Im Mai 2017 hat das Schweizer Stimmvolk die Energiestrategie 2050 angenommen. Ein grosser Teil der Befürworter schrieb ein Ja auf den Zettel in der Erwartung, dass verstärkt in den Ausbau der «neuen» erneuerbaren Energien investiert wird. Denn die Schweiz liegt beim Wind- und Solarstrom bloss auf Platz 26 in Europa. Mit der «Energiewende» werde sich dies ändern, dachte man.
Die Realität sieht ganz anders aus. Der Zubau wird nicht beschleunigt, sondern gebremst. 2018 befand er sich auf dem niedrigsten Stand seit Einführung der kostendeckenden Einspeisevergütung (KEV) vor zehn Jahren. Zwar werden laufend Photovoltaikanlagen gebaut, doch nicht in dem notwendigen Tempo, um die Energiewende auf Kurs zu bringen.
Was läuft schief? Antworten liefert eine Studie, die der ehemalige Basler SP-Nationalrat und Energieexperte Rudolf Rechsteiner im Auftrag der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) verfasst hat. Sie zeigt, dass die Schweizer Politik falsche Anreize setzt und so verhindert, dass das auch hierzulande enorme Potenzial beim Solarstrom ausgeschöpft wird.
Das neue Energiegesetz hält fest, dass die bestehenden Atomkraftwerke am Ende ihrer Lebensdauer abgeschaltet und keine neuen gebaut werden. Mühleberg geht bereits im Dezember vom Netz. Um das bundesrätliche Ziel einer klimaneutralen Schweiz bis 2050 zu erreichen, muss auch der Ausstieg aus den fossilen Energieträgern realisiert werden.
Die SES berechnet den Strombedarf der Schweiz für AKW-Ersatz, Verkehr und Gebäude/Wärme auf bis zu 63 Terawattstunden. Das Potenzial der Photovoltaik auf Hausdächern und Fassaden beträgt gemäss Bundesamt für Energie (BFE) 67 Terawattstunden. Mit weiteren Anlagen sowie anderen «Erneuerbaren» wie Wind, Wasser und Biomasse liegen nochmals 25 Terawattstunden drin.
Im Prinzip könnte die Schweiz somit mehr als genug Strom durch Photovoltaik erzeugen. Es bliebe sogar ein Überschuss, um CO2-neutrale Treibstoffe für den Luftverkehr (Elektro-Flugzeuge sind auf absehbare Zeit nicht in Sicht) zu produzieren. Der zuständige SES-Projektleiter, Felix Nipkow, zeigte sich an einer Medienkonferenz überzeugt, dass der Umbau «technisch machbar» ist.
Solar- und Windanlagen sind immer billiger geworden. Zusätzlich werden sie vom Bund gefördert. Im Oktober jedoch kündigte das BFE an, dass nur noch Photovoltaikanlagen eine Einspeisevergütung erhalten, die «bis und mit 30. Juni 2012 angemeldet wurden». Die übrigen Anlagen müssen mit der Einmalvergütung vorlieb nehmen, also faktisch einem Zuschuss an den Bau.
Damit werde der im Energiegesetz vorgesehene Ausstieg vorweggenommen, «bevor eine Ersatzlösung beraten wurde oder in Kraft ist», kritisierte Rudolf Rechsteiner an der Medienkonferenz. Einmalvergütungen lohnen sich praktisch nur für den Eigenverbrauch. «Mit Bonsai-Anlagen auf Einfamilienhäuschen schaffen wir die Energiewende nicht», betonte Rechsteiner.
Der Basler Ökonom will die Einmalvergütung nicht abschaffen. Sie könne im Gegenteil noch erhöht werden, wenn neben der Photovoltaikanlage zusätzlich eine Batterie zur Speicherung des Stroms installiert werde, sagte Rechsteiner im Gespräch mit watson. Für grosse Anlagen, die für den Umbau der Stromversorgung unentbehrlich sind, genügt dieses System jedoch nicht.
Hier hilft ein Blick über die Grenze. Die meisten EU-Länder setzen bei der Finanzierung neuer Kraftwerke auf wettbewerbliche Ausschreibungen oder Auktionen. Gekoppelt werden diese mit einer Marktprämie, die die Betreiber vor Preisschwankungen schützt und ihnen eine gewisse Planungssicherheit ermöglicht. Damit haben sie den Solarstrom-Anteil stark erhöht.
Rudolf Rechsteiner erwähnte als Beispiel den 10. und 11. August dieses Jahres. An diesen Tagen wurde in Deutschland so viel Solarstrom produziert, dass die Marktpreise zeitweise in den negativen Bereich abrutschten. Die Marktprämie könne dieses Risiko abfedern, denn letztlich lohne sich die erneuerbare Stromerzeugung nur, wenn auch eine Rendite erzielt werden könne.
Für grossflächige Solaranlagen gibt es in der Schweiz kaum genügend Platz, zumindest im dicht besiedelten Mittelland. In den Bergen sieht es anders aus. So wurde im Oktober auf dem Lac des Toules im Wallis das erste schwimmende Solarkraftwerk der Schweiz in Betrieb genommen. In Ostasien bestehe «ein riesiger Markt» für solche Anlagen, sagte Rudolf Rechsteiner.
In der Schweiz beträgt die Gesamtfläche aller Stauseen 105 Quadratkilometer. «Wenn man zehn Prozent davon für die Produktion von Solarstrom nutzt, kann man das AKW Leibstadt ersetzen.» Solche Anlagen könnten auch die «Dunkelflaute» oder «Winterlücke» aufheben, über die Kritiker der Erneuerbaren gerne lästern. Denn in den alpinen Regionen hat es viel Sonne und keinen Nebel.
Allerdings liegt im Winter meterweise Schnee in den Bergen. Für Ex-Nationalrat Rechsteiner ist auch das kein Problem, «wenn man die Panele senkrecht stellt». Als Beispiel verweist er auf Lawinenverbauungen im Prättigau. Auf dem Mont Soleil im Berner Jura, wo eines der ältesten Solarkraftwerke der Schweiz steht, würden 40 Prozent des Stroms im Winterhalbjahr produziert.
Die Produktion in höheren Lagen sei ohne Einschränkung beim Landschaftsschutz möglich. Als zusätzliche Vergütung kann sich Rechsteiner einen «Solarzins» vorstellen, analog zum Wasserzins, mit dem die Nutzung der Wasserkraft abgegolten wird.
Die SES-Studie lässt gewisse Fragen offen. So räumt Autor Rechsteiner ein, dass die Schweiz auch in Zukunft kaum ohne Stromimporte auskommen wird. Dabei werden die Lieferanten aus der EU selber zunehmend zu Nettoimporteuren. Ohne Stromabkommen mit der Europäischen Union geht es kaum, und dieses gibt es nur, wenn die Schweiz das Rahmenabkommen ratifiziert.
Dennoch liefert die Studie zusammen mit dem kürzlich erschienenen Buch des Waadtländer SP-Nationalrats Roger Nordmann eine gute Grundlage, um den Ausbau der Photovoltaik in der Schweiz zu beschleunigen. Die Hoffnungen ruhen nicht zuletzt auf dem neuen, grüneren Parlament. Die Realisierung der solaren Energiezukunft ist ein Kraftakt. Aber keine Hexerei.
In dieser Aussage sehe ich das grösste problem der menschlichen Existenz und dessen Zukunft
Bei den Vorschriften zur Energie (MuKEn 2014) machen die Kantone nicht vorwärts oder sie setzen Massnahmenpakete nicht um. Dort ist z.B. eine Eigenstromproduktion bei Neubauten vorgesehen.