Energieministerin Doris Leuthard liess in ihrem Heim einen kleineren Warmwasserboiler einbauen. Dadurch spare sie Strom, sagte sie letzte Woche im «Blick». Die Message war klar: Die Bundesrätin will beweisen, dass die Energiewende gelingen kann. Doch taugt Doris Leuthard wirklich als Vorbild?
Was im «Blick»-Interview kein Thema war: Die Bundesrätin fährt einen Tesla als Dienstfahrzeug. Wie ein Sprecher auf Anfrage sagt, verbrauchte ihr Elektro-Wagen 2016 exakt 9436 kWh (Kilowattstunden). 2015 waren es 9140 kWh. Ist das viel, oder ist das wenig? Um das einschätzen zu können, nimmt man am besten eine Studie über den Stromverbrauch der Privathaushalte ihres eigenen Departements, des UVEK, zur Hand.
Vergleicht man die Zahlen, zeigt sich Überraschendes: Der Tesla der Umweltministerin verbraucht etwa gleich viel Strom wie zwei Einfamilienhaus- oder drei Wohnungshaushalte mit jeweils drei Bewohnern.
Wenn ein Tesla, im Fall von Leuthard ist es ein Model S, so viel Strom verbraucht wie drei Haushalte, wie lassen sich dann die im Energiegesetz formulierten Stromsenkungsziele bis 2035 erreichen? Das Gesetz verlangt ja, dass der Stromverbrauch pro Kopf bis dahin um 13 Prozent gesenkt wird.
Bei Tesla-Fahrern ist der Stromverbrauch ein Dauerthema. «Hätte ich zu Hause nicht aufgerüstet, wäre meine Stromrechnung heute wesentlich höher», sagt ein Geschäftsmann aus Zug. Als er sich den Elektrowagen kaufte, investierte er zudem in eine Photovoltaik-Anlage auf dem Hausdach.
Damit produziere er den Strom für den Tesla komplett allein. Nur auf Reisen nutze er die Supercharger des Autoherstellers, für die er nichts zahlen muss.
Das sei mit der Selbstversorgung am besten gegeben.
Dem stimmen Experten zu. «Elektromobile leisten nur mit Ökostrom ihren Beitrag zur Energiewende, indem sie auf lokal produzierte, erneuerbare Energie setzen und weniger CO2 ausstossen», sagt Roberto Bianchetti, Elektromobilitäts-Experte bei der Beratungsfirma EBP.
Hinzu kommt: Elektro-Autos werden in naher Zukunft günstiger werden, das treibt die prognostizierten Zahlen an. Auch Tesla, bislang mit seinen teuren Karossen betuchten Technik- und Umweltfans vorbehalten, kommt zum Volk. Der kalifornische Hersteller will ab 2018 in Europa etwa 400'000 vorbestellte Fahrzeuge des «Günstig-Tesla» (Model 3) ausliefern. Der Einstiegspreis liegt zurzeit bei 35'000 Dollar.
Was das für die Stromnachfrage bedeutet, zeigt der Blick in die Szenario-Studien zur Marktentwicklung. «Wenn das erste Massnahmenpaket der Energiestrategie wie geplant realisiert wird, rechnen wir bis 2035 damit, dass fast 60 Prozent der Neuwagen E-Mobile sein werden», so Bianchetti, der in Zusammenarbeit mit Bundesstellen, ETH Zürich und der Empa eine Studie verfasst hat.
«Nimmt man an, dass der Anteil der Elektrofahrzeuge 2050 bei 40 Prozent der total etwa fünf Millionen Autos in der Schweiz liegt, wären dies zwei Millionen Fahrzeuge», sagt Christian Bach, Mobilitäts-Spezialist der Empa. Damit entstehe ein zusätzlicher Stromverbrauch von sechs Terawattstunden, zehn Prozent des Stroms, den die Schweiz 2016 gesamthaft verbrauchte. «Der zusätzliche Verbrauch entspricht der jährlichen Stromproduktion des Atomkraftwerks Beznau», sagt Bach. Wie geht das mit dem ambitionierten Stromsparziel der Energiestrategie einher?
Marianne Zünd, Sprecherin des Bundesamts für Energie, verweist auf «sehr viele Stromanwendungen, bei denen die Effizienzpotenziale noch lange nicht ausgeschöpft» seien. Mit diesem Einsparpotenzial «könnte schon ein guter Teil des künftigen Verbrauchs» der E-Autos gedeckt werden, sagt sie.
Zünd hofft zudem, dass in Zukunft weniger Automobile über die Strasse rollen werden. Sie spricht von einem «neuen gesellschaftlichen Trend»: Man könne davon ausgehen, dass «künftig eher weniger oder sogar viel weniger» Fahrzeuge als heute unterwegs sind. Sie verweist auf Car-Sharing und autonomes Fahren.
Doch derzeit geht der Trend in eine andere Richtung. Teslas finden reissenden Absatz, wie ein Blick in die Neuzulassungsstatistik des BFE zu Elektroautos zeigt: Denn die schicken, bis zu 700 PS starken Flitzer sind mit Abstand das beliebtestes E-Auto der Schweiz. Im ersten Quartal 2017 war über die Hälfte der Neuzulassungen von Tesla.
Für die E-Mobilität braucht es ein potentes Ladestationen-Netz. Tesla baut sein Netz von aktuell 11 Superchargern bis Ende 2017 auf 16 Stationen aus. Doch brauche es viel mehr, sagt Bach. Eine Richtlinie der EU sehe vor, dass auf 10 Fahrzeuge eine öffentlich zugängliche Ladesäule kommt. «Wenn wir von den zwei Millionen Elektroautos ausgehen, bräuchte es 200'000 Ladestationen», so Bach. Wie das Bundesamt für Strassen (Astra) in einer Empfehlung schreibt, sollen Bund und Kantone alle Schweizer Raststätten mit Schnellladeinfrastruktur ausstatten.
Viele Schnellladestationen mit hoher Anschlussleistung seien allerdings nicht im Sinn der Energiestrategie, sagt Bach. Von «nachhaltiger Mobilität» könne hier nicht die Rede sein, weil hohe Anschlussleistungen die Reduktion nuklearer oder fossiler Kraftwerke ausbremse. E-Mobile sollten zu Hause aufgeladen werden, rät Bach.
Anders als der Geschäftsmann aus Zug, der den Stromverbrauch seines Tesla selber auf dem Dach produziert, fehlen der künftigen Masse an E-Lenkern Mittel und Möglichkeiten, sich selber mit Strom zu versorgen. Wer zu Hause über eine Solaranlage Strom produziert, benötigt eine Stromspeicherbatterie. Die kostet bei Tesla wie bei der Konkurrenz knapp 10'000 Franken.
Auch wer den Strom für sein Auto bloss beziehen will, etwa über Nacht in seiner Garage, stösst rasch an Grenzen. «Es fängt schon mit der Tiefgarage im Reihenhaus an» sagt Bach. Wenn da plötzlich zehn Anwohner in der Nacht Strom tanken wollen, brauche es den Ausbau mit leistungsfähigen Kabeln und Zählern. Eine Abschätzung dieser Installationskosten sei nicht einfach. Sie liege aber in vielen Fällen über den Kosten der Ladesäulen.