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Hackerangriffe auf Schweizer Firmen nehmen bedrohliche Züge an

Hackerangriffe auf Schweizer Firmen nehmen bedrohliche Züge an

Huber+Suhner musste die Produktion stillegen, der Medienkonzern TX Group erlitt einen teilweise erfolgreichen Angriff: Die Gefahr von Cyberangriffen auf Unternehmen und kritische Infrastruktur steigt.
14.01.2021, 05:22
Christian Mensch / ch media
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Der Zürcher Medienkonzern TX Group wurde Opfer von Cyberkriminellen.
Der Zürcher Medienkonzern TX Group wurde Opfer von Cyberkriminellen.bild: keystone

Wenn die Systeme Alarm schlagen, ist es häufig zu spät. Der Virus hat sich schon vor Tagen oder gar schon vor Monaten eingenistet. Als Schläfer orientiert er sich in der Umgebung, eruiert Schwachpunkte, öffnet Hintertüren, saugt Daten ab oder in­stalliert weitere Schadsoftware.

Im November war ein solcher Angriff beim Medienkonzern TX Group teilweise erfolgreich. Eine toxische Software legte die Verbindungen in der IT-Infrastruktur lahm. Abonnenten konnten ihre E-Papers nicht laden, Websites waren zeitweise nicht erreichbar. Der erkennbare Schaden hielt sich in Grenzen, die Angriffe hätten abgewehrt werden können, teilte das Unternehmen mit.

Der Aktienkurs sackte dennoch unmittelbar um drei Prozent ab. Nur knapp ist die TX Group damit am Schicksal der deutschen Mediengruppe Funke vorbeigeschrammt. Diese konnte nach einer Hackerattacke kurz vor Weihnachten ihre zwölf Tageszeitungen nur noch als Notausgaben herausgeben.

Huber+Suhner musste die Produktion stilllegen

Die Zahl der Cyberattacken ist seit Jahren hoch, doch die Angriffe werden immer raffinierter, die Ziele immer sensibler, die Abwehrmassnahmen immer aufwendiger. Staaten wie Firmen investieren massiv in den Aufbau von Schutzwällen.

Härter als den Zürcher Medienkonzern traf ein Angriff Mitte Dezember die international tätige Industriegruppe Huber+Suhner. Drei Tage lang war die Produktion stillgelegt. Schrittweise nur konnte die IT-Infrastruktur wieder einem geordneten Betrieb zugeführt werden. Die Medienabteilung erklärt: «Aus betrieblicher Sicht erachten wir die Cyberattacke als abgeschlossen.» Die kriminaltechnischen Ermittlungen seien jedoch noch nicht abgeschlossen.

Die Cyberkriminalität betrifft grundsätzlich alle Bereiche des wirtschaftlichen wie des staatlichen Handelns. Meist geht es darum, Geld zu erpressen. Entweder um damit von den Hackern den Code zu erhalten, mit dem sich die verschlüsselten IT-Systeme wieder funktionsfähig machen lassen, so geschehen etwa im Fall der Funke Mediengruppe und wohl auch bei der TX Group. Oder um zu verhindern, dass beim Hack gestohlene, sensible Dokumente veröffentlicht werden.

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Die Produktionsstätten von Huber+Suhner waren drei Tage stillgelegt.Bild: sda

Gegen eine solche Erpressung hat sich Stadler-Rail gewehrt. Der Ostschweizer Zugbauer hatte im vergangenen Mai kommuniziert, dass es nach einem ­Hackerangriff «mit hoher Wahrscheinlichkeit» zu einem Datenabfluss gekommen sei. Während die meisten angegriffenen Firmen zurückhaltend informieren, operiert Stadler offensiv und berichtete auch von einer Erpresserforderung in Höhe von sechs Millionen Dollar, zahlbar in Bitcoins.

Nachdem offensichtlich kein Geld geflossen war, erhöhten die Täter den Druck und stellten einen Teil der Dokumente ins Darknet, der zweiten Ebene des Internets. Über den aktuellen Stand der Ermittlungen nach der Täterschaft schweigt sich die Firma aus. Die Medienstelle erklärt: «Aufgrund des noch laufenden Verfahrens bitten wir um Verständnis, dass wir uns dazu nicht äussern können.»

Die Möglichkeiten der Justiz sind beschränkt

Stadler ist von der Schadsoftware Nefilim angegriffen worden, die gemäss IT-Experten zu einer neueren Generation von sogenannter Ransomware gehört, die sowohl Systeme verschlüsseln, als auch Daten absaugen kann, was auch als «doppelte Erpressung» bezeichnet wird. Gegen Ersteres scheint Stadler Rail immerhin gewappnet gewesen zu sein, da alle Daten auch als zusätzlich gesicherte Kopien abgelegt waren.

