Drei Chefärzte in leitender Position in den drei grössten Spitälern des Kantons Zürich wehren sich gegen die aktuelle Corona-Politik des Bundes und der Kantone. Die grundsätzliche Einschätzung zusammengefasst:
Bei den drei Ärzten handelt es sich um Urs Karrer, Chefarzt Infektiologie am Kantonsspital Winterthur, Professor Huldrych Günthard, stellvertretender Direktor an der Klinik für Infektionskrankheiten am Unispital Zürich und Gerhard Eich, Chef-Infektiologe am Triemli.
Sie meldeten sich diese Woche bei der «NZZ am Sonntag» via Mail. Darin schrieben sie laut einem Bericht der NZZaS: «Wie Sie ja auch gesehen haben, haben wir in der Schweiz Sars-CoV-2 überhaupt nicht im Griff.» Im Unispital Zürich habe man diese Woche neue Rekordzahlen an Covid-Patienten gezählt, «und die Fallzahlen steigen fröhlich weiter. Wir Infektiologen sind äusserst besorgt.»
Die drei Chefärzte wollen gemäss NZZaS die Öffentlichkeit aufrütteln und die Politik an ihre Verantwortung erinnern. Den Bundesrat für das Zögern, Parteien, die sich gegen Schutzmassnahmen stellen und insbesondere auch den Zürcher Regierungsrat.
Ihrer Meinung nach sind die jetzt beschlossenen Massnahmen noch nicht ausreichend. Falls die Fallzahlen schweizweit nicht «rasch» unter 700 pro Tag fallen und die Positivitätsrate unter fünf Prozent sinke, kollabiere das System.
Problematisch sei derzeit vor allem das erschöpfte Personal und Spitalinfektionen. Es sei in letzten Wochen anscheinend in mehreren Spitälern im Kanton Zürich zu Todesfällen gekommen, weil sich Patienten innerhalb des Spitals mit dem Coronavirus infizierten.
Wütend mache die Ärzte, dass immer wieder auf das hohe Alter der Todesopfer hingewiesen werde. «Dabei sind viele von ihnen im Moment der Erkrankung noch rüstig», sagt beispielsweise Günthard. Und: «Sie hätten noch ein paar gute Jahre haben können.»
Ihr Vorschlag ist eine Verschärfung der Massnahmen, sie nennen einige Forderungen, darunter: Soziale Aktivitäten ausserhalb der Familie sollten untersagt werden, Restaurants und Freizeiteinrichtungen geschlossen, maximal fünf Personen aus zwei Haushalten bei privaten Besuchen. Ausserdem die Kundenzahl in Läden beschränken.
Und was ist mit der Wirtschaft? Kärrer: «Wir sehen, dass wirtschaftliche Existenzen zugrunde gehen. Das tut weh. Doch Unternehmen können sich erholen, neu aufgebaut werden. Aber die Toten holen wir nicht zurück.»
Auch das Pflegepersonal wehrte sich diese Woche gegen die aktuelle Situation. So hat etwa der Verband des Pflegepersonals dem Bundesrat einen Warnruf geschickt. Viele Pflegende seien bereits jetzt im Dezember am Ende ihrer Kräfte. Bis zum Frühling lasse sich diese Belastung nicht durchhalten.
Das betreffe nicht nur das Personal auf den Intensivstationen sondern alle Pflegenden im Gesundheitsbereich. Das heisst: Im Akutspital, Rehaklinik oder auch in Altersheimen.
Bianca Schaffert-Witvliet, Präsidentin der Ethikkommission des Schweizer Berufsverbandes der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner, sagte gegenüber SRF: «Wenn ich einen Patienten habe, der mir sterbend die Lebensgeschichte erzählen will und ich ihn allein lassen muss, macht mir das Mühe.»
Auch die Pflegenden begrüssten zwar die jüngsten Massnahmen des Bundesrates, finden aber, dass diese noch nicht genug weit gehen. Die jetzt implementierten Massnahmen wurden von ihnen bereits im Oktober gefordert. Sie hätten sich diese Woche die Verkündung eines zweiten Lockdowns gewünscht.
Dabei macht nicht nur die hohe Intensivbetten-Belegung Sorge. Epidemiologe Jan Fehr vom Unispital Zürich lenkt die Aufmerksamkeit auch auf andere Faktoren: «Wir müssen beim Gesundheitspersonal ganz genau hinschauen, wer überhaupt noch eingesetzt werden kann, das ist der limitierende Faktor im Alltag.»
Schaffert-Witvliet stimmt zu, die Pflege-Qualität leide durch die konstante Überbelastung. Sollten die Fallzahlen über die Feiertage noch steigen, würden die Konsequenzen wohl verheerend sein. Gegenüber SRF sagt sie: «Alle laufen auf dem Zahnfleisch. Und leider haben wir leider keine Aussicht auf Besserung.»
(jaw)
„Wir haben eine ganze Abteilung mit positiven Fällen. Es ist viel schlimmer als im Frühling!!! Und die Leute haben Atemnot. Wir arbeiten im Ausnahmezustand. Viele von uns wurden auch krank und der Personalbestand ist sehr knapp.“
die aktuelle situation in den spitälern ist u.a. auch das resultat bürgerlicher gewinnmaximierungs- und privatisierungspolitik im gesundheitswesen auf kosten des pflegepersonals. 46% der pflegenden steigen nach wenigen jahren berufsleben aus, auch wenn teizeitarbeit sehr gut möglich und somit mit der familiearbeit gut zu vereinbaren wäre.