Am Ende war der Alkohol schuld. Als dem österreichischen Vizekanzler Hans-Christian Strache ein heimlich gemachtes Video um die Ohren flog, berief er sich darauf, dass er unter Champagner und Wodka-Red-Bull ein «typisch alkoholbedingtes Machogehabe» an den Tag gelegt habe.
Auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie der FPÖ-Politiker vor den Wahlen 2017 einer vermeintlichen russischen Oligarchin unter anderem öffentliche Aufträge in Aussicht stellt und über verdeckte Wahlhilfe sinniert. Während des Treffens auf Ibiza schüttet er reichlich Alkohol in sich hinein. Der Skandal führte zum Rücktritt Straches und gipfelte schliesslich im Sturz der Regierung.
Seine Aussagen seien der «feuchtfröhlichen Urlaubsatmosphäre» geschuldet, behauptete Strache. «Es war eine besoffene Geschichte, und ich war in einer intimen Atmosphäre.» Der Politiker berauschte sich an seiner Macht. Und er führte vor Augen, wohin der Rausch eines Mächtigen führen kann.
Der deutsche Politologe und Psychologe Knut Bergmann hat sich eingehend mit dem Verhältnis von Politikern und Alkohol befasst. «Mit Wein Staat machen», so heisst sein Buch, das im vergangenen Herbst erschienen ist. Just in diesen Tagen kam bereits die dritte Auflage in die Buchläden.
Die Welt des diplomatischen Trinkens erforscht Bergmann, der für das Bundespräsidialamt in Berlin gearbeitet hat, vornehmlich in Deutschland. Sein ebenso unterhaltsames wie wissenswertes Werk ist eine deutsche Kulturgeschichte durchs Glas betrachtet. Bergmann seziert die politische Lebenskunst und geht der Frage nach, warum bei deutschen Staatsbanketten betont bescheiden ausgeschenkt wird. Obendrauf liefert er Alkohol-Anekdoten rund um Politiker und Diplomaten anderer Staaten. Auch aus der Schweiz.
Der Autor stiess hierzulande auf verblüffende Geschichten. Bemerkenswert sind besonders zwei, so Bergmann, «eidgenössisch-englischsprachige Episoden». Die eine spielt im Oktober 1991 und erzählt davon, wie zwei Bundesräte unter Einsatz bester Weine regelrecht über den Tisch gezogen wurden – ausgerechnet bei den Verhandlungen über den EWR-Beitritt, einem der heikelsten Dossiers der jüngeren Geschichte des Landes.
Aussenminister René Felber (SP) und Wirtschaftsminister Jean-Pascal Delamuraz (FDP) trafen in Luxemburg ihre europäischen Amtskollegen, und zwar ohne Begleiter. Die Teilnehmerformel lautete «Ministers only».
Was dann passierte, schilderte der damalige Schweizer Chefunterhändler Franz Blankart später so: «Zunächst langer Aperitif, während dem sich die EG-Kommission und Island in einer Ecke über das Fischproblem unvermerkt einigten, sodass nur noch der Problemfall Schweiz übrig blieb.
Dann zu Tisch, der erste Gang, ein Fisch mit bestem französischem Weisswein, dann ein Filet de bœuf, wie es nur belgische Köche zustande bringen, serviert mit einem exzellenten Bordeaux, dann Verteilung eines 17-seitigen Dokuments in englischer Sprache.» Danach wurden die Bundesräte nach Blankarts Darstellung mit Detailfragen eingedeckt, immer nach dem Strickmuster: «Mr. Federal Counsellor, why are you opposed that cosmetics be put from category 1 to category 2?».
Delamuraz und Felber seien mit den Einzelheiten nicht hinreichend vertraut gewesen, konstatiert Bergmann, «und in Kombination mit ihren mangelnden Englischkenntnissen nicht mehr zum Widerstand gegen Änderungsvorschläge in der Lage». Die Schilderung des früheren Staatssekretärs Blankart bezeichnet der Autor als «eine absolute Rarität». Denn: «Normalerweise wird über derlei Geschehen der Mantel des Schweigens gebreitet oder der wahre Hergang verklärt.» Bei den EWR-Verhandlungen könnte dem Wein also gewissermassen eine protestdämpfende Wirkung zugekommen sein.
Letztlich entscheide das Ziel des Gespräches, schreibt Bergmann, ob die Trunkenheit des Gegenübers diesem zuträglich sein könne oder nicht. Die «andere Seite des Suffs» legt eine weitere Anekdote mit helvetischer Beteiligung offen. Im Juli 1946 traf sich der Schweizer Diplomat Carl Burckhardt in Frankreich mit dem damaligen britischen Oppositionsführer Winston Churchill, einem der «grössten weltpolitischen Trinker aller Zeiten».
Beim Essen unterhielten sich die beiden über die geplante Reise von Churchill in die Schweiz. Nach dem Treffen rapportierte Burckhardt besorgt an das Aussendepartement in Bern. Immer wieder habe Churchill in «ziemlich kühner Weise» zum Alkohol gegriffen, schrieb er. «Mit dem Ergebnis, dass ich die zweite Hälfte unseres Gesprächs als null und nichtig betrachten muss. Er sprach Worte, aber es war schwierig, deren präzise Bedeutung zu erkennen.»
Normalerweise trank Churchill kontinuierlich über den ganzen Tag verteilt geringe Mengen Alkohol. Nach zeitgenössischen Massstäben wäre er wohl ein Pegeltrinker. Als Churchill im September 1946 seine legendäre «Zürcher Rede» hielt, hätten sich seine Worte jedenfalls als «vollkommen klar» erwiesen, weiss Bergmann. 16 Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs forderte der Politiker die Einigung Europas, eine Rückbesinnung auf das gemeinsame Erbe als Antwort auf den Nationalismus.
Churchills Neigung zu Hochprozentigem war legendär. Der Staatsmann sprach gerne und freizügig über seinen Konsum. Den ersten Whisky soll der zweimalige Premierminister morgens im Bett getrunken haben. Dass ein Politiker Alkohol als Kraftstoff nutzt, dass er sich seine Schaffenskraft quasi ertrinkt: heute undenkbar. Er habe mehr vom Alkohol gehabt als der Alkohol von ihm, sagte Churchill einmal.
Knut Bergmann «Mit Wein Staat machen». Insel Verlag; 240 Seiten.
Dieser Strang gerät leider in den Hintergrund.
Zum bsoffenen Teil: In den USA hat diese Strategie, alles aufs Bier zu schieben, bestens funktioniert. Brett Kavanaugh war erfolgreich ;)