gewalt. Am Frauenstreik vor einem Jahr sind hierzulande 500'000 Frauen (und Männer) für ihre Forderungen auf die Strassen. Auch heute, zwölf Monate später, wird wieder Lärm gemacht. Denn: «Bei der Lohngleichheit hat sich nichts getan, ebenso wenig bei Arbeitsbedingungen, bei der unbezahlten Arbeit», heisst es auf der nationalen Webseite des Frauenstreiks.
Dass die Gleichstellung von Mann und Frau in der Schweiz noch immer nicht am Ziel ist, zeigen zahlreiche Statistiken. Doch wo ist es im vergangenen Jahr dennoch, wenn auch nur minimal, vorwärts gegangen? Eine Auswahl im Überblick:
Wenige Monate nach dem Frauenstreik standen die Nationalrats- und Ständeratswahlen an. Die Hoffnung auf eine stärkere Vertretung von Frauen in der grossen und kleinen Kammer war gross. Und der Coup gelang: Noch nie wurden so viele Frauen in den Nationalrat gewählt. Der Frauenanteil stieg auf den Höchstwert von 42 Prozent. Im Ständerat hat sich der Frauenanteil fast verdoppelt (von sieben auf zwölf Prozent). Obschon immer noch mehr als doppelt so viele Männer vertreten sind.
Dieser «Frauenrutsch» war einerseits möglich, weil die Kandidatinnen auf besseren Listenplätzen aufgelistet waren. Dafür weibelte die Aktion «Helvetia ruft» bei den Parteien und konnte vermutlich gleichzeitig auch Wählerinnen, die bisher eine tiefere Wahlbeteiligung aufwiesen als Männer, animieren, ihre Stimme den Frauen zu geben.
Der Männeranteil in 100 Geschäftsleitungen der grössten Schweizer Unternehmen im Jahr 2020 liegt bei 90 Prozent. Auch wenn er noch weit von einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis entfernt ist, erreichte der Anteil Frauen in Geschäftsleitungen dieser Unternehmen das erste Mal eine zweistellige Zahl von 10 Prozent. Im letzten Jahr waren es neun und davor sieben. Das ergab der «Schillingreport» des Personalberaters Guido Schilling. In neu 53 Prozent der Geschäftsleitungen hat es mindestens eine Frau. Eine Publikation des Bundesamts für Statistik zeigte diesen März, dass 2019 17,4 Prozent der befragten Frauen eine Vorgesetztenfunktion innehatten. 2018 waren es noch 16,7 Prozent.
Fünf Tage nach dem letztjährigen Frauenstreik hat der Ständerat entschieden, dass sich börsenkotierte Unternehmen rechtfertigen müssen, wenn sie weniger als 30 Prozent Frauen im Verwaltungsrat und weniger als 20 in der Geschäftsleitung haben. Gemäss Schillingreport ist der Frauenanteil bei den Verwaltungsräten von 21 auf 23 Prozent gestiegen. Heute sitzen demnach 189 Frauen und 636 Männer in 90 untersuchten Verwaltungsräten.
Im April dieses Jahres hat das Bundesamt für Statistik die Daten der Lohnstrukturerhebung 2018 veröffentlicht. Im Vergleich zu den Jahren 2016 (12 Prozent) und 2014 (12,5 Prozent) ist die Lohndifferenz auf 11,5 Prozent gesunken. Umso höher das Verantwortungsniveau ist, desto grösser ist auch der Lohnunterschied. So verdienten beispielsweise Frauen in Stellen mit hohem Verantwortungsniveau 8872 Franken brutto pro Monat, während Männer auf derselben Stufe 10'893 Franken erhielten, was einer Differenz von 18,6 Prozent entspricht.
In den Tieflohnsegmenten von unter 4500 Franken ist der Frauenanteil mit 58,3 Prozent hoch, umgekehrt sind Frauen bei Löhnen über 16'000 Franken mit einem Anteil von weniger als 18 Prozent deutlich unterverteten.
Seit dem 1. Juni 2020 ist das revidierte Gleichstellungsgesetz in Kraft. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ab 100 Arbeitnehmenden müssen eine betriebsinterne Lohngleichheitsanalyse durchzuführen und diese durch eine externe Stelle überprüfen lassen. Das Ergebnis muss gegenüber den Mitarbeitenden und Aktionärinnen und Aktionären mitgeteilt werden. Bis Ende des nächstes Jahres muss die erste Lohnanalyse durchgeführt werden, bis spätestens Ende Juni 2023 muss das Ergebnis kommuniziert werden.
Das Sportbusiness ist männerdominiert. Speziell im Eishockey und Fussball haben vor allem Männer das Sagen – ob auf dem Feld, im Unternehmen oder vor der Kamera. Umso überraschender kam im April die Nachricht, dass die 31-jährige Florence Schelling neue Sportchefin des SC Bern wird. Sie ist die erste Frau, die im Schweizer Eishockey eine solche Position einnimmt. Überhaupt gibt es im Schweizer Sport bisher keine Frau an einer vergleichbaren Stelle.
Einen Monat später der zweite Hammer: Steffi Buchli wird Sport-Chefredaktorin bei der «Blick»-Gruppe. Sie ist die erste Frau, die die «Blick»-Sportredaktion leiten wird.
Im selben Jahr wie der Frauenstreik hat auch die Frauen-Fussball-WM in Frankreich stattgefunden. Der Frauenfussball bekam mehr Aufmerksamkeit als noch vor vier Jahren – sogar der US-Präsident hat darüber getwittert. Im britischen Fernsehen hat der Halbfinal zwischen den USA und England gar die höchste Einschaltquote aller übertragenen Fussballspiele in diesem Jahr verzeichnet.
