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Coronavirus: Waren Schweizer Soldaten mehr Belastung als Hilfe?

Soldaten eines Hygienezugs des Spitalbataillons der Schweizer Armee reinigen und desinfizieren das alte Bettenhaus des Spitals Frauenfeld, am Dienstag, 24. Maerz 2020, in Frauenfeld. Erst vor vier Woc ...
So arbeiten Armeeangehörige während der Coronakrise.Bild: KEYSTONE

Zu viele Soldaten aufgeboten? Der Coronaeinsatz der Armee und seine Folgen

Während die Armee erste Soldaten nach Hause schickt, beginnt in der Sicherheitspolitik ein Deutungsstreit über die Lehren aus der Krise.
17.04.2020, 06:4817.04.2020, 08:39
lorenz honegger / ch media
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Eine weltweite Pandemie hat sich im Hauptquartier der Armee niemand gewünscht. Das grösste Truppenaufgebot seit dem Zweiten Weltkrieg bietet dem Schweizer Militär aber zweifellos die Gelegenheit, seine Bedeutung als strategische Reserve im Ernstfall unter Beweis zu stellen.

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Tausende Schweizerinnen und Schweizer haben sich freiwillig für einen Einsatz in Uniform gemeldet, auch medial fällt die Resonanz weitgehend positiv aus. Das weckt den Argwohn armeekritischer Kreise.

Zweifel am Nutzen des Einsatzes in den Spitälern

Die politisch links orientierte «Wochenzeitung» berichtete diese Woche unter dem Titel «Mehr Belastung als Hilfe» über unterbeschäftigte Soldaten, die entweder in den Spitälern «rumstehen» oder sich die Zeit in den Kasernen mit Freizeitaktivitäten wie Frisbee-Werfen oder Federball vertreiben.

Ein Sprecher räumte die Überkapazitäten gegenüber der Publikation ein: Zum Zeitpunkt der Teilmobilmachung im März sei schlicht nicht absehbar gewesen, wie rasch und in welchem Ausmass das Gesundheitswesen und die Kantone auf Unterstützung angewiesen sein würden, man habe sich deshalb auf ein Maximalszenario vorbereitet.

Die Armee bestätigt gegenüber CH Media auch den Ausbau des Unterhaltungsangebots in den Kasernen. Aufgrund der bis vor kurzem geltenden Urlaubssperren hätten die eingerückten Armeeangehörigen keine Möglichkeit gehabt, die Freizeit ausserhalb der Unterkünfte zu verbringen. Nun bereitet das Militär seinen Rückzug aus den Spitälern vor.

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Ein Spitalsoldat im Einstaz im Freiburger Spital.Bild: KEYSTONE

Am Donnerstagnachmittag hat das Verteidigungsdepartement bekannt gegeben, dass 300 bis 400 Angehörige der Sanitätstruppen wieder aus dem Assistenzdienst entlassen werden. Falls sich die Lage erneut verschärfen sollte, müssten die Betroffenen innert 24 Stunden wieder einsatzbereit sein.

Während der ursprünglich 5000 Armeeangehörige umfassende Einsatz in geringerem Umfang weiterläuft, hat im Bundeshaus ein Deutungsstreit über die sicherheitspolitischen Konsequenzen der Pandemie begonnen.

Kampfjet-Abstimmung im September

Zeigt die Coronakrise, dass die Schweizer Armee zu stark auf unwahrscheinliche Szenarien wie Panzerkriege und Luftgefechte ausgerichtet ist? Oder ist die weltweite Pandemie Beleg dafür, dass sich die Streitkräfte richtigerweise auch auf schwer vorstellbare Szenarien vorbereiten?

«Die Polemik von links gegen den Armeeeinsatz ist aus meiner Sicht billige Stimmungsmache.»
Thierry Burkart, FDP-Ständerat

Diese Fragen werden die Schweizer Sicherheitspolitik in den nächsten Monaten noch stärker beschäftigen, als sie es schon vor der Pandemie taten: Am 27. September soll die Abstimmung über den Kauf neuer Kampfflugzeuge stattfinden.

Der Aargauer FDP-Ständerat Thierry Burkart rechnet damit, dass der Termin des Urnengangs nicht mehr verschoben wird. Gleichzeitig kritisiert er die «Polemik von links gegen den Armeeeinsatz». Es handle sich um «billige Stimmungsmache», die dazu diene, zu verhindern, dass die Armee in einem zu guten Licht dastehe.

Das Land könne froh sein, dass die Pandemie das Gesundheitswesen weniger stark beanspruche als erwartet. Burkart lässt durchblicken, dass die hohen Ausgaben für wirtschaftliche Rettungspakete im Rahmen der Pandemie den Erklärungsbedarf für die Erneuerung der Luftwaffe im Umfang von sechs Milliarden Franken erhöhen. Es gebe aber aufgrund der Coronakrise keinen Grund, auf neue Kampfflugzeuge zu verzichten, die Bedrohungslage habe sich nicht geändert.

«Die Armee geht von falschen Bedrohungsszenarien aus und setzt Prioritäten völlig falsch.»
Marionna Schlatter, Grünen-Nationalrätin

Diametral anders sieht dies die Zürcher Grünen-Nationalrätin und Sicherheitspolitikerin Marionna Schlatter. Sie habe die Mobilisierung zur Unterstützung des Gesundheitswesens zwar begrüsst, als klar geworden sei, dass eine schwierige Zeit auf das Land zukomme.

Die Politikerin sieht sich aber in ihrer Einschätzung bestätigt, dass die Armee derzeit von falschen Bedrohungsszenarien ausgehe und die Prioritäten «völlig falsch» setze. Das Departement von Bundesrätin Viola Amherd wolle Milliarden Franken für neue Panzer und Kampfjets ausgeben und vernachlässige gleichzeitig Bedrohungen im Klima-, Pandemie- und Cyberbereich.

Die Schweiz müsse aus der Pandemie die richtigen Lehren ziehen. «Statt in Kampfjets stecken wir das Geld beispielsweise lieber in genügend Schutzmaterial für das Gesundheitswesen.»

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109 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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LURCH
17.04.2020 11:48registriert November 2019
Was tut man nicht alles um die Systemrelevanz dieser Hobbytruppe hervorzuheben.
Ganz nach dem Motto:
Keiner hat Gripen, aber alle gehen hin.
Zu viele Soldaten aufgeboten? Der Coronaeinsatz der Armee und seine Folgen
Was tut man nicht alles um die Systemrelevanz dieser Hobbytruppe hervorzuheben.
Ganz nach dem Motto:
Keiner hat Gripen, abe ...
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aye
17.04.2020 07:15registriert Februar 2014
«Stecken wir das Geld beispielsweise lieber in genügend Schutzmaterial für das Gesundheitswesen.»

Gibt es für Schutzmaterial eigentlich keine Pflichtlager wie bei den Lebensmitteln?
Und wenn nein, weiss jemand was dagegen spricht? Nur die Kosten?

Solche Lager sollten ja eigentlich das Problem verhindern, das die Masken usw. in einem Bundeslager rumliegen und ablaufen bevor sie gebraucht werden. (Da immer die ältesten auf den Markt kommen.)
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Butschina
17.04.2020 07:45registriert August 2015
Und wenn plötzlich der Andrang im Gesundheitswesen grösser gewesen wäre und es wären zu wenig Soldaten aufgeboten? Dann wäre es auch ein Fehlentscheid der Armee gewesen. Sie kann es so oder so nicht richtig machen. Seien wir doch dankbar für die Hilfe und glücklich, dass wir keine Zustände wie in Norditalien hatten.
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