Schweiz
Digital

Daniel Graf wünscht sich eine digitale Demokratie.

Einr der vier Kampanienleiter, Daniel Graf anlaesslich zum Start des Referendum und der Abstimmungskampagne gegen das Obeservationsgesetz und die Ueberwachung von Versicherten am Montag, 17. September ...
Daniel Graf: Netzaktivist, Meidienprofi und Kampagnenberater.Bild: KEYSTONE

Dieser Mann will die Machtverhältnisse in der Schweiz verschieben – und so soll das gehen

Daniel Graf ist Kopf des Referendums gegen Sozialdetektive. Vor allem aber ist er  Aktivist, der von einer digitalen Demokratie träumt. Begegnung mit einem Rastlosen.
10.10.2018, 10:0716.10.2018, 15:24
Mehr «Schweiz»

In seiner rechten Hand hält Daniel Graf die Gabel, mit seiner linken gestikuliert er wild in der Luft. Seinen Vorspeisesalat hat er erst bis zur Hälfte fertig geschafft, der Reis mit Gemüse ist längst kalt. Vor jedem Bissen kommt ihm etwas Wichtiges zuvor, das es auszuführen gilt. «Ich ess' dann schon noch», sagt er, als er den verstohlenen Blick der Reporterin auf seinem Teller sieht. Doch dann holt der 45-Jährige wieder aus, erklärt, grüsst zwischendurch einen Bekannten am Nebentisch und wechselt zurück zu seinem Lieblingsthema: Digitale Demokratie.

«Ich bin nie im Jetzt, sondern immer vier Sekunden voraus. Deswegen ziehe ich nach vorne, ich bin ja immer schon da.»
Daniel Graf

Graf ist vieles: Kommunikationsberater, Medienprofi, Netzaktivist. Vor allem ist er ein Rastloser, ein Getriebener, einer, der in hohem Tempo vorprescht und anderen das Gefühl gibt, ständig etwas zurück zu liegen. Sein psychisches Profil beschreibt Graf so: «Ich bin nie im Jetzt, sondern immer vier Sekunden voraus. Deswegen ziehe ich nach vorne, ich bin ja immer schon da.»

Es sind diese Eigenschaften, die Graf antreiben, die ihn an den Punkt bringen, an dem er heute steht: Er ist Co-Kampagnenleiter beim Referendum gegen die Sozialdetektive, über das die Schweizer Stimmberechtigten am 25. November befinden. Hinter Graf steht keine Partei, sondern Bürger, die sich über das Internet zusammengefunden haben. Zum ersten Mal in der Schweizer Geschichte kommt es aufgrund einer digitalen Mobilisierung zu einer Abstimmung. Das ist einzigartig.

Der Beginn der digitalen Demokratie

Im Frühling 2016 gründete Graf Wecollect, eine Internet-Plattform, über die im Netz Unterschriften für Volksinitiativen und Referenden gesammelt werden können. Der Vorgang ist simpel: Wer ein politisches Geschäft unterstützen will, kann den Unterschriftenbogen einfach ausdrucken, signieren und per Post einsenden.

Grafs Vision war, anstatt dem mühsamen Sammeln von Unterschriften auf der Strasse in kurzer Zeit eine grosse Masse über das Internet zu mobilisieren und so tausende Unterschriften zu sammeln. «Normale Bürgerinnen und Bürger erhalten so ein Instrument, sich direkt und einfach an demokratischen Prozessen zu beteiligen», sagt Graf. Theoretisch. Doch in der Realität war seine Idee zwar gut, interessierte anfangs aber kaum jemanden. Wie so oft war er zu schnell, zu früh.

Immer auf Trab: Daniel Graf in seinem Büro.
Immer auf Trab: Daniel Graf in seinem Büro.bild: watson

Heute, zweieinhalb Jahre nach der Gründung von Wecollect, ist das anders. Graf und seine Plattform kann heute keiner mehr ignorieren. Im Frühling dieses Jahres sprach sich das Parlament für ein Gesetz zur Überwachung von Sozialversicherten aus. Dieses sollte ermöglichen, dass Bezüger von Sozialhilfe, IV-Rentner, Arbeitslose und Unfall- und Krankenversicherte bei Verdacht auf Missbrauch durch Detektive observiert werden können. Die Versicherungen selbst könnten die Observation veranlassen und dabei Bild- und Tonaufnahmen machen. Eine richterliche Genehmigung bräuchte es nur für GPS-Tracker, die an Autos angebracht werden.