In der Schweiz forderten Politikerinnen und Politiker mehr finanzielle Mittel und Werbung für den Frauenfussballs. Doch der Fussballverband winkte vergangenen Sommer ab. Der Werbemarkt sei zu wenig lukrativ und man sei seit Längerem auf der Suche nach einem grossen Presenting-Sponsor für die Schweizer Meisterschaft.
Im Juni dieses Jahres dann endlich die Erlösung: Die Axa Winterthur Versicherung wird Hauptsponsor der höchsten Frauen-Liga. Sie ist für zwei Jahre Namensgeberin der National League A und des Schweizer Cupfinals der Frauen.
Vor zehn Jahren waren 15 Prozent der Professorinnen und Professoren Frauen. Heute ist der Frauenanteil auf 23,4 Prozent gestiegen. Auch im Vergleich zum Vorjahr ist das eine leichte Zunahme (im 2018 waren es 22,8 Prozent). Insgesamt liegt der Frauenanteil beim Hochschulpersonal bei 45,5 Prozent, 2018 waren es 45,1 Prozent.
Doch das könnte sich bald ändern: 2019 machten mehr Frauen akademische Abschlüsse als Männer. Von den gymnasialen Maturitätszeugnissen fielen fast 60 Prozent auf Frauen, bei den Fachmaturitätszeugnissen fast 80 Prozent. Auch bei den Bachelor- und Masterstudiengängen waren es mehr Frauen, die ein Diplom erhielten.
Die verbesserte Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist eine der Forderungen des Frauenstreiks. Damit hängt auch der Vaterschaftsurlaub zusammen. Im September haben National- und Ständerat dem zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub zugestimmt. Am kommenden 27. September soll das Volk darüber entscheiden. Bis jetzt sieht es gut aus: 71 Prozent der Stimmberechtigten sind für einen zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub. Das ergab eine repräsentative Umfrage.
Doch der zweiwöchige Vaterschaftsurlaub ist ein Kompromiss. Ursprünglich forderten die Initiantinnen und Initianten vier Wochen. Die Vorlage, die im September vors Volk kommt, ist ein Referendum gegen den Gegenvorschlag des Parlaments zur Volksinitiative «Für einen vernünftigen Vaterschaftsurlaub – zum Nutzen der ganzen Familie» vom Sommer 2017. Diese wurde mittlerweile zurückgezogen.
Doch das soll erst der Anfang sein. Bereits hat man sich für die Elternzeit-Initiative formiert. Diese fordert mindestens 14 Wochen gemeinsamen Mutter- und Vaterschaftsurlaub. Auf einer Webseite informieren die Initiantinnen und Initianten, dass noch diesen Monat die Bundeskanzlei den Initiativtext prüfen soll und im März 2021 Unterschriften gesammelt werden.
Diese Woche hat der Nationalrat der parlamentarischen Initiative «Erhöhung des Strafmasses bei Vergewaltigungen» zugestimmt. Die Mindeststrafe würde demnach auf drei Jahre angesetzt werden. Die zuständige Kommission des Ständerats wird sich als nächstes mit der Initiative befassen. Wenn sie zustimmt, muss eine der Rechtskommissionen einen Erlassentwurf erarbeiten. Wenn die Ständeratskommission sich dagegen stellt, muss noch der Ständerat darüber befinden. Sagt auch er Nein, ist das Anliegen vom Tisch.
Gleichzeitig prüft Justizdepartement zurzeit im Auftrag der Rechtskommission des Ständerats, wie das Schweizer Strafrecht sexuelle Handlungen gegen den Willen einer Person behandeln soll, wenn weder Gewalt noch Drohung vorlag. Denn heute anerkennt Strafrecht eine sexuelle Handlung gegen den Willen der betroffenen Person nur dann als schweres Unrecht, wenn das Opfer dazu – etwa durch Gewalt oder Drohung – genötigt wurde. Nach den Sommerferien soll der Vorschlag vorliegen und zuerst in die Vernehmlassung, dann ins Parlament gehen.
Ein riesiger, selbst gebastelter Tampon war auf Bildern des Frauenstreiks 2019 immer wieder zu stehen. Er sollte die Forderung nach kostenlosen oder tiefer besteuerten Damenhygieneartikel verkörpern. Denn diese gelten noch immer als «Luxusgüter» und werden demnach mit 7,7 Prozent besteuert. Beispielsweise Kaviar, Katzenfutter oder Viagra gelten als «Produkte des täglichen Bedarfs» und haben einen Normalsatz von 2,5 Prozent.
Nun könnte es auch hier demnächst etwas vorwärts gehen: Der Nationalrat hat im März 2019 einer Motion zugestimmt, die den reduzierten Mehrwertsteuersatz für Damenhygieneartikel will. Als nächstes ist der Ständerat mit der Beratung der Tampon-Steuer dran. Da der Bundesrat hinter der Motion steht, sieht es auch in der kleinen Kammer gut aus für dieses Anliegen.
6,7 und 8 ist ein Blick in die Zukunft, hier ist der Impact erst recht nicht bezifferbar.
Vielleicht verstehe ich es nicht. Und ich will nicht provozieren, die Frage ist ernst gemeint.
Quelle:
https://www.nzz.ch/wirtschaft/weshalb-verdienen-frauen-weniger-als-maenner-schweizer-lohnluecke-mit-am-geringsten-ld.88695