Seit die AZ am Freitagmorgen publik gemacht hat, dass SVP-Gemeindeammann Andreas Glarner ein anonymes Flugblatt gegen die Aufnahme von Asylbewerbern in Oberwil-Lieli drucken liess, hagelt es Kritik. Glarner wird in den Kommentarspalten von Onlineportalen, aber auch auf Facebook und Twitter teilweise heftig angegriffen für seine Heimlichtuerei.
Johanna Gündel, die an der Gemeindeversammlung den Antrag zur Aufnahme von Asylbewerbern durchgebracht hatte, ist nicht überrascht, dass Glarner hinter dem anonymen Flugblatt steckt.
«Ich finde es traurig, dass man das offizielle Publikationsorgan der Gemeinde dafür braucht und nicht einmal mit Namen zu seiner Meinung steht», sagt sie auf Anfrage. Gündel, die von der 50-köpfigen IG für ein solidarisches Oberwil-Lieli unterstützt wird, sagt weiter: «Als wir das Flugblatt gelesen haben, vermuteten wir schon, dass es von Herrn Glarner stammt. Darin sind genau seine Argumente gegen die Aufnahme von Asylbewerbern aufgelistet, deshalb war dies naheliegend.»
Zuvor musste Glarner bereits Kritik dafür einstecken, weil er Widersacherin Gündel mit einer Klage gedroht hatte. Die 24-jährige Studentin, deren Antrag zur Aufnahme von Asylbewerbern von der Gemeindeversammlung angenommen wurde, soll bis Montag ihre Aussagen belegen, dass der Gemeinderat von Oberwil-Lieli reiche Einwohner bevorzugt behandle.
Doch der SVP-Politiker lässt sich von der öffentlichen Kritik offensichtlich nicht beeindrucken und teilt weiter aus. Am Freitagmorgen postete er auf Facebook ein Foto von SP-Nationalrätin Jacqueline Badran, die während einer Debatte im Bundeshaus schlief. Glarners Kommentar dazu: «Wenn Roger Köppel im Nationalratssaal arbeitet, wird dies von den Medien kritisiert. Hier seht ihr, was die Sozialistin Badran so macht: ein Nickerchen für CHF 440.- Tagessitzungsgeld.»
Wennn Roger Köppel im Nationalratssaal arbeitet, wird dies von den Medien kritisert. Hier seht Ihr, was die Sozialistin...
Posted by Andreas Glarner on Donnerstag, 10. Dezember 2015
Ausgerechnet die SP Aargau verschickte ein paar Stunden später einen offenen Brief an Glarner und den Gemeinderat von Oberwil-Lieli. Darin kritisiert Co-Präsident und Nationalrat Cédric Wermuth die Klagedrohung gegen Johanna Gündel scharf.
«Den Versuch, von einer Bürgerin Ihrer Gemeinde die Rücknahme einer politischen Aussage zu fordern und ihr per Zeitung mit einer Anzeige zu drohen, erachten wir als unerhörte Frechheit und als krassen Missbrauch Ihres Amtes.»
Wermuth verweist auf die Kantonsverfassung, welche die freie Meinungsäusserung garantiere und Zensur untersage. Und er wirft Glarner vor: «Ihr antidemokratisches Vorgehen gegen Frau Gündel rüttelt am Grundvertrauen in unsere demokratischen Behörden und macht Sie als Garanten dieser Rechte unglaubwürdig.»
Die SP Aargau fordert deshalb den Gemeinderat von Oberwil-Lieli auf, den «unverschämten Zensurversuch sofort zurückzunehmen und sich in aller Form bei Frau Gündel und der Öffentlichkeit zu entschuldigen».
Johanna Gündel freut sich über den offenen Brief. «Es ist schön, solchen Support zu erfahren – und das auch von Leuten, die mich persönlich nicht kennen, sondern sich der Sache halber einsetzen», sagt sie auf Anfrage.
Auch sonst habe sie viel Solidarität erfahren. «In den letzten Tagen haben mir viele Leute die Unterstützung ausgesprochen, geeignete Anwälte empfohlen oder angeboten, für die Kosten eines möglichen Rechtsverfahrens Geld zu spenden oder zu sammeln.»
Gündel kam erst am Freitagabend von ihrem Studienort Basel nach Hause und sagte, sie werde danach das Einschreiben in Empfang nehmen. «Dann werde ich dieses mit einem Juristen besprechen und gemeinsam mit ihm entscheiden, wie ich darauf reagiere», sagt sie. Der Gemeinderat hat Gündel aufgefordert, bis Montag ihre Aussagen zur angeblichen Bevorzugung von Reichen mit Beispielen zu belegen oder zu widerrufen.
Glarner wehrt sich gegen die SP-Vorwürfe. «Das ist absurd, für mich steht die Demokratie über allem, ich habe Frau Gündel an der Gemeindeversammlung sogar geholfen, ihren Antrag korrekt zu formulieren», sagt er. «Cédric Wermuth würde besser dafür schauen, dass seine Parteikollegin im Nationalrat nicht schläft.»
Wie die Nachrichtenagentur SDA am Freitag berichtete, schlief Jacqueline Badran gar nicht, sondern legte den Kopf auf den Tisch, weil sie krank war. Die SP-Nationalrätin selber schrieb auf Twitter, sie habe an einer Erkältung mit heftigen Gliederschmerzen und Schwächeattacken gelitten.
@rolnam dass jacqueline badran krank war, blendet er extra aus
— Michèle Meyer (@rentapwha) 11. Dezember 2015
(aargauerzeitung.ch)