Wie hält sich die Schweiz an die Regeln, um die Ausbreitung des Coronavirus weiter einzudämmen? Die Antwort auf diese Frage ist mitentscheidend, ob und wie der Bundesrat den derzeitigen «Lockdown» etappenweise lockern wird. Der Blick richtet sich deshalb auf das laufende Osternwochenende.
Zumindest die Eindrücke vom Karfreitag dürften ein gutes Zeichen sein. watson verfolgte das Geschehen draussen an vier Stationen. Es ist ein heikler Reportage-Einsatz: Von grösseren Reisen, insbesondere ins Tessin, wird nach wie vor abgeraten. Um die Entscheidungen des Bundesrates einordnen zu können, sind für Medien auch eigene Beobachtungen notwendig.
Ein Eindruck, der sich wie ein roter Faden durch den ganzen Karfreitag zieht: Im öffentlichen Verkehr ist es sehr still. Grösstenteils. Der erste Teil der Tour durch die Schweiz führt von Zürich nach Göschenen. Am Hauptbahnhof findet sich kaum eine Menschenseele, niemand, der noch die Zigarette vor der Zugsabfahrt rauchen will.
Der erste Blick im Zug bestätigt sich: Nach Arth-Goldau und dann weiter ins Tessin wollen nur wenige. Der Kondukteur ärgert sich aber beim kurzen Smalltalk: «Die paar Ausflügler haben fast alle ein Velo dabei!» Wenn man ihn «genau so» anonym zitiere, dürfe der watson-Journalist mit dem Velo einsteigen, auch wenn im Doppelkompositions-InterCity kein Veloplatz mehr frei ist.
Das Bild des fast ausgestorbenen öffentlichen Verkehrs bestätigt sich auf den regionalen Strecken: Der RegioExpress, der um 13.09 Uhr bei Göschenen ins Gotthard-Nordportal einfährt, fährt bis Faido TI gar komplett leer. Im über 100 Tonnen schweren Tilo-Zug sitzt neben dem Reporter nur noch der Lokführer – und das trotz deutlich ausgedünntem Fahrplan.
Das Bild bestätigt sich auch auf der Strasse. Der AAGU-Buschauffeur, der am Mittag von Erstfeld nach Göschenen fuhr, erzählt von einer «handvoll Passagieren», die er heute schon befördert habe. Am Karfreitagmorgen sei er ein paar wenigen «Töfffahrern» begegnet, die er während seiner Kaffeepause als «unvernünftige Pläuschler» bezeichnet.
Der Buschauffeur in Göschenen lacht aber, als er von einem «vernünftigen Obwaldner» hört, der von der Urner Kantonspolizei auf dem Autobahn-Rastplatz vor dem Gotthard-Strassentunel zum Umkehren überzeugt wurde. «So sind wir eben! Immerhin musste er nicht weit zurückfahren», sagt er.
Die Überzeugungsarbeit war wohl nicht schwierig. Vom Hügel neben dem Rastplatz sieht man, wie zwei Polizisten einen Autofahrer nach dem anderen auf die Ausfahrt lenkt. Zeitweise passiert das im zwei, drei Minutentakt. Einer von ihnen ruft jeweils per Funk, ob das Auto «en Tessiner», «vo Italie» oder von sonst wo ist.
Auf dem Rastplatz dann skurrile Szenen: Die Autofahrer werden zum Parkieren aufgefordert, wo sie von einer Polizistin freundlich begrüsst werden, bevor sie zu den kritischen Fragen ausholt: «Wohin fahren Sie? Warum fahren Sie ins Tessin?» Gesetzt wird auf den Effekt des schlechten Gewissens, unterstützt durch mehrere Kamera-Teams, die für ihre Fernsehsender den Einsatz filmen.
Wirken tut's ein bisschen: Neben dem erwähnten Obwaldner, konnte die Polizei eine «Handvoll ‹Besserwisser›» zur Umkehr überreden, schreibt später der «Blick».
Standort-Wechsel am Nachmittag. In Lugano brennt die Frühlingssonne fleissig die Plätze und Quais rund um den Lago di Lugano heiss. Das Thermometer zeigt im Schatten warme 25 Grad an. Dort, wo an normalen Tagen ganze Menschenscharen flanieren und ihren Coupe essen würden, hört man kein Schweizerdeutsch, kein Italienisch.
Bisschen mehr Leben herrscht auf der Piazza Alighieri Dante, wo sich der Eingang zum Manor befindet. Obwohl Karfreitag ist, haben Teile des Geschäfts offen. Die Sicherheitsleute koordinieren strikt das Tröpfli-System, weshalb sich eine fast 20 Meter lange Warteschlage bildet. Nicht, weil so viele Leute rein wollen, sondern weil man brav den Sicherheitsabstand einhalten will.
Das Anstehen nutzen viele Luganesen für einen kurzen Schwatz: «Ciao, wie geht es dir? Wie geht's der Mama?» Für Deutschschweizer ein ungewöhnlicher Anblick: Viele von ihnen tragen eine Maske. Sogar eine Zweier-Patrouille der Kantonspolizei marschiert mit Atemschutz durch die Gassen.
Was den ganzen Tag auffällt: Die wenigen Ausflügler und Tessin-Besucherinnen, die sich auf ein Gespräch einlassen, verlangen Anonymität. Ein schönes Portrait, für den Artikel und als Erinnerung? «Nein, sonst kassiere ich noch einen Zusammenschiss von meinen Arbeitskollegen!», sagt ein Mann, der rucksackbeladen mit seiner Frau am Bahnhof Lugano auf den EuroCity in Richtung Zürich wartet.
Sie stimmt ihm zu und lacht. «Das ist ja mittlerweile so lächerlich wie das mit dem Klima. Jeder will in die Ferien, aber niemand gibt zu, dass man den Flieger nimmt», sagt sie. Eine Art «Corona-Scham» also? Sie will nicht darauf eingehen und rechtfertigt sich: «Ja, nein. Irgendwann muss man einfach rausgehen, sonst dreht man im Home Office durch!»
Zum rausgehen muss man natürlich ins Tessin :-/
Die Realität sehe ich, wenn ich das Fenster aufmache. Im Kleinbasel hocken die Jugendlichen zu zehnt vor den Take-aways, an der Wiese wuselts, und rausgehen kann man offenbar auch nur in Gruppen. Aargauer Dröhnkarren mit entsprechenden Jungstieren drumrum produzieren sich wie gehabt. Social distancing? Ahahaha! Aber darüber kein Wort - ist ja auch nur das mindere Basel, das interessiert keinen.