Dieser Input kommt von unserer Lina Selmani. Einer Frau, die ihr Leben ausserhalb von watson dem schönen Tattoo und der guten Musik widmet. Viiiiiel besser sei die Musik aus der Romandie als die aus der Deutschschweiz, sagt sie, aber auf die Frage hin, was sie denn konkret meine, kam zuerst: «Vor allem Puts Marie!» Die Bieler also. Haben wir schon einmal gross gefeiert. Sie sind aber auch toll. Androgyne Avantgarde oder so. Melancholische Masochisten. Süss.
Und dann hatte Lina noch viele weitere, sehr tolle Ideen. Mesdames et Messieurs nous vous presentons: My Name Is Fuzzy aus Neuchâtel; Honey for Petzi aus Lausanne; Buvette aus Vevey («Von Buvette bringen wir gleich zwei Videos, weil er so toll ist», sagt Lina).
In Genf lebt nicht nur der Schweizer Auteur Joël Dicker, der seinen Roman «La Vérité sur l’affaire Harry Quebert» über unverschämte zwei Millionen Mal verkauft hat. In Genf gibts auch noch was viel Aufregenderes: Den Deutschen Christoph Höhtker nämlich mit seinen drei Büchern über den arroganten, eleganten, manisch-melancholisch zu Gange seienden Womanizer Frank Stremmer.
Was soll ich sagen? Ich fand Stremmers Frauen- und Drogenkonsum im kosmopolitisch übersexualisierten Genf (und anderswo, aber vor allem in Genf) derart smart und komplett übertrieben satirisch zu lesen, dass die drei erotischen Spassromane innerhalb von zweieinhalb Wochen weggetischt waren. Im deutschsprachigen Feuilleton wird debattiert, ob Höhtker a) nicht zu antifeministisch sei und b) so viele Sexszenen überhaupt zulässig seien. Antwort a) Nein! Antwort b) Natürlich!
Und dies sind die Stremmer-Romane in chronologischer Reihenfolge: «Die schreckliche Wirklichkeit des Lebens an meiner Seite» – mit tarantinoesker Asiatin (der Lustigste), «Alles sehen» (der Spannendste), «Das Jahr der Frauen» (der Frauenreichste).
Der Spazierweg durchs wunderschöne Lavaux, also durch die Weinterrassen zwischen Montreux und Lausanne, ist ja derart lieblich, beschaulich und bar jeder Anstrengung, dass man ihn auch nach Besuchen auf etlichen Weingütern noch bewältigt. Ein (feuchter) Traum. Und nur eine von vielen Weinregionen in der Romandie.
So wie Joël Dicker einen Weltbestseller geschrieben hat, hat Jean-Luc Godard Weltfilmgeschichte geschrieben. Mit «A bout de souffle», mit «Le Mépris», mit Belmondo, der Bardot, Jean Seberg ... Godards Vater war Arzt und leitete eine Privatklinik in Chamby, oberhalb von Montreux, die Mutter stammte aus einer steinreichen Schweizer Bankiersfamilie. Zur Welt kam Jean-Luc zwar in Paris, doch schon mit 23 wurde er Bürger von Gland (VD) und seit 1980 lebt er in Rolle am See, also direkt unterhalb von Mont-sur-Rolle, wo preisgekrönte Weissweine herkommen.
Neeein, wir wollen hier gar nicht darauf herumreiten, dass Pierre Monnard, der homme de charme und «Wilder»-Regisseur, aus Fribourg kommt! Oder dass unsere halbe Romande Camille Kündig findet, der aktuelle RTS-Hit «Quartier des banques» sei die beste Serie, die jemals in der Schweiz gedreht wurde. Echt nicht! Obwohl es wahrscheinlich stimmt. Denn die Erkenntnis, dass die Zukunft in der Seriensucht liegt, erreichte die Romandie nämlich schon vor der Jahrtausendwende.
1995 wurde in Genf das Festival «Tous écrans» (heute «Geneva International Film Festival») gegründet, das Kino- und TV-Filme, aber auch Serien zeigte. Ungefähr zur gleichen Zeit beschloss das welsche Fernsehen, dass sie für fortschrittliche TV-Fiktion nicht mehr die Franzosen, sondern die Kanadier und Skandinavier, besonders die Dänen, um Rat fragen wollen. Das Drehbuch zur französischen Erfolgsserie «Les Revenants» wurde von einem Romand erfunden. Und die Gambler-Serie «10» von RTS wird jetzt in Amerika von Skydance, der Produktionsfirma hinter «Mission Impossible», neu verfilmt.
Weil die Romandie als sehr klein und nicht als Konkurrent im französischsprachigen Raum gilt, gelang es ihr auch, äusserst vorteilhafte Verträge mit HBO etc. abzuschliessen. So feierte «Game of Thrones» etwa nicht nur seine Europapremiere am «Tous écrans», sondern war auf RTS auch einen Tag nach der amerikanischen Erstausstrahlung in Originalfassung mit französischen Untertiteln zu sehen.
Hach, Fleisch! Du so wichtiger, wenn nicht wichtigster Bestandteil der französischen Küche! Keine Ahnung, wie die Romands und Franzosen es machen, dass sie scheinbar mühelos scheinbar mehrfach pro Tag gut gebutterte Fleischgerichte mit viel Alkohol geniessen und trotzdem rasend passabel aussehen und erst noch länger leben.
Zu beobachten ist dieser Vorgang beispielsweise in Genf in einer nicht wirklich attraktiven Strasse direkt hinter dem Bahnhof. Man betritt ein Bistro, das Café de Paris heisst und ein einziges Gericht auf der Karte hat, nämlich das klassische Entrecôte Café de Paris. Es ist himmlisch. Es ist der Sonntagsbraten zahlloser Genfer Familien. Es gibt dazu mehrmals frische Pommes. Danach ist man tot. Das heisst, wir sind dann tot. Nicht so die Genferinnen und Genfer: Die gönnen sich dann noch irgendein Dessert mit Double crème. Alle.
Es ist 1816, wegen eines Vulkanausbruchs in Indonesien hat sich die Atmosphäre verdunkelt und in Europa herrscht das furchterregende «Jahr ohne Sommer». Es ist dunkel, nass und kühl. In Cologny lebt der britische Dichterfürst Lord Byron (28) mit seinem verzweifelten Verehrer John Polidori. Die beiden bekommen Besuch von Byrons Geliebter Claire Clairmont (17), deren Stiefschwester Mary Godwin (18) und Marys Lover Percy Shelley (23). Alle dichten irgendwas, Percy schwängert Mary.
Eines Nachts, «zwischen zwei und drei Uhr», überkommt Mary eine – in ihren Worten – «abscheuliche Idee»: Sie erfindet flugs Dr. Frankenstein, der aus Toten ein Monster zusammenflickt. Der Wissenschaftler und seine Schöpfung werden zu zwei Säulenheiligen des Horrors. Danach heiratet sie und wird Mary Shelley.
Der frustrierte Polidori beschliesst unterdessen, aus seinem Lord ein Monster zu machen. Er schreibt den aristokratischen Vampir-Roman «The Vampyre». Das Buch erscheint zuerst fälschlicherweise unter dem Namen Lord Byron und wird ein monströser Erfolg.
Die Frau vor dem Hotel Beau Rivage in Genf ist 60 Jahre alt. Ihr lebenslanger Diätwahn lässt sie älter erscheinen. Ihr Name: Kaiserin Elisabeth von Österreich und Königin von Ungarn, auch bekannt als Sisi. Sie will mit dem Schiff nach Montreux. Es ist der 10. September 1898, 13.35 Uhr. Da rammt ein Mann seine Faust in die Brust der Kaiserin. In der Faust: eine Feile. Sie sticht durch die Lunge und das ganze Herz. Trotzdem geht Sisi ganz gefasst zum Schiff. Dort sinkt sie zusammen. Drei Stunden später ist sie tot. Am 12. September nehmen 15'000 Genfer von ihrem Leichnam Abschied.
Sisi ist ein Ersatzopfer. Der 25-jährige italienische Anarchist Luigi Lucheni wollte in Genf ursprünglich den französischen Prinzen Henri Philippe Marie d'Orléans ermorden, doch der hatte kurzfristig seine Reisepläne geändert. Als er verhaftet wird, ist er stolz. Er strahlt in die Kameras der Fotografen. Er ist ein Star, denn die Romandie, besonders Neuchâtel, ist damals die Hochburg italienischer Anarchisten. Am liebsten würde Lucheni geköpft, doch geköpft wird nur noch im Kanton Luzern, nicht in Genf. Nach 12 Jahren Haft, am 19. Oktober 1910, erhängt er sich in seiner Genfer Zelle.
Vielleicht ist es schon zu euch durchgedrungen (nicht? Echt nicht??), dass wir Ludmilla aus dem Neuenburgischen hart feiern, die frankophone Amazone, die rote Reiterin, die Frau, die mit ihrem aparten Accent selbst Deutsch zur Sprache der Liebe macht, jedenfalls für Bachelor Joel. Eine so Gute wie sie haben wir im «Bachelor» noch nie gesehen. Und gehört schon gar nicht.
Für sachdienliche Ergänzungen in der Kommentarspalte wird wie immer gedankt!