Ferien in der Schweiz liegen im Trend. Es gab kaum je einen besseren Sommer als diesen, um das eigene Heimatland zu entdecken. Das sagen sich auch viele Romands und reisen aus der West- in die Ostschweiz, um die schönsten Tage im Jahr zu verbringen.
Der viel zitierte Röstigraben ist in diesem Jahr zumindest Ferien-technisch weniger tief als auch schon. Denn was für uns Deutschschweizer gilt, gilt auch für die Romands: Spricht man am Ferienort eine andere Sprache, kommt das Urlaubsgefühl noch besser zum Vorschein.
Während die meisten Westschweizer in normalen Jahren allerdings meist vor allem die nahgelegenen Deutschschweizer Kantone besuchen, entdecken 2020 auffallend viele das andere Ende der Schweiz ganz im Osten.
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Im Alpstein tummeln sich so viele Französischsprachige wie wohl noch nie, rund um den Pizol hört man plötzlich sehr viel öfter Französisch und auch in Schaffhausen ist unsere zweitmeistgesprochene Landessprache oft präsent. Die Tourismusorganisation Thurgau meldet gar eine Zunahme von Zugriffen auf die französische Version der eigenen Website von über 400 Prozent. Auf Infostellen von Rorschach über Heiden bis St.Gallen erhalten die Tourismuschefs vermehrt die Rückmeldung, dass so oft Französisch gesprochen wird wie sonst nie.
Auch wenn genaue Zahlen zu Übernachtungen noch fehlen: Der Trend ist eindeutig. Guido Buob, Tourismus-Geschäftsführer von Appenzell Innerrhoden, wozu neben dem Dorf Appenzell auch grosse Teile des Alpsteins gehören, sagt auf Anfrage: «Normalerweise haben wir rund 80 Prozent Schweizer Gäste, davon rund 15 aus der Westschweiz. In diesem Sommer fehlen die ausländischen Gäste fast komplett, Besucher aus der Romandie machen dies aber wett. Gemäss unseren Schätzungen haben sich die Westschweizer Gäste verdoppelt.»
Vorbereitet ist man auf den Ansturm: «Alle unsere Lernenden am Schalter sprechen fliessend Französisch. Vor der Lehre gehört ein Jahr in der Romandie bei uns dazu.» Auch Andreas Frey, sein Arbeitskollege von Ausserrhoden, stellt ein erhöhtes Besucheraufkommen aus dem Westen fest: «Westschweizer sind insbesondere von der gelebten Tradition beeindruckt. Das Brauchtumsmuseum in Urnäsch oder die Schaukäserei in Stein melden viele Besucher aus der Romandie.»
Auch im grössten Kanton der Schweiz bemerkt man vermehrt Gäste aus der Romandie. «Das freut uns sehr», berichtet Luzi Bürkli, Leiter der Unternehmenskommunikation von Graubünden Ferien. Vom Deutschschweizer Touristen würden sich die Westschweizer kaum unterscheiden. Wandern und Biken stehen oben auf der Aktivitätenliste und die touristischen Highlights sind auch auf der anderen Seite des Röstigrabens beliebt.
Was allerdings auffällt: «Viele würden es schätzen, wenn mehr Informationen über unsere Region in französischer Sprache vorhanden wären.» Daran soll gearbeitet werden.
Etwas weiter nördlich spürt man auch in der Region Heidiland die Zunahme. «Die Gästeanfragen aus der Westschweiz auf unseren Infostellen haben markant zugenommen und unsere Mitarbeitenden geben aktuell deutlich öfter auf Französisch Auskunft, als dies im Vorjahr war», schreibt Adrian Pfiffner von der Unternehmenskommunikation Heidiland.
Insbesondere die Region rund um Bad Ragaz sei beliebt. Doch auch wenn man auch in normalen Jahren einen hohen Anteil Schweizer Gäste verzeichne: «Den Anteil an internationalen Gästen, der in diesem Sommer ausbleibt, werden wir wohl nicht gänzlich mit zusätzlichen Schweizer Gästen füllen können.»
Ähnlich hört es sich bei der Tourismus-Organisation St.Gallen-Bodensee an. «Wir spüren die Zunahme sowohl in der Gastronomie als auch an den Touristen-Informationen in St.Gallen und Rorschach», sagt Kommunikationsleiter Tobias Treichler. «Was jedoch schmerzt, sind die ausbleibenden Business-Gäste. Diese machen einen Grossteil der Logiernächte aus. Das kann auch mit Gästen aus der Romandie nicht wettgemacht werden.»
Das gilt auch für den Thurgau: Die Schweizer können die Lücke internationaler Gäste nicht ganz füllen. Aber auch im Thurgau stellt man in diesem Sommer eine stärkere Fraktion aus der Romandie fest.
Dominique Gasser, die Assistentin der Geschäftsführer, schreibt zum Anstieg der Gäste aus der Romandie: «Wie viele Gäste in einer unbekannten Region orientieren sie sich an den Hotspots. Speziell zu erwähnen ist aber das Napoleonmuseum. Die Westschweizer sind Napoleon-affiner als die Deutschschweizer.» Während viele andere Regionen der Ostschweiz kaum speziell in der Westschweiz um Gäste geworben haben, lud Thurgau Tourismus Blogger und Journalisten aus der Region ein.
Während andere Regionen sowieso einen hohen Schweizer Anteil an Feriengästen ausweisen, sieht dies in Schaffhausen insbesondere mit dem Rheinfall, der Stadt Schaffhausen und Stein am Rhein etwas anders aus. «Der Covid-19-bedingte Nachfrageeinbruch ist massiv und wird nicht mit Gästen aus der Westschweiz kompensiert», berichtet Jörg Steiner, stellvertretender Direktor von Schaffhauserland Tourismus.
Doch die Romands nehmen sich dafür auch Zeit für einen Besuch des «Hinterlands». «Sei es in Form einer Wanderung, einer Weindegustation oder einer lokalen Führung.» Dies wiederum äussert sich in einer längeren Aufenthaltsdauer und generiert Übernachtungen.
Mit anderen Worten: Auch wenn noch genaue Zahlen fehlen, ist bereits jetzt klar: Die Romands entdecken in diesem Sommer die Deutschschweiz. Hier wiederum hofft man auf die «Mund zu Mund»-Propaganda und dass dies kein Sommermärchen bleibt, sondern sich ein langfristiger Effekt einstellt.
Ich war dieses Wochenende in der Romandie und fühlte mich mit dem ganzen Schweizerdeutsch um mich fast wie zu Hause.
Weil meine Freundin eine Romande ist, höre ich, da ich quasi mitten drin bin, von beiden Seiten oft viele Vorurteile.
Ich freue mich sehr, dass wir uns gegenseitig etwas näher kommen :)