Schweiz
Bundesrat

Rahmenabkommen: Bundesrat könnte Chefunterhändler Balzaretti abziehen

Bundesrat Ignazio Cassis, rechts, und Staatssekretaer Roberto Balzaretti, am Ende einer Medienkonferenz, am Freitag, 7. Dezember 2018 in Bern. Der Bundesrat informierte ueber das Rahmenabkommen mit de ...
Unter Druck: EU-Chefunterhändler Roberto Balzaretti (l.) und Aussenminister Ignazio Cassis.Bild: KEYSTONE

Bauernopfer Balzaretti? Warum der Bundesrat den EU-Chefunterhändler bald absetzen könnte

In der Bundesverwaltung laufen Gespräche, Staatssekretär Roberto Balzaretti nach der Abstimmung vom 17. Mai als Zeichen des Neuanfangs vom Dossier Rahmenabkommen abzuziehen.
11.01.2020, 17:2311.01.2020, 17:50
Lorenz Honegger / ch media
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Zuerst forderten die Gewerkschaften seinen Kopf. Dann sprach sich CVP-Präsident Gerhard Pfister für seine Absetzung aus, und auch die SVP will ihn weghaben. Die Rede ist von Staatssekretär Roberto Balzaretti. Er hat im Auftrag des Bundesrates mit der EU das institutionelle Rahmenabkommen ausgehandelt und sich dabei links und rechts des politischen Spektrums Feinde gemacht.

Die Sozialdemokraten kreiden ihm an, im Vertragstext den Schweizer Lohnschutz preisgegeben zu haben. Die SVP sieht in Balzaretti einen «EU-Turbo», der das Abkommen in der Öffentlichkeit viel zu offensiv beworben hat.

Gerhard Pfister, Parteipraesident CVP Schweiz, spricht an der Delegiertenversammlung der CVP Schweiz in Langenthal am Samstag, 9. November 2019. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)
Ist völlig unzufrieden mit Balzarettis Arbeit: CVP-Chef Gerhard Pfister.Bild: KEYSTONE

Inzwischen laufen in der Bundesverwaltung Gespräche, Balzaretti nach der Abstimmung über die SVP-Kündigungs-Initiative vom 17. Mai vom Dossier Rahmenabkommen abzuziehen. Als Zeichen für einen innenpolitischen Neuanfang in der EU-Frage. Das bestätigen regierungsnahe Quellen.

Dieser Schachzug soll für bisherige Gegner des Rahmenvertrags aber auch eine elegante Möglichkeit bilden, dem Abkommen nach einer weiteren Gesprächsrunde mit der EU doch noch zuzustimmen und dabei das Gesicht zu wahren. Es wäre dann Balzarettis Nachfolger, der mit der neuen EU-Kommission über Zugeständnisse in den Bereichen Lohnschutz, staatliche Beihilfen und Unionsbürgerricht­linien verhandelt hätte.

Umfeld von Aussenminister spricht von Machtspiel

Noch hat der Gesamtbundesrat nichts entschieden. Keine Freude an der Absetzung seines wichtigsten Diplomaten hätte Ignazio Cassis. Das Umfeld des FDP-Aussenministers sieht in den Plänen ein Machtspiel derjenigen Kräfte, die das Abkommen bisher blockiert haben. «Balzaretti wäre ein reines Bauernopfer», sagt eine Cassis nahestehende Person.

Wenn der Bundesrat den Staatssekretär entmachte, dann als symbolische Massnahme nach aussen, aber nicht, weil dieser einen schlechten Job gemacht hat. Sollte Balzaretti seinen Job tatsächlich verlieren, könnte er sich damit trösten, dass er nach Yves Rossier, Jacques de Watteville und Pascale Baeryswil nun schon der vierte Staatssekretär seit 2015 wäre, der das Dossier Rahmenabkommen ergebnislos weiterreichen muss.

"Europa ist nicht viel weiter gekommen": Mario Gattiker, Schweizer Migrations-Staatssekretär. (Archivbild)
Staatssekretär Mario Gattiker könnte Balzaretti nachfolgen.Bild: KEYSTONE

Als möglicher Ersatzmann fällt hauptsächlich der Name von Mario Gattiker: Der Chef des Staatssekretariates für Migration gilt als erfahren, integrativ und dossierfest. Die Gewerkschaften schätzen den parteilosen Chefbeamten genauso wie die SVP. «Ich glaube, Gattiker könnte es», sagt der Luzerner SVP-Nationalrat Franz ­Grüter, seit Ende 2019 Vizepräsident der aussenpolitischen Kommission.

Die heikle Rolle von Bundesrätin Keller-Sutter

Was gegen Gattiker spricht, sind sein Jahrgang und seine Gesundheit: Der gebürtige Berner wird nächstes Jahr 65 Jahre alt. Diesen Sommer hat er auf einer Auslandsreise einen Herzinfarkt erlitten, soll sich aber gemäss Vertrauten wieder gut erholt haben. Auch die baldige Pensionierung muss laut SVP-Grüter kein Nachteil sein. «Gattiker hat nichts mehr zu verlieren und könnte die Verhandlungen zum Abschluss seiner Karriere zu Ende bringen.» Aber natürlich nütze der beste Verhandlungsführer nichts, wenn der Bundesrat ihm nicht die nötige Rückendeckung gebe, um bei der EU substanzielle Verbesserungen am Vertrag einzufordern.

Eine heikle Frage ist, ob Gattiker bei einer Ernennung zum EU-Chefunterhändler als Staatssekretär ganz ins Aussendepartement wechseln würde. Oder ob er seinen Job als Migrationschef behalten könnte. So wie Jacques de Watteville, der 2015 die Führung im EU-Dossier übernahm und in dieser Funktion dem Aussendepartement unterstellt war, aber weiterhin Staatssekretär für internationale Finanzfragen blieb.

Als heikel gilt die Personalie Gattiker auch, weil er im Departement von FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter angestellt ist. Sie macht ihrem Parteikollegen Cassis seit dem Amtsantritt die Führungsrolle im EU-Dossier streitig. Die FDP ist dem Vernehmen nach bemüht darum, einen offenen Konflikt zwischen ihren beiden Bundesräten zu vermeiden.

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6 Kommentare
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Malt-Whisky
11.01.2020 18:18registriert November 2019
Statt der EU klar zu sagen dass das Schweizervolk auf deren «Genuss» einer Mitgliedschaft gerne verzichten sind die 7 Zwerge von Bern nicht Fraus und Manns genug das zu tun. Daran kann man ablesen, wies ehr die 7 Räte der Grossindustrie hörig sind. Somit müssen wir das für die Weicheier halt selber tun: stimmen gehen und immer konsequent «Nein, keine EU-Mitliedschaft für die Schweiz» wählen.
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