Die Daten des Spuhler-Konzerns wurden veröffentlicht.
Die Daten des Spuhler-Konzerns wurden veröffentlicht.screenshot: twitter

Die Daten des Spuhler-Konzerns wurden veröffentlicht. (Screenshot Twitter) © CH Media

Die Möglichkeiten der Strafverfolger, die Täter zu ermitteln oder gar vor Gericht zu bringen, sind beschränkt. Denn diese operieren nicht nur global vernetzt, sondern auch arbeitsteilig. Cyberkriminelle können ­Lizenzen für die eingesetzte ­Crimesoftware erwerben so wie Firmen sich Lizenzen etwa für Microsoft-Produkte beschaffen.

Berner Polizei wurde angegriffen

Meist werden Firmen oder Institutionen aber gar nicht gezielt angegriffen, sondern werden zum Opfer eines breit gestreuten Versandes, weil ein Mitarbeiter unvorsichtigerweise einen verseuchten Anhang einers E-Mails geöffnet hat. Dies ist mit grosser Wahrscheinlichkeit der Hintergrund eines Hackerangriffs von dieser Woche auf die Berner Polizei und andere Schweizer Sicherheitsorgane mit dem Schadprogramm Emotet, das ebenfalls darauf ausgelegt ist, Dateien zu verschlüsseln, für deren Entcodierung ein Lösegeld verlangt wird.

Andreas Schneider, der IT-Sicherheitschef der TX Group, ist wenig optimistisch, dass die Angreifer gegen den Konzern ermittelt werden. Die Angriffe würden zusammen mit externen Partnern analysiert. Vielleicht lasse sich herausfinden, wer dahintersteckt, oder liessen sich gemeinsame Muster identifizieren. «Die Wahrscheinlichkeit ist eher gering.»

Im «Darknet» stehen Kreditkarten von Schweizern zum Verkauf
Drei «frische» Kreditkarten für 70 Franken bietet der Händler an. Gerne auch solche von Schweizern, wenn gewünscht – «mit hohen Guthaben». Ein anderer verkauft Log-in-Daten von Schweizern für den Sport-Streamingdienst DAZN. Für einmalig fünf Dollar statt die normalen 12 Dollar pro Monat. Ominös schreibt er dazu: «Ändern Sie keine Kontoangaben!» Die eigentlichen DAZN-Kunden sollen nicht merken, dass sie einen Trittbrettfahrer haben.

Beide Inserate waren gestern Nachmittag zu finden auf einem bekannten Marktplatz im Darknet, dem versteckten Teil des Internets.

Es handelt sich um den kleinen Bruder der grossen organisierten Angriffe: Cyber-Kleinkriminalität. Teils ist sie lästig, und teils kann sie Tausende Franken kosten. Belangt werden die Täter kaum. Sie verschwinden irgendwo im digitalen Nirwana.

Für Konsumenten scheint es nur eine Strategie zu geben: Sich als Opfer so unattraktiv wie möglich zu machen. Denn die Abzockereien lohnen sich nur, wenn der Täter sie in schneller Folge massenhaft begehen kann. Stösst er auf ein Hindernis, flucht er und nimmt sich das nächste Opfer vor.

Gegen Kreditkarten-Betrug hilft die Aktivierung der sogenannten Zwei-Faktor-Authentifizierung. Das bedeutet, dass nicht nur die Kredikarteninfos für Zahlungen nötig sind, sondern auch ein einmaliger Code, den man per SMS erhält. Wenn nicht bereits aktiviert, kann dies beim Kreditkarten-Anbieter online eingeschaltet werden. Gegen den DAZN-Log-in-Diebstahl hätte ebenfalls die Zwei-Faktor-Authentifizierung geholfen. Aktivieren kann man sie bei den meisten Websites in den Kontoeinstellungen unter «Sicherheit».

Der alte Tipp, nicht überall das gleiche Passwort zu verwenden, gilt noch immer. Denn sonst ist nicht nur der Streaming-Account gehackt, sondern plötzlich auch das E-Banking. Abhilfe schaffen Passwortmanager (oft empfohlen: Bitwarden.com), die sichere Passwörter erstellen und automatisch Passwortfelder ausfüllen. (lei/aargauerzeitung.ch)
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4 Kommentare
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herrkern (1)
14.01.2021 08:11registriert Juli 2017
Der Angriff gegen TX Group war eine DDoS Attacke auf einige Bestandteile ihrer Infrastruktur wie z.B. die Paywall. Das muss man unterscheiden von Hacker-Angriffen, die wirklich ins System eindringen und Daten verändern/abzügeln. Bei TX Group hatten sie die Attacke schnell im Griff.
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