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Coronavirus

Corona: Das Problem der Schweiz mit den Daten

Die BAG-Hinweise und ein Coronavirus
Bild: shutterstock/watson

Wie verzögerte und fehlende Daten den Kampf gegen Corona in der Schweiz erschweren

29.12.2020, 09:1929.12.2020, 09:22
Benno Lichtsteiner / Keystone-SDA
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Viel zu spät eintreffende oder ganz fehlende Daten erschweren in der Schweiz den Kampf gegen die Corona-Pandemie. Vor allem für eine Strategie zu Beginn der zweiten Welle im Herbst wären aktuelle Zahlen eine grosse Hilfe gewesen. Doch der Wille und die Koordination fehlen.

«Die Zahlen zu den Hospitalisationen sind aufgrund von Meldelücken und Meldeverzug mit Vorsicht zu interpretieren»: Diesen Hinweis hat das BAG auf seinem täglichen Situationsbericht zu den Zahlen über die täglichen Spitaleinlieferungen aufgeschaltet. Gut erkennbar ist dort auch, mit wie viel Verspätung die Angaben teilweise eintreffen.

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Diese Verzögerung zeigte sich eindrücklich in den letzten drei Monaten: So meldete das BAG in den ersten vier Oktober-Wochen, als sich die Lage in der Schweiz dramatisch verschlechterte, wöchentlich nur halb so viele Spitaleinweisungen, wie später offiziell bestätigt wurden.

Anfang November drehte dann die Berichtslage: Seither übersteigen die BAG-Zahlen der Hospitalisierungen die später publizierten tatsächlichen Spitaleinlieferungen um zum Teil bis zu 200 pro Woche.

Bei den Todesopfern lagen die realen Zahlen im Oktober und November pro Woche zum Teil um bis zu 100 Prozent über den vom BAG gemeldeten Fällen. Seit Anfang Dezember liegen nun die BAG-Zahlen wieder vorn.

Das lange Warten

Für zahlreiche Schweizerinnen und Schweizer sind die in allen Schweizer Medien täglich verkündeten Zahlen ein wichtiger Anhaltspunkt über den Verlauf der Pandemie. Problematisch ist die Verzögerung jedoch nicht in erster Linie für die Bevölkerung sondern vor allem für die Entscheidungsträger.

Das heisse zwar nicht, dass «man aus den derzeit zur Verfügung stehenden Daten nicht vertrauenswürdig zentrale Parameter wie zum Beispiel die Reproduktionszahl abschätzen kann», sagt ein mit der Materie betrauter Experte, der sich nur anonym äussern will, auf Anfrage. «Aber hätten wir mehr Daten, insbesondere in Echtzeit, dann hätten wir auch mehr Informationen zum tagesaktuellen Verlauf der Pandemie»,

Denn es liegt in der Besonderheit des Virus', dass Ansteckungen erst rund fünf Tage später festgestellt werden und das Virus auch sonst immer erst mit einer gewissen Verzögerung auf getroffene Massnahmen reagiert. Und dann wird es plötzlich zum Problem, wenn Ärzte und Spitäler das sogenannte Reporting nicht schneller und besser handhaben.

24 Stunden-Weisung

Theoretisch wäre eigentlich alles geregelt: «Ärztinnen und Spitäler sind angewiesen, dem BAG Informationen zu hospitalisierten Personen mittels klinischem Befund innerhalb von 24 Stunden zu melden», schrieb das BAG auf entsprechende Anfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Die klinischen Befunde müssten im Normalfall elektronisch übermittelt werden. «Um die Vollständigkeit zu garantieren», bestehe aber auch die Möglichkeit, dies per Post oder Fax zu tun.

Keine Antwort

Eine gute Datenlage sei bei der Bekämpfung der Pandemie «zentral», heisst es bei der Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) auf Anfrage. Und auch sie ist sich des Problems bewusst. Aus diesem Grund hätten der Generalsekretär der GDK und die Direktorin des BAG Mitte November einen Brief an die kantonalen Gesundheitsdirektorinnen und -direktoren geschrieben.

Darin hätten sie die Kantone aufgerufen, ihre Spitäler aufzufordern, die geforderten klinischen Meldungen zu den Hospitalisationen dem BAG innerhalb der geforderten Frist zu melden. Eine Antwort stehe aber noch aus.

Keine Daten aus Contact Tracing

Ebenso unerfreulich wie die Melde-Verzögerung ist für die Forscher, dass ihnen die Daten aus dem Contact-Tracing der Kantone nicht zur Verfügung stehen. Diese wären aber ganz besonders nützlich, um Erkenntnisse zu den Ansteckungsorten aus internationalen Studien mit Schweizer Echtzeit-Daten zu ergänzen.

Damit hätte man im Frühherbst vor der zweiten Welle die Strategien von Politik und Behörden stützen können, um dann gezielte Massnahmen zu ergreifen. Zum jetzigen Zeitpunkt aber liessen «die schweizweit zugespitzte epidemiologische Situation und die Überlastung des Gesundheitssystems nur noch strenge Massnahmen zur Kontaktreduktion» zu, sagt ETH-Professor und Science-Taskforce-Mitglied Sebastian Bonhoeffer auf Anfrage.

Seiner Ansicht nach liegt das Problem darin, dass die Daten nicht einheitlich erfasst und weitergegeben werden. Bereits unmittelbar nach der ersten Welle hätten die Forschenden ein nationales System gefordert. Aber darauf hätten sich die Kantone nicht einigen können und stattdessen als Minimallösung einen gemeinsamen Fragebogen ausgearbeitet.

Doch auch dieser Datenaustausch funktioniere nicht umfassend. Für Bonhoeffer ist es deshalb «ungünstig», dass in dieser Hinsicht nicht schneller reagiert wurde, «weil die Schweiz bereits am Anfang der Krise von der mangelnden Digitalisierung hart getroffen wurde». (sda)

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152 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Beggride
29.12.2020 09:37registriert November 2015
Mich würden mal die Argumente der einzelnen Kantone interessieren, welche sich "nicht einigen" konnten... Was für ein Kindergarten!
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Anne Who
29.12.2020 09:40registriert September 2018
Wenn es nicht himmeltraurige Realität wäre, wäre
es nur noch zum Lachen. Langsam frage ich mich schon in was für einer Bananenrepublik wir hier sind.
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raues Endoplasmatisches Retikulum
29.12.2020 09:28registriert Juli 2017
Die Digitalisierung im Gesundheitswesen ist leider noch nicht weit vorangeschritten. Das war aber insofern ein Debakel mit Ankündigung, als das am ePatienten-Dossier seit Jahren herumgeschraubt wird und wurde, ohne dass man sich einig wurde.
Das fängt bei den Hausärztinnen an, die seit 40 Jahren alles auf Papier haben und sich nicht ändern wollen, geht übe zu den Spitälern, die alle ihre eigenen, organisch gewachsenen und nicht kompatiblen System haben bis zu den Daten- und Patientenschützern, denen die Daten nicht "sicher" genug sein können.
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