Es war der Abend der langen Gesichter. Fast alle Parteien hatten bei den nationalen Wahlen am 23. Oktober 2011 Verluste zu verzeichnen, auch die erfolgsverwöhnte SVP. Zwei Männer aber strahlten im Wahlstudio des Schweizer Fernsehens um die Wette: Martin Bäumle, Präsident der Grünliberalen Partei (GLP), und Hans Grunder, der damalige Chef der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP). Sie freuten sich über satte Gewinne und wurden als «neue Mitte» gefeiert.
Beide Parteien kamen auf je 5,4 Prozent Wähleranteil. Die BDP eroberte im Nationalrat auf Anhieb neun Sitze, die GLP dank cleveren Listenverbindungen sogar zwölf. Vier Jahre danach aber ist vom damaligen Glanz wenig geblieben. Das zweite SRG-Wahlbarometer sieht beide Parteien bei den Wahlen vom 18. Oktober auf der Verliererseite. Zum gleichen Befund kommt die ebenfalls am Mittwoch veröffentlichte Wahlumfrage von 20 Minuten.
In nur einer Legislaturperiode scheint die neue Mitte ihren Zenith überschritten zu haben. Während sich die BDP schon seit einiger Zeit auf dem absteigenden Ast befindet, ist die Entwicklung bei den Grünliberalen frappant. Noch im letzten Oktober kamen sie im Wahlbarometer auf 7,3 Prozent, jetzt sind sie auf 4,8 Prozent abgestürzt. Dafür befindet sich die «alte Mitte» im Aufwind, genauer die schwer gebeutelten Freisinnigen, die ein spektakuläres Comeback feiern dürften.
In unsicheren Zeiten – Stichwort Frankenstärke – scheint das Wahlvolk auf «sichere Werte» zu setzen. Die FDP bietet sich dafür nach ihrer harten, aber erfolgreichen «Sanierung» an. In die neuen Mitteparteien dagegen scheint das Vertrauen zu fehlen. Mehrere Gründe sind dafür verantwortlich, dass BDP und GLP im Herbst Wähleranteile und Sitze verlieren dürften:
Wofür steht die BDP? In der Partei wissen das viele vermutlich selber nicht. Ihre Positionen sind unklar, ihr Profil ist verschwommen. «Sie wird stark als Verein ihrer Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf wahrgenommen und als Hafen enttäuschter SVP-Leute», sagte der Lausanner Politologe Andreas Ladner dem Tages-Anzeiger. Der neue Parteipräsident Martin Landolt versucht, das fehlende Profil mit markigen Worten wettzumachen, etwa mit fragwürdigen Nazi-Vergleichen an die Adresse der SVP. Bislang ohne Erfolg.
Die Grünliberalen dagegen haben ein klares Profil, sie stehen für die Verbindung von Ökologie und liberaler Wirtschaft. Sie verheissen eine schmerzfreie Rettung der Welt, ohne das verbiesterte Verzichts-Image, das den Grünen anhaftet. Zuletzt aber hat sich die GLP gleich selber sabotiert, mit ihrer unbrauchbaren Energiesteuer-Initiative, die am 8. März mit 92 Prozent Nein ein historisches Debakel eingefahren hat.
Die GLP lebt mehr als zehn Jahre nach ihrer Gründung noch immer von einem Gesicht: Jenem von Präsident Martin Bäumle. Sie hat es bis heute nicht geschafft, profilierte Köpfe nach- und anzuziehen. Fraktionschefin Tiana Moser etwa ist seit acht Jahren im Bundeshaus, dennoch hält sich ihr Bekanntheitsgrad in Grenzen. «Die Partei hat keine schillernden Exponenten, die sich als Zugpferde eignen», sagte Andreas Ladner dem «Tages-Anzeiger».
Die BDP ist besser aufgestellt, angefangen bei der populären Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Auch Parteichef Martin Landolt, sein Vorgänger Hans Grunder oder die frühere Nationalrätin Ursula Haller sind profilierte Figuren. Ausserhalb ihrer «Stammlande» Bern, Glarus und Graubünden aber hat es die Partei bislang nicht geschafft, überzeugende Persönlichkeiten aufzubauen.
Der promovierte Chemiker Martin Bäumle ist ein hervorragender Rechner. Dank Listenverbindungen mit verschiedensten Parteien konnten die Grünliberalen vor vier Jahren mehrere überraschende Sitzgewinne im Nationalrat verzeichnen. Nun schlägt das Pendel zurück, viele der damaligen Partner haben keine Lust mehr, als Steigbügelhalter für die GLP zu dienen. Der Sitz im Kanton Thurgau ist deshalb so gut wie verloren. Schlecht sieht es auch in Graubünden und für die Patientenschützerin Margrit Kessler in St. Gallen aus. Im Kanton Zürich könnte die Partei gar zur grossen Verliererin werden und zwei ihrer vier Sitze einbüssen.
Düster sind die Perspektiven auch im Ständerat: Die Zürcherin Verena Diener und der parteilose Urner Markus Stadler, der sich der GLP-Fraktion angeschlossen hat, treten zurück. Die beiden Sitze lassen sich kaum verteidigen. Die BDP steht besser da, ihr Berner Ständerat Werner Luginbühl kandidiert erneut. Auch bei den Listenverbindungen dürfte sie mehr Optionen haben, vor allem dank der CVP, obwohl sie diese letztes Jahr brüskierte, als sie die angebahnte Fraktionsgemeinschaft platzen liess. Tendenziell aber dürften solche Allianzen eher der CVP nützen.
Die «neue Mitte» sieht ziemlich alt aus, und eine Trendwende in den knapp vier Monaten bis zur Wahl ist wenig wahrscheinlich. Das hat Folgen für die Mehrheitsverhältnisse im Parlament. Das rechte Lager dürfte gestärkt werden. Nichts Gutes bedeutet dies für BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Ihre Wiederwahl vor vier Jahren konnte sie mit dem Erfolg von GLP und BDP rechtfertigen, die zusammen stärker waren als die Grünen und fast so stark wie die CVP. Nun scheint ihr dieses Argument abhanden zu kommen.
Die SVP wetzt bereits die Messer. Sie will den Bundesratssitz von Widmer-Schlumpf zurückerobern und hat eine Findungskommission mit der Kandidatensuche beauftragt. Doch abgerechnet wird bekanntlich erst am Schluss, also am 18. Oktober.