Schweiz
Coronavirus

Schulen rüsten sich für Mini-Lockdown und ziehen Lehren aus dem Frühling

Schuelerinnen und Schueler waehrend der Eroeffnungsfeier, am ersten Tag nach den Sommerferien im Kanton Zuerich, waehrend der Coronavirus-Pandemie, aufgenommen am Montag, 17. August 2020, im Gymnasium ...
Kampf gegen das Coronavirus: Schülerinnen und Schüler tragen im Gymnasium Freudenberg in Zürich Masken.Bild: keystone

Schulen rüsten sich für Mini-Lockdown – und ziehen Lehren aus dem Frühling

Müssen die Schüler wegen Corona bald wieder zu Hause bleiben? Eine Genfer Epidemiologin schliesst das nicht aus. Die Aussicht auf Fernunterricht bereitet den Lehrern Sorgen – aber sie sind vorbereitet.
27.10.2020, 21:45
Kari Kälin / ch media
Mehr «Schweiz»

Die epidemiologische Lage spitzt sich zu. Die Schulen befassen sich erneut ganz konkret mit dem Szenario Fernunterricht. Primarlehrer des Schulhauses Tannegg in der Aargauer Stadt Baden erkundigen sich in einem E-Mail bei den Eltern, ob sie mit Geräten für Fernunterricht ausgerüstet seien, falls einzelne Klassen in Quarantäne müssen oder falls zum Beispiel ein Mini-Lockdown von zwei Wochen verhängt würde.

Die Schule bietet Hilfe an, falls in einer Familie zu wenig Laptops etc. vorhanden wären. «Wir wollen vorbereitet sein auf möglichen Fernunterricht», bestätigt Schulleiter Raphael Egli. Er hofft, dass es bei einer Eventualplanung bleibt.

«Wenn Kinder unter Kindern bleiben, passiert ihnen nichts.»
Christoph Berger

Eglis Hoffnung entspricht einem breiten Konsens in Politik und Wissenschaft. Die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren entschied im Juni, der Unterricht solle im aktuellen Schuljahr grundsätzlich im Vollbetrieb stattfinden.

Präsenzunterricht soll aufrechterhalten werden

Der Zuger Bildungsdirektor Stephan Schleiss sagt: «Wir setzen alles daran, den Präsenzunterricht aufrecht zu erhalten». Und Martin Ackermann, Chef der Covid-19-Taskforce des Bundes, plädierte letzte Woche für schärfere Massnahmen, um Schulschliessungen zu vermeiden.

Gegenüber dem «Tages-Anzeiger» regte Olivia Keiser, Epidemiologin an der Universität Genf, derweil eine Maskenpflicht auch an Primarschulen sowie gute Lüftungskonzepte an. Sie wisse aber nicht, ob das ausreiche oder nicht doch teilweise Schulschliessungen nötig seien. Keiser wirkte an einer britischen Studie mit, die kürzlich im Fachblatt «The Lancet Infectious Diseases» publiziert wurde.

Der Befund: Ein Verbot von Grossveranstaltungen, Homeoffice und Schulschliessungen sind die wirksamsten Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Den Nutzen von Hygienemassnahmen wie regelmässigem Händewaschen konnten die Autoren aus methodischen Gründen nicht messen.

«Wir können nicht beliebig lange nur aus der Ferne unterrichten»

Professor Christoph Berger, Leiter der Abteilung Infektiologie und Spitalhy­giene am Kinderspital Zürich, spricht sich hingegen deutlich gegen die Schliessung von Primarschulen aus.

Studien aus Australien, Irland, Schottland und den USA hätten gezeigt, dass Kinder kaum andere Kinder und Lehrer anstecken, wenn die gängigen Abstands- und Hygieneregeln eingehalten würden. «Wir kennen das Coronavirus unterdessen relativ gut. Kinder werden kaum krank und übertragen es deshalb auch viel weniger als Erwachsene. Wenn Kinder unter Kindern bleiben, passiert ihnen nichts.»

«Eltern berichten uns davon, dass ihre Kinder noch immer im Rückstand sind, obschon sie wieder normal zur Schule gehen.»
Dagmar Rösler

Die Rückkehr zum Fernunterricht sehnt sich auch in der Praxis niemand herbei. «Wir würden einen solchen Schritt nur mittragen, wenn er nachweislich einen substanziellen Beitrag zur Eindämmung des Coronavirus leistet», sagt Thomas Minder, Präsident des Verbands der Schulleiter Schweiz. «Ansonsten fehlt uns das Verständnis für diese Massnahme, welche die Kinder, die Eltern und auch die Wirtschaft sehr stark belastet.»

