Anlass zu Diskussionen gab gestern eine unerwartete Absenz. Der Baselbieter Staatsanwalt Stefan Fraefel, welcher die Ermittlungen im Fall des Kickbox-Überfalls von Beginn weg über dreieinhalb Jahre leitete und die Anklageschrift verfasste, blieb dem gestrigen Prozessauftakt fern. An seiner Stelle vertraten der Leitende Staatsanwalt Boris Sokoloff, Fraefels Chef, und Evelyn Kern die Anklage. Fraefel ist seit Ende März bis auf unbestimmte Zeit krank geschrieben. Vor Gericht kursierten schnell Begriffe wie «ausgepowert» und «Burnout».
Bereits während den langwierigen Untersuchungen war Fraefel immer wieder kritisiert worden, namentlich von der Seite von Shemsi Beqiri. Der Kickboxer, der als Hauptgeschädigter im Fall als Privatkläger auftritt, hatte im Frühjahr 2017 in einem halbseitigen Inserat in der «BaZ» schwere Vorwürfe gegen den Staatsanwalt erhoben. Dieser hege persönliche Animositäten gegen ihn. Statt das Verfahren voranzutreiben, verdächtige er ihn und seinen Anwalt Jascha Schneider, vertrauliche Verfahrensakten an die Medien weiterzugeben.
Die Staatsanwaltschaft erklärte gestern, die Absenz von Fraefel rechtzeitig dem Gericht mitgeteilt zu haben. Die Rechtsvertreter allerdings erfuhren offenbar erst vor kurzem vom Wechsel. Dies sorgte dann auch für Kritik sowohl von Verteidigern wie auch Opfervertretern. Mehrere Verteidiger warfen die Frage auf, ob sich Fraefel nicht selber aus der Schusslinie nehmen wolle.
Sehr deutliche Worte fand auch Jascha Schneider, der Anwalt von Beqiri: «Die Glaubwürdigkeit der Baselbieter Justiz steht auf dem Spiel. Wir hoffen, dass der Prozess korrekt untersucht und durchgeführt wird, und die Täter eine gerechte Strafe erhalten.» Alles andere müsste zu personellen Konsequenzen innerhalb der Baselbieter Justiz führen. «Die Personalie der Ersten Staatsanwältin würde zur Diskussion stehen. Ihr Schicksal steht und fällt mit dem Ausgang dieses Prozesses», sagte Schneider.
Der verantwortliche Staatsanwalt sei von heute auf morgen verschwunden. «Wir können nicht nachvollziehen, dass sich die Erste Staatsanwältin in einer solchen Situation versteckt. So etwas ist Chefsache. Letztendlich trägt die Erste Staatsanwältin die Verantwortung für die Untersuchung. Es entsteht der Eindruck, dass sie es vorzieht im grössten Prozess, den die Baselbieter Justiz je erlebt hat, ihre Mitarbeiter vorzuschieben.» Unabhängig wie das Verfahren ausgeht: Er erwarte, dass die Qualität der Staatsanwaltschaft und vor allem die Führungsfähigkeit der Ersten Staatsanwältin vom Parlament untersucht werden, so Schneider.
Der Leitende Staatsanwalt stellte sich vor seinen Angestellten: Die Kritik der Verteidiger an seinem Mitarbeiter nannte Sokoloff «persönliche, respektlose und diffamierende Angriffe.» Es werde von Staatsanwälten erwartet, dass sie auch einen Kollegen vertreten können. «Ich habe von Anfang an in diesem Verfahren mitgewirkt, mitgecoacht und meine Mitarbeiter beraten.» Zudem werde keine Anklage ans Gericht überwiesen, ohne dass es mit ihm abgesprochen sei. (bzbasel.ch)