Mit dem jungen Internetaktivisten Dimitri Rougy baute Graf ein Netzwerk für das Referendum auf. Über Wecollect und Sammelaktionen auf der Strasse konnte der lose Zusammenschluss in kurzer Zeit tausende Unterschriften sammeln, nach hundert Tagen hatte er 56'000 zusammen. Graf sagt: «Für mich bedeutete das: Jetzt ist Wecollect referendumsfähig. Das ist gross.» Gross, weil Graf mit Wecollect die politischen Machtverhältnisse verschiebt. Weg von den Parteien, hin zu den Bürgern.

Guerilla-Aktionen früh gelernt

Schon in der Kantonsschule Bülach (ZH) war Graf derjenige, der zog, Aktionen plante, bei den Demos mit den Medien sprach. Politisiert habe ihn, als Neonazis im Zürcher Unterland Brandsätze auf Asylheime warfen. Während der grossen Anti-Globalisierungsbewegung in den 90er-Jahren wurde seine WG zum Schlafplatz für zwanzig Personen aus ganz Europa. Sie reisten gemeinsam nach Davos, um gegen das Weltwirtschaftsforum zu demonstrieren.

«Die Zeit der grösseren Partizipation für alle ist gekommen.»
Daniel Graf.

Graf organisierte Guerilla-Aktionen, lernte, wie man medienwirksam Werbung für die eigene Sache macht. Taktiken, derer sich auch heute noch gerne bedient. So kopierte das Referendumskomitee gegen Sozialdetektive kürzlich Werbeplakate von Krankenkassen und verfälschten diese mit eigenen Botschaften und Bildern.

Die Möglichkeiten des Internets entdeckte Graf an der Universität. In Zürich und Berlin studierte er Geschichte. In einem Keller an der Zürcher Rämistrasse gab es einen Computer-Raum, wo er jede Minute seiner Freizeit verbrachte. «Ich war es oft, der meinen Freunden das Netz erklärte.» Unter den Aktivisten war er einer der Ersten mit eigenem Modem, später kaufte er sich auf dem Schwarzmarkt ein Iphone, eröffnete Social-Media-Accounts. Während sich andere langsam an die neuen technologischen Möglichkeiten herantasteten, war er immer schon einen Schritt weiter, kannte das Gerät bereits und fragte sich, wie er für die Politik nutzen kann.

Mehr Macht dem Volk

Nebst dem Versicherungsdetektiv-Referendum werden derzeit auch für die Korrektur-Initiative gegen Waffenexporte in Bürgerkriegsländer und für ein Referendum gegen den AHV-Steuer-Deal Unterschriften über Grafs Plattform gesammelt. Was bedeutet es, wenn bei politischen Geschäften künftig über das Internet interveniert werden kann? «Dass es eine neue Art von Demokratie geben wird», sagt Graf. Das ist etwas, auf das er mit Überzeugung hinarbeitet. Behörden und Parlamente müssen Macht abgeben, findet er. «Die Zeit der grösseren Partizipation für alle ist gekommen.»

Mehr Macht dem Volk, also. Ob das gut gehen kann? Welch pessimistische Frage, findet Graf. «Je mehr Macht wir den Bürgern geben, desto stabiler ist die Demokratie. Das Risiko, dass eine Regierung ein Land an die Wand fährt ist viel grösser, aber es sind selten die Bürger, die das tun.» Ginge es nach ihm, so würde er am liebsten eine Initiative für digitale Volksrechte lancieren, mit der das E-Collecting, also das Signieren über das Smartphone, eingeführt würde und bei der noch mehr partizipative Plattformen geschaffen würden.

«Mir geht es nicht nur darum, zu gewinnen. Mir geht es darum, eine schlagkräftige Demokratiebewegung aufzubauen.»
Daniel Graf.

Gewinnt Graf mit seinem Komitee am 25. November die Abstimmung, käme das einer Sensation gleich. Nicht nur, weil Bundesrat und eine Mehrheit im Parlament dem neuen Gesetz zustimmen. Auch wäre es das erste Mal, dass eine Internet-Gemeinschaft eine Abstimmung erzwungen hat und diese gewinnt.  Verliert Graf, fände er das auch nicht so schlimm. «Mir geht es nicht nur darum, zu gewinnen. Mir geht es darum, eine schlagkräftige Demokratiebewegung aufzubauen», sagt er.

Und was tut der Rastlose, wenn er gerade nicht im Internet surft, den nächsten Angriff plant, Medien mit Guerilla-Aktionen verwirrt? «Dann bin ich zu Hause bei meiner Familie.» Mit seiner Frau, einer Lehrerin, und den fünf- und achtjährigen Söhnen wohnt er in Basel. Eigentlich sollte er jetzt mit ihnen in Sardinien in den Ferien sein. Doch als das Referendum gegen die Sozialdetektive zustande kam, war klar, dass bis Ende November kaum Zeit für Erholung bleiben wird.

Die Sozialhilfe nimmt uns Schweizern die Frauen weg!

Video: watson/Renato Kaiser
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
51 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
El Vals del Obrero
10.10.2018 10:27registriert Mai 2016
War unsere Demokratie nicht schon immer "digital"?

Man kann "Ja" oder "Nein" stimmen. Zwei mögliche Zustände, das ist doch die Definition von "digital".

In einer "analogen" Demokratie könnte man auch "vielleicht" "eher ja" "eher nein" etc. stimmen.

Und ob sich wirklich prinzipiell was (zum besseren) ändert, nur weil nicht mehr alles über Papier läuft, glaube ich weniger. Ausser, dass nur noch IT-Experten die Sicherheit von Resultaten nachvollziehen kann, was Tür und Tor für Verschwörungstheorien öffnet.

Irgendwie scheint mir das etwas gar Hype-getrieben.
28690
Melden
Zum Kommentar
avatar
Statler
10.10.2018 13:28registriert März 2014
Grundsätzlich schön und gut. Nur beschleicht mich dabei der Gedanke, dass so die «Like»-Kultur in der Demokratie Einzug halten würde. Ein Button ist schnell gedrückt und Nachdenken muss man dabei auch nicht. Sprich, das Wahlverhalten könnte noch impulsiver werden, als es heute schon ist (Stichw. Protestwähler).
Ob das der Demokratie wirklich förderlich wäre, wage ich irgendwie zu bezweifeln.
7810
Melden
Zum Kommentar
avatar
Bruno Wüthrich
10.10.2018 11:43registriert August 2014
Die Idee, unabhängig von Parteien und Verbänden digital Initiativen zu lancieren und Referenden zu ergreifen, halte ich für sehr interessant. Weil dabei die Leute an den (bisherigen?) Schalthebeln der Macht (an der Spitze der Parteien, Verbände und der Wirtschaft) vermehrt die Bedürftnisse der einfachen Menschen als Grundlage in ihre Entscheidungen mit einbeziehen müssten. Sie müssten damit rechnen, dass ihnen künftig nicht nur auf die Finger geschaut würde, sondern auch deutlich einfacher erfolgreich interveniert werden könnte. Die Gefahr des Missbrauchs ist jedoch ebenfalls vorhanden.
673
Melden
Zum Kommentar
51
«Stellar Blade» spaltet die Gemüter: «Sexy» oder einfach sexistisch?
«Stellar Blade» sorgt bereits für Kontroversen, bevor das Spiel überhaupt auf dem Markt ist: Zu sexy – oder gar sexistisch? Wieso das Action-Game diese Effekthascherei gar nicht nötig gehabt hätte, erklärt der ausführliche Report.

Weibliche Hauptcharaktere in Videospielen sind im Jahr 2024 längst keine Seltenheit mehr. Heldinnen wie Aloy aus der «Horizon»-Reihe, Senua aus «Hellblade» oder Ellie aus «The Last Of Us» zeigen, dass starke Frauen im modernen Storytelling ihren Platz längst gefunden haben. Vor allem aber rücken sie weg vom Klischee der «sexy Amazonen», welches die Charakterzeichnung einst bestimmte.

Zur Story