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Coronavirus: Immer weniger nutzen die Corona-App trotz vielen Meldungen

In der Schweiz gibt es laut dem Bund gegen 6,4 Millionen Handys, die mit der App kompatibel sind. (Symbolbild)
Die App SwissCovid ist derzeit auf weniger Smartphones aktiv als noch vor einer Woche.Bild: sda

Immer weniger nutzen die Corona-App – trotz 70 Covid-Meldungen in sieben Tagen

Die Schweizer Tracing-App trägt wenig zur Eindämmung der Pandemie bei. Nur jede neunte Person hat sie aktiviert. Tendenz sinkend.
14.07.2020, 07:2314.07.2020, 07:31
Niklaus Salzmann - CH Media
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In den vergangenen sieben Tagen wurden in der Schweiz rund 600 Menschen positiv auf Corona getestet. Siebzig der Erkrankten haben dies in der Corona-App SwissCovid erfasst. Das sind gut elf Prozent, was ziemlich genau dem Anteil der Bevölkerung entspricht, der die App aktiviert hat.

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Bei der Lancierung von SwissCovid waren die Erwartungen gross gewesen: Sang-Il Kim, Leiter der App-Entwicklung beim Bundesamt für Gesundheit (BAG), hoffte darauf, dass sie bei jedem fünften Smartphone aktiv sein werde. Von diesem Ziel sind wir nach zweieinhalb Wochen weit weg – und wir entfernen uns immer weiter davon. Vor einer Woche hatten noch mehr als eine Million Schweizerinnen und Schweizer die App aktiviert, doch seit Donnerstag gehen die Zahlen zurück. Für den Sonntag meldete das Bundesamt für Statistik noch 950'288 aktiver Apps; das ist ein Rückgang von fast sieben Prozent in sechs Tagen. Das digitale Corona-Tracing des Bundes erreicht damit noch knapp jede neunte Person in der Schweiz. Dies, obwohl bereits ein Fünftel der Bevölkerung die App heruntergeladen hat ­– offenbar haben viele davon sie inzwischen deinstalliert oder zumindest deaktiviert.

Das Bundesamt für Gesundheit beschwichtigt: «Es handelt sich um nachvollziehbare Schwankungen», heisst es gegenüber dieser Zeitung. Die Zahlen würden von Wochenenden und dem Ferienbeginn beeinflusst, wenn Personen die App im Ausland deaktivieren oder über die freien Tage den Flugmodus einschalten. Beim Blick auf die Kurve kommen jedoch Zweifel auf, ob dies allein die Trendwende erklären kann. Ein starker Rückgang zeigte sich zum Beispiel auch von Donnerstag auf Freitag. Und im benachbarten Ausland tauchen ebenfalls Probleme auf, die von freien Tagen unabhängig sind.

Der Pionier Österreich hinkt jetzt hinten nach

Vorreiter in Europa war Österreich, wo das Rote Kreuz bereits im März eine Tracing-App lancierte. Ende Juni kam ein grosses Update. Trotzdem hatten bis am 6. Juli nur 775'579 Personen die App installiert. Selbst wenn jede heruntergeladene App aktiviert wäre, ergäbe dies noch eine sehr viel schlechtere Quote als in der Schweiz.

In Deutschland gab es bis gestern 15,6 Millionen Downloads, was ungefähr der Quote der Schweiz entspricht. Nicht bekannt ist, wie viele der Apps dort tatsächlich aktiv sind.

In Frankreich klappt es noch schlechter

Ein wahrhafter Flop ist die französische App. Das hatte sich in der Zwischenbilanz drei Wochen nach der Lancierung gezeigt: Von den 65 Millionen Französinnen und Franzosen hatten nicht mal zwei Millionen die App installiert – und von diesem wiederum 460'000 sie bereits wieder deinstalliert. Bei einer so geringen Reichweite kann die App nicht mehr viel zur Eindämmung des Virus beitragen. 68 an Covid Erkrankte hatten ihr positives Testresultat in der App erfasst. Daraus resultierten gerade mal 14 Warnungen an andere Personen, die laut Smartphone einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt waren.

Was läuft falsch? In Frankreich dürften Bedenken wegen des Datenschutzes einen Teil der Bevölkerung abgeschreckt haben. Die erfassten Daten werden dort zentral gespeichert, im Unterschied zur Schweiz. Doch auch hierzulande machen sich die Leute Sorgen, ob sie zu viel über sich verraten. Zwar hatten die Behörden versprochen, dass keine persönlichen Daten und keine Standorte erfasst würden. Doch Android-User wurden beim Installieren dazu aufgefordert, die Standortfunktion einzuschalten. Daran kann der Bund nichts ändern: Bei Android-Geräten muss sie aktiviert sein, damit die benötigte Bluetooth-Funktion laufen kann. Das irritiert – die Android-App wird von den Nutzerinnen und Nutzern mit 3,7 von 5 Sternen bewertet, diejenige von Apple dagegen mit 4,6 Sternen.

Im April wollten zwei Drittel der Bevölkerung die App

Ein weiterer Grund für den Rückgang könnte sein, dass die Infektionszahlen inzwischen sehr viel tiefer liegen als im Frühling und damit die Bevölkerung weniger Angst hat. Im April waren laut der Forschungsstelle Sotomo 65 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer bereit, die App zu installieren. Im Mai waren es noch 60 Prozent, im Juni 54 Prozent. Ende Juni fand der Online-Vergleichsdienst Comparis sogar nur noch 44 Prozent, die sich für die App aussprachen.

Hinzu kommt, dass mit der Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr das Risiko für Fehlalarme gestiegen ist. Wenn jemand neben einem infizierten Menschen mit Maske im Zug sitzt, gilt dies nicht als Infektionsrisiko. Die App weiss jedoch nichts von der Maske und schätzt die Situation als riskant ein. Wenn jemand die App aus diesem Grund im Zug deaktiviert, kann es auch passieren, dass sie oder er nachher das erneute Einschalten vergisst.

Wer ein altes iPhone benutzt, wird ausgeschlossen

Manche Schweizerinnen und Schweizer waren aus technischen Gründen sogar von Vornhinein ausgeschlossen. Zwar besitzen hier weit über 90 Prozent ein Smartphone. Doch wer noch das iPhone 6 aus dem Jahr 2014 benutzt, stellt fest: Die App funktioniert nicht. Sie erfordert eine neuere Version des Betriebssystems, das erst ab dem iPhone 6s läuft. Daran wird sich so rasch nichts ändern – die Schweizer App ist hierbei von Apple abhängig, und der Konzern unterstützt das ältere Modell nicht mehr. Umgekehrt sind es bei Huawei die neusten Geräte, die ein Problem haben. Wegen der Sanktionen durch die USA darf der chinesische Hersteller nicht mehr auf den «Play Store» zurückgreifen. Damit hat er auch keinen Zugriff auf die Schweizer Tracing-App.

Was bringt die App überhaupt noch, wenn sie nur von so wenigen genutzt wird? Im Vorfeld hiess es oft, 60 Prozent müssten erreicht werden, damit eine Tracing-App wirksam eindämmt. Die Zahl stammte aus einer Studie der Oxford University. Doch das Forschungsteam hinter der Studie beklagte sich nachher, dass ihre Zahlen verkürzt wiedergegeben wurden. Auch bei tiefen Nutzungszahlen trage eine App zur Verlangsamung der Pandemie bei. In einem Interview mit der «Süddeutschen Zeitung» sagte Co-Autorin Lucie Abeler-Dörner, die App beginne zu wirken, sobald 15 Prozent der Bevölkerung mitmachten.

Auch das ist noch weit mehr als die aktuellen 11 Prozent der Schweiz. «Jede Unterbrechung der Infektionskette ist wichtig», sagt dazu das BAG. Um den Anteil zu erhöhen, spannt der Bund nun mit den Mobilnetzbetreibern zusammen, wie er gestern bekanntgab. Salt, Sunrise und Swisscom werden ihren Kundinnen und Kunden per SMS empfehlen, die App zu installieren.

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191 Kommentare
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Frankygoes
14.07.2020 07:44registriert März 2019
Die Covidioten gewinnen die Überhand. Auch eine Art Vorbereitung auf die zweite Welle.
Na ja. Besser 1 Mio Nutzer als gar keine.

Allerdings: Blauzahn und Standort untrennbar miteinander zu verknüpfen ist wirklich schwer zu erklären. Nicht sehr elegant vom Android-System und Wasser auf die Mühlen der Skeptiker..
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predox
14.07.2020 08:55registriert August 2016
"Wenn jemand neben einem infizierten Menschen mit Maske im Zug sitzt, gilt dies nicht als Infektionsrisiko."
Und warum nicht? Die Maske reduziert das totale Infektionsrisiko, wenn alle eine im ÖV tragen. Aber wenn man neben eine Stunde neben einem infizierten Menschen sitzt (beide mit Maske) gibt es sicher noch ein Infektionsrisiko und deshalb sollte die App auch Alarm schlagen. Da verstehe ich Herrn Koch, wenn er sagt, dass die Maske ein falsches Verständnis von Sicherheit gibt.
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Gianini92
14.07.2020 08:28registriert November 2015
Gehts noch?! Seit wann bedeutet eine Maske ein 100 prozentiger Schutz vor einer Infektion? Natürlich sollte man auch im ÖV weiterhin die App laufen lassen.
Falls die Maske derart wirksam wäre, bräuchte es ohnehin keine App, sondern einfach eine absolute Maskenpflicht in der Öffentlichkeit und das Problem wäre gelöst.
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