Zudem sei Lernen ein sozialer Prozess. «Wir können nicht beliebig lange nur aus der Ferne unterrichten.» Für einen neuerlichen Lockdown wären die Schulen aber gerüstet. Der Verband habe im Mai all seine 2200 Mitglieder in der Deutschschweiz aufgefordert, sich darauf vorzubereiten, falls der Präsenzunterricht wieder abgesagt würde, so Minder.

Auch Dagmar Rösler, Präsidentin des Schweizer Lehrerverbandes, will Schulschliessungen unbedingt verhindern. «Eltern berichten uns davon, dass ihre Kinder noch immer im Rückstand sind, obschon sie wieder normal zur Schule gehen», sagte sie dem «Tages-Anzeiger».

Schulen mit benachteiligten Schülern besonders gefordert

Beim Lockdown im Frühling warnten viele Stimmen, der Fernunterricht werde die Schere zwischen guten und schwachen, zwischen Schülern mit sogenannten bildungsnahen und bildungsfernen Eltern, stärker öffnen. «Wir haben in unseren Befragungen Hinweise auf diese These», sagt Stephan Huber.

Der Professor an der Pädagogischen Hochschule Zug forscht über die Auswirkungen des Fernunterrichts und sagt: «In Krisen zeigen sich Unterschiede deutlicher, wie ein Brennglas.»

Die Unterschiede verstärkten sich, wenn die Familie oder die Schule Unterschiede im Lernverhalten und Vorwissen der Schüler nicht kompensieren können. Schulen mit vielen familiär benachteiligten Schülern seien besonders gefordert.

Aus pädagogischer Sicht bräuchten manche Schüler mehr Strukturierung und Lernbegleitung. «Lernen ist dabei weit mehr, als sich den aktuellen Lernstoff anzueignen, es geht auch um motivationale, emotionale und soziale Aspekte.» (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Corona-Hotspot Wallis: So erleben die Leute in Brig den Mini-Lockdown
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
31 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
dmark
27.10.2020 22:51registriert Juli 2016
"dass ihre Kinder noch immer im Rückstand sind"

Das musste ich mir schon vor langer langer Zeit - ohne Pandemie - auch von meinen Eltern anhören... ;-)
11312
Melden
Zum Kommentar
avatar
Mangobaum
27.10.2020 23:11registriert August 2018
Ich habe gerade für 10 Tage fernunterrichtet und musste daraus sehr ernüchternde Schlüsse ziehen. Mit den digitalen Möglichkeiten konnte man zwar spannende Sachen ausprobieren, aber es mangelte grundsätzlich an Selbstdisziplin. Deadlines wurden prinzipiell ignoriert und Aufgaben extrem schludrig gemacht. Auch individuelle Hilfestellungen waren schwieriger zu geben. Für 2 Wochen ist es sicherlich nicht so gravierend, aber ich denke eine Schulschliessung auf längere Zeit würde zu einem Lerndefizit führen. Es ist sehr einfach zu "schlüfen" und man kann es den Jugendlichen auch kaum vorhalten.
7511
Melden
Zum Kommentar
avatar
Michele80
27.10.2020 23:07registriert April 2019
Ich denke zu einer allgemeinen Schulschliessung CH-weit wird es noch nicht kommen. Trotzdem finde ich die Vorbereitung & Abklärung gut. Weil Quarantäneklassen werden wohl immer häufiger vorkommen, für die Zürcher Sekschulen wurden schon die Regeln verschärft (ab ich glaube 2 positiven SuS)
403
Melden
Zum Kommentar
31
Nicht nur am Gotthard – wo es an Ostern im In- und Ausland sonst noch staut
Viele nutzen das verlängerte Osterwochenende für eine Reise ins Ausland. Ob Städtetrips oder an idyllische Orte – die Reiseziele sind vielseitig und die Vorfreude riesig. Aber Obacht! Damit du deine wertvolle Zeit nicht mit Warten verbringst, solltest du dich vorab über den Osterstau informieren.

Du fährst auf der Autobahn, hast (noch) gute Laune, hörst deine Lieblingsmusik und bist in Gedanken schon an deinem Reiseziel. Alles läuft prima, bis du plötzlich eine lange Schlange an Autos vor dir stehen hast. «Mist, Stau! Kann ja nicht so lange dauern», denkst du dir. Es vergehen 5 Minuten, 15 Minuten, 30 Minuten und je länger du stehst, desto ungeduldiger wirst du. Hättest du dich doch besser früher über die Verkehrslage informiert!

Zur Story