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Wie ein Gast in der EU-«Arena» Blocher & Co. einheizte

Die Gäste der EU-«Arena»: Christoph Blocher, Damian Müller (FDP), Moderator Mario Grossniklaus, Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP) und Corrado Pardini (SP).
Die Gäste der EU-«Arena»: Christoph Blocher, Damian Müller (FDP), Moderator Mario Grossniklaus, Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP) und Corrado Pardini (SP).Bild: screenshot/srf

«Endlich mal s'Füdle ha! » – wie ein Zuschauer in der EU-«Arena» Blocher & Co. einheizte

29.09.2018, 01:1429.09.2018, 20:12
William Stern
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Die Einheit der Materie – ein rechtliches Gebot bei der Formulierung von Abstimmungsvorlagen – wurde in dieser «Arena» nicht gewahrt. Der Doppelrücktritt von Johann Schneider-Ammann und Doris Leuthard brachte die Planung vielleicht etwas durcheinander. So wurde die Frage nach der Nachfolgereglung den abtretenden FDP- und der CVP-Magistraten mit der Verhandlung rund um das Rahmenabkommen mit der EU kombiniert. «Bremst der Doppelrücktritt die EU-Verhandlungen aus?» fragte sich die Arena, ganz so, als ob die Verhandlungen bis dato in voller Fahrt gewesen wären. Und weil die Europa-Frage in der SVP Chefsache ist, machte Sonnenkönig Christoph Blocher himself seine Aufwartung. 

Der Start verlief dann aber harzig. Die Frauenfrage – nach dem Rücktritt von Doris Leuthard wäre nur noch eine Frau in der Landesregierung vertreten – wurde nur halbherzig besprochen. Das lag nicht zuletzt an der Zusammensetzung dieser Arena-Runde. Neben Blocher waren Damian Müller (FDP), Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP) und Corrado Pardini (SP) eingeladen. Niemand also, der sich die Frauenförderung explizit auf die Fahne geschrieben hat.

Sie habe Mühe mit der Gender-Diskussion, bekundete Schneider-Schneiter, die selber auch zu den Kandidatinnen für die Nachfolge von Leuthard gehört. «Ich finde es diskriminierend, wenn man diese Frage auf das Geschlecht der Frau reduziert.» In diesem Punkt gebe sie Blocher recht, der zuvor meinte, die Fähigkeiten der Bundesratskandidaten seien entscheidend, nicht das Geschlecht.

Pardini sagte darauf sichtlich genervt: «Immer wenn man die Frauenfrage diskutiert will, wird sofort von rechts die Frage der Fähigkeit in den Vordergrund gestellt.»

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Politgeograf Michael Hermann, der die «Arena» vom Expertenpult aus verfolgte, machte auf den zyklischen Verlauf aufmerksam. «Lange Zeit war die Frauenfrage ein sehr emotionales Thema. Dann hatten wir vier Frauen im Bundesrat und das Thema ging unter». Nun sehe man, dass die Zahl der Frauen im Ständerat und in den kantonalen Regierungen wieder kontinuierlich abnehme. Das zeige, dass die Zahl automatisch abnehme, wenn man nicht aktiv fördere.

Blocher mochte sich an der Diskussion nicht so recht beteiligen. «Ja, dann wählt halt eine Frau! Ich selber ja nicht.», bemerkte er süffisant zur Forderung eines Zuschauers nach mehr Frauen in der Regierung.

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Pardini war es dann, der den Bogen zum zweiten, wichtigeren Thema des Abends schlug, der EU-Frage. Seit 2013 müht sich die Schweiz in den Verhandlungen zum Rahmenabkommen ab, im Sommer eskalierte die Situation als Aussenminister Ignazio Cassis die flankierenden Massnahmen zur Disposition stellte und sich die Gewerkschaften daraufhin aus den Verhandlungen verabschiedeten. Jetzt will die EU trotz schlechten Vorzeichen vorwärtsmachen: Bis Mitte Oktober soll das Abkommen spruchreif sein. 

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Für Pardini ein Ding der Unmöglichkeit: Wo es nichts zu verhandeln gebe, müsse man sich auch nicht an den Verhandlungstisch setzen. Der Bundesrat sei zerstritten, Cassis habe «strategisch und taktisch den grössten Fehler überhaupt gemacht», als er die flankierenden Massnahmen in die Verhandlungsmasse warf. Als «Meldeläufer der EU» bezeichnete Pardini den Tessiner FDP-Bundesrat. 

Politwissenschafter Hermann relativierte: «Man macht es sich ein bisschen einfach, jetzt auf dem Bundesrat herumzuhacken. Es ist auch eine Frage des windows of opportunity.» Die Verhandlungen waren zuvor blockiert wegen des Brexit und wegen der aufgeheizten Stimmung bei der Zuwanderung. «Die Verhandlungen waren bis vor kurzem einfach nicht möglich», so Hermann.

Für Schneider-Schneiter und Damian Müller sind wenig überraschend die Gewerkschaften in erster Linie am jetzigen Schlamassel Schuld. Deren fehlender Pragmatismus bei der sogenannten 8-Tage-Regelung sei der Haupthindernis in den Verhandlungen. Dabei erwartete sie «von den traditionell europafreundlichen Gewerkschaften eigentlich eine gewisse Offenheit», so Schneider-Schneiter.

Das war der Startschuss zur heissesten Phase in dieser «Arena»: Müller warf Pardini vor, im analogen Zeitalter stehen geblieben zu sein. Aus dieser Zeit, aus den 80er-Jahren, stamme nämlich die 8-Tage-Regelung. Pardini und Co. vertreten den «Geist der Velokuriere und des Faxes.»

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Pardini mochte das nicht gelten lassen. Der SP-Nationalrat betonte, es gehe nicht um die 8-Tage-Regelung, sondern um den Lohnschutz an sich, der nun zur Debatte stehe. Dieser sei aber für SP und Gewerkschaften «sakrosankt und conditio sine qua non.» «Herr Müller und Frau Schneider-Schneiter wollen mich für dumm verkaufen.» Man müsse aber ehrlich sein zu den Leuten, so Pardini. Das Rahmenabkommen werde nur vor dem Volk Bestand haben, wenn die Lohnschutzmassnahmen ausgeklammert werden. 

Sukkurs erhielt Pardini von Blocher. Er habe schon immer gewarnt, dass die EU die «flankierenden Massnahmen unbedingt weg haben will.» Das Abkommen sei «ein Fluch». Wenn die Personenfreizügigkeit richtig durchgesetzt werde, dann gebe es einen «Lohnsturz», so Blocher.

Europarechtlerin Christa Tobler, die neben Michael Hermann im Expertenstand vertreten war, relativierte: «Es ist nicht richtig zu sagen, die EU wolle gar keine Lohnschutzmassnahmen.» Die EU-Regelung bewege sich teilweise sogar Richtung Schweiz. 

Trotz des heftigen Schlagabtauschs zwischen Müller und Pardini: Der, der sich über den Stillstand in den Verhandlungen am meisten enervierte, befand sich nicht im Parteienrund, sondern in den Zuschauerrängen. «Sie [die Gewerkschaften und die Rechten], machen einfach nicht vorwärts, das ist das, was mich als Bürger, der nicht auf der Wurstsuppe dahergeschwommen kam, so masslos aufregt an der Politik», erging sich Zuschauer Heinrich Michel in heiligem Zorn.

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Die Kritik des selbsterklärten parteilosen Liberalen richtete sich dann vor allem an Blochers SVP: «Ich habe das Gefühl, Sie machen nichts!» Dabei sei das doch das Wesentliche der Politik, «s'Füdle ha, nicht immer nur zu lavieren!»

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In einem waren sich die Vertreter von FDP, CVP und SP aber einig: Ein gutes Verhältnis zur EU ist für die Schweiz zentral und das Rahmenabkommen ist der Schlüssel dazu. Dass auch Blocher in diese Einigkeit einstimmte, überraschte dann doch etwas angesichts der nahenden Kündigungsinitiative. Die gespielte Empörung, mit der der SVP-Doyen abstritt, gegen das Rahmenabkommen zu sein, dürfte ihm kaum jemand abgenommen haben.

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75 Kommentare
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Binnennomade
29.09.2018 08:00registriert Juli 2016
Es ist wie wenn man Maradona nochmals an einem Freundschaftsspiel auflaufen lässt. Ein bisschen peinlich, aber hey, lasst ihm doch noch einmal die Freude!
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dorfne
29.09.2018 08:50registriert Februar 2017
Padrini liest aus einem "geheimen" Papier vor. Darin steht, dass der EU nicht nur die 8-Tage-Meldepflicht ein Dorn im Auge ist, sondern die ganzen flankierenden Massnahmen - die Kaution, die Kontrollen am Arbeitsplatz, die Bussen. Weg mit dem Lohnschutz, heisst das. Und Schneider-Schneiter fällt darauf nichts Gesch(n)eiteres ein als zu fragen, woher haben Sie das Papier, das dürften Sie gar nicht haben, und selbstverständlich werde man am Lohnschutz festhalten. Sie geht einfach über das hinweg, was schwarz auf weiss geschrieben steht.
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FrancoL
29.09.2018 10:52registriert November 2015
Wer heute noch der Meinung ist, dass es bei den flankierenden Massnahmen lediglich um das aufweichen der 8-Tage-Regel geht der verschliesst beide Augen. Darum ist es völlig richtig dass die flankierenden Massnahmen NICHT aufgeweicht werden und die müssen NICHT aufgeweicht werden weil die EU da meines Erachtens zustimmen wird, wenn die restlichen Punkte geregelt werden. Die bürgerliche Seite hat die flankierenden Massnahmen hochstilisiert weil die einheimischen Unternehmer (auf der Seite der Bürgerlichen) gerne diese flankierenden Massanahmen weg hätten und dazu die EU bemühen wollen.
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