Zuerst forderten die Gewerkschaften seinen Kopf. Dann sprach sich CVP-Präsident Gerhard Pfister für seine Absetzung aus, und auch die SVP will ihn weghaben. Die Rede ist von Staatssekretär Roberto Balzaretti. Er hat im Auftrag des Bundesrates mit der EU das institutionelle Rahmenabkommen ausgehandelt und sich dabei links und rechts des politischen Spektrums Feinde gemacht.
Die Sozialdemokraten kreiden ihm an, im Vertragstext den Schweizer Lohnschutz preisgegeben zu haben. Die SVP sieht in Balzaretti einen «EU-Turbo», der das Abkommen in der Öffentlichkeit viel zu offensiv beworben hat.
Inzwischen laufen in der Bundesverwaltung Gespräche, Balzaretti nach der Abstimmung über die SVP-Kündigungs-Initiative vom 17. Mai vom Dossier Rahmenabkommen abzuziehen. Als Zeichen für einen innenpolitischen Neuanfang in der EU-Frage. Das bestätigen regierungsnahe Quellen.
Dieser Schachzug soll für bisherige Gegner des Rahmenvertrags aber auch eine elegante Möglichkeit bilden, dem Abkommen nach einer weiteren Gesprächsrunde mit der EU doch noch zuzustimmen und dabei das Gesicht zu wahren. Es wäre dann Balzarettis Nachfolger, der mit der neuen EU-Kommission über Zugeständnisse in den Bereichen Lohnschutz, staatliche Beihilfen und Unionsbürgerrichtlinien verhandelt hätte.
Noch hat der Gesamtbundesrat nichts entschieden. Keine Freude an der Absetzung seines wichtigsten Diplomaten hätte Ignazio Cassis. Das Umfeld des FDP-Aussenministers sieht in den Plänen ein Machtspiel derjenigen Kräfte, die das Abkommen bisher blockiert haben. «Balzaretti wäre ein reines Bauernopfer», sagt eine Cassis nahestehende Person.
Wenn der Bundesrat den Staatssekretär entmachte, dann als symbolische Massnahme nach aussen, aber nicht, weil dieser einen schlechten Job gemacht hat. Sollte Balzaretti seinen Job tatsächlich verlieren, könnte er sich damit trösten, dass er nach Yves Rossier, Jacques de Watteville und Pascale Baeryswil nun schon der vierte Staatssekretär seit 2015 wäre, der das Dossier Rahmenabkommen ergebnislos weiterreichen muss.
Als möglicher Ersatzmann fällt hauptsächlich der Name von Mario Gattiker: Der Chef des Staatssekretariates für Migration gilt als erfahren, integrativ und dossierfest. Die Gewerkschaften schätzen den parteilosen Chefbeamten genauso wie die SVP. «Ich glaube, Gattiker könnte es», sagt der Luzerner SVP-Nationalrat Franz Grüter, seit Ende 2019 Vizepräsident der aussenpolitischen Kommission.
Was gegen Gattiker spricht, sind sein Jahrgang und seine Gesundheit: Der gebürtige Berner wird nächstes Jahr 65 Jahre alt. Diesen Sommer hat er auf einer Auslandsreise einen Herzinfarkt erlitten, soll sich aber gemäss Vertrauten wieder gut erholt haben. Auch die baldige Pensionierung muss laut SVP-Grüter kein Nachteil sein. «Gattiker hat nichts mehr zu verlieren und könnte die Verhandlungen zum Abschluss seiner Karriere zu Ende bringen.» Aber natürlich nütze der beste Verhandlungsführer nichts, wenn der Bundesrat ihm nicht die nötige Rückendeckung gebe, um bei der EU substanzielle Verbesserungen am Vertrag einzufordern.
Eine heikle Frage ist, ob Gattiker bei einer Ernennung zum EU-Chefunterhändler als Staatssekretär ganz ins Aussendepartement wechseln würde. Oder ob er seinen Job als Migrationschef behalten könnte. So wie Jacques de Watteville, der 2015 die Führung im EU-Dossier übernahm und in dieser Funktion dem Aussendepartement unterstellt war, aber weiterhin Staatssekretär für internationale Finanzfragen blieb.
Als heikel gilt die Personalie Gattiker auch, weil er im Departement von FDP-Bundesrätin Karin Keller-Sutter angestellt ist. Sie macht ihrem Parteikollegen Cassis seit dem Amtsantritt die Führungsrolle im EU-Dossier streitig. Die FDP ist dem Vernehmen nach bemüht darum, einen offenen Konflikt zwischen ihren beiden Bundesräten zu vermeiden.