Es war am 5. August in diesem ereignisreichen Jahr. Die Badis waren voll, die Gartenbeizen ebenso, und die Schweizerinnen und Schweizer entdeckten in den Ferien ihre Heimat. Genau so, wie es ihnen die Bundesräte auf verschiedensten Kanälen empfohlen hatten. Der Sommer war trotz Covid-19 unbeschwert.
Und just an diesem 5. August sprach Gesundheitsminister Alain Berset in einem Interview über das Skifahren. «Wir wollen uns international koordinieren. Das ist vor allem bei den Skigebieten entscheidend», sagte Berset den zwei Tamedia-Journalisten, die bass erstaunt reagierten.
Der Magistrat schob nach: «Bei den Skigebieten haben wir ein Problem mit der Konkurrenz. Was passiert, wenn Österreich im Dezember seine Skigebiete öffnet und wir in der Schweiz nicht? Das wäre ein Riesenproblem für unseren Tourismus.»
Berset wollte mit den Absprachen die hiesigen Berggebiete vor der ausländischen Konkurrenz mit laxeren Regeln schützen. Was für eine Ironie! Heute sind die Vorzeichen umgekehrt. Die Schweiz steht unter ausländischer Beobachtung. Denn in Deutschland, Frankreich und Italien bleiben die Skigebiete bis am 10. Januar geschlossen. In Österreich bleiben zumindest die Hotels und Restaurants zu, erlaubt sind auf den Skipisten also lediglich Tagestouristen.
Und in der Schweiz: Da wird in diesen Tagen unerbittlich darüber gestritten, unter welchen Bedingungen über die Feiertage Ski gefahren wird. Denn Berset hatte Anfang Woche verschärfte Massnahmen in die Vernehmlassung geschickