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Seaspiracy: Jetzt kommen die nachhaltigen Fischstäbli aus dem Zürichsee

Kann man nachhaltig Fisch konsumieren?
Kann man nachhaltig Fisch konsumieren?bild: Severin Bigler

Nach Seaspiracy-Schockbilder – jetzt kommen die nachhaltigen Fischstäbli aus dem Zürichsee

Leer gefischte Meere haben den Fisch in Verruf gebracht, doch in der Schweiz gäbe es nachhaltige Alternativen fern vom Eglifilet.
09.05.2021, 05:49
Christian Berzins / ch media
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Meerfisch ist out wie die Super League im Fussball, seit der Dokumentarfilm «Seaspiracy» die hässlichsten Seiten des Fischfangs auf den Weltmeeren aufzeigte. Doch wer Fisch liebt, um Nachhaltigkeit besorgt ist, hat Alternativen. In der Schweiz ist es nämlich möglich, bei Berufsfischern, auf den Märkten, bisweilen gar beim Grossverteiler an Schweizer Fisch zu kommen.

Das Klagen der Berufsfischer über sinkende Erträge ist allerdings seit Jahren gross: Egli und Felchen hängen immer seltener im Netz. Die einen hören auf, die anderen hoffen auf bessere Zeiten – und die Dritten denken weiter. Sie wissen: Der eine Fisch mag zwar im Volksmund «Schissideckel» (Brachsme), der andere «Gufechüssi» (Alet) heissen, aber es gibt keinen guten oder schlechten, sondern nur frischen oder alten Fisch. Wer daran glaubt, erweitert seinen Menüplan enorm. Dumm nur, sind die meisten Menschen Ungläubige, ihre Geschmacksnerven über Jahre fixiert auf einen Geschmack, der im Zuchtfisch Pangasius seine globalisierte Variante fand.

Und da ist noch ein Problem: Die Gräten. Schon beim Kauf von grossen Felchen waren und sind die Konsumenten und Konsumentinnen vorsichtig, zeigt sich doch im Rückenteil ein feines Grätengärtchen. Für Leute, die mit Fischstäbchen und Flunderfilets aufgewachsen sind, ist das ein Graus. Was, wenn da sogar ein Grätenwald wäre? Die Antwort ist einfach. Es gilt, eine Zubereitung zu finden, die Gräten zum Verschwinden bringt: Der Fleischwolf oder der Cutter zermalmt, was beim Filetieren nicht entfernt wird. Auch damit ist es noch nicht getan.

Fischer Andreas Braschler präsentiert eine frisch gefangene Brachsme.
Fischer Andreas Braschler präsentiert eine frisch gefangene Brachsme.bild: Severin Bigler

«Es gilt das Bewusstsein der Konsumenten zu schärfen, dass sie mit dem Kauf eines Schweizer Fisches etwas Nachhaltiges auf dem Teller haben», sagt Berufs­fischer Andy Braschler. Sei beim Fleisch das Bewusstsein bereits gross, fehle es beim Fisch. Noch, jedenfalls.

Trotzdem hat Braschler das Angebot enorm erweitert, verwertet er nicht nur den famosen Hecht, über den gewisse Kunden bereits die Nase rümpfen, da er sehr grätenreich ist, sondern auch Rotauge und Brachsme. Der ehemalige Beifang landet als Seeburger, Fischweggen, Fischsuppe oder Seemannswurst auf dem Tisch des Kunden.

Aus Rotaugen hergestellter Fischsalat.
Aus Rotaugen hergestellter Fischsalat.bild: severin bigler

Kinder werden die «Zürichsee-Fischli», die Fischlasagne, panierte Rotaugen-Filets, und die «Seefischstäbli» (aus Brachsme) lieben. Sehr zu empfehlen ist das aus den mächtigen Bauchlappen der Brachsme hergestellte, grätenfreie «Fischgeschnetzelte». Wer einen kräftigen Tomatensugo aufkocht, nach 60 Minuten die Fischstücke dazugibt und sie 10 Minuten köchelt, erhält ein prächtiges Fischgulasch.

Das Rotauge wird die Alternative zum Felchen

Vor 40 Jahren legten die Dorffischer am Rhein Ruchfische wie Alet und Rot­auge in salzhaltige Essiglösungen ein; anders gesagt: Sie machten eine Art Rollmops aus dem Gufechüssi. Es dauerte noch 30 Jahre, bis die «Saure Schwale» zum Spezialitätenanbieter Patrick Marxer kam und via «Das Pure» in die Läden fand – darunter hipsteraffine Shops wie «Berg und Tal». Auch Fischerin Sabine Hofer bietet in Meggen in ihrem Verkaufsladen bisweilen «Saure Rot­augen» an.

Ihre legendären Fischknusperli am Freitag und Samstag macht sie nebenbei zu einem Grossteil aus Rotauge. Das Rotauge (auch Schwale, Hasli oder Plötze genannt) liegt bei ihr und anderen Fischern mittlerweile elegant als Felchenalternative in der Auslage. Wie lange es wohl geht, bis sich ein Fischer die Mühe macht, die invasiven Sonnenbarsche zu fangen und zu filetieren? Das Fleisch ist genauso gut wie beim Verwandten, dem Egli.

Fischknusperli von Sabine Hofer aus Meggen.
Fischknusperli von Sabine Hofer aus Meggen.bild: bez

Musste das Fischgericht einst unglaublich edel sein – der teuerste Lachs, der abgefahrenste Plattfisch –, gilt es heute, originell und regional zu sein. Veredelung kann dann auch das Herstellen einer Brachsmenpastete oder eines Rotaugenknusperli sein. Im 3- Sterne-Restaurant Steiereck in Wien wird als Hauptgang auch mal Schleie serviert. In der Truhe von Fischerin Hofer liegt Felchenkaviar, bei Braschler die Leber von Hecht und Felchen.

Hobbyfischer beliefern Restaurants mit Ruchfisch

Im Schaffhausischen waren gewisse Restaurants sehr verwöhnt, erhielten von den Fischern regelmässig die edle Äsche. Der Klimawandel setzt dem Wunderfisch aber so sehr zu, dass er nun nicht mehr gefischt werden darf.

Jetzt ermuntert der Fischereiverband Schaffhausen seine Fischer, den überhandnehmenden Alet oder Barben zu fangen und an ausgewählte Restaurants zu liefern. 3.50 Franken erhalten die Hobbyfischer für ein Kilo ausgenommenen Alet. Das Geld landet in der Vereinskasse, dient dem Forellen- oder Äschen-Besatz. In jedem Gewässerabschnitt gibt es mittlerweile ein Restaurant, die Nachfrage ist höher als das Angebot. In Diessenhofen gehört der «Unterhof» dazu. Hier setzt Joel-­Etienne Bollinger seit 2018 Ruchfische auf die Speisekarte, im ersten Jahr wurden 1400 Kilo verarbeitet.

Zurzeit werden auf der prächtigen Terrasse «Rhyfischburger» à 25 Franken serviert: Ein Burger ohne falschen Zauber, der einen kräftigen Fischgeschmack besitzt und in dem man kaum mehr eine Gräte findet. Im Augarten macht Anica Schmid «Ruchfisch-Eggä» aus dem Alet. Liefern die anderen Fischer zu wenig, fängt Schmid ihre Alets gleich selbst. «Wir wollen so nachhaltig wie möglich arbeiten. Dieses Gericht steht dafür», sagt sie stolz.

Was im Schaffhausischen, in Hurden bei Braschler und anderen Fischereien langsam aus der Nische kommt, soll in der am 1. Juli wiedereröffneten Zürcher «Fischerstube» – einem Ausflugsrestaurant am Zürisee – gefeiert werden, die Nachhaltigkeit soll im Vordergrund stehen. Auch Fischer Braschler wird Fische für die Wurst und den Burger liefern. Anstatt über die überfischten Meere zu fluchen, gilt es, sich einzuschwören auf den heimischen See.

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76 Kommentare
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Rethinking
09.05.2021 07:55registriert Oktober 2018
Seaspiracy weist auch auf die Probleme bei Zuchtfisch hin…

Krankheiten, viele Tiere auf engem Raum, viele Ausscheidungen, Kraftfutter…

Letztlich gibt es nur zwei Dinge:

- Weniger Fisch / Vogel / Gleisch essen
- Weniger Menschen produ
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Merida
09.05.2021 07:31registriert November 2014
Am Besten möglichst ganz auf Fisch verzichten oder ihn als seltene Delikatesse behandeln…
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Chnebeler
09.05.2021 08:03registriert Dezember 2016
Der einzige Nachhaltige Fisch ist der selbst gefangene da er auch der seltenste ist. Die Schweizerberufsfischer sind schon eine Stufe weiter als die Hochseefischerei. Die Bestände sind schon derart ausgedünnt, dass auf andere Arten ausgewichen wird. Eine Forelle in einen Bach zu Fangen wäre heute ohne regelmässigen Besatz kaum mehr denkbar, da alle Flüsse stark verbaut wurden. Solche Artikel sind da schon fast ein Hohn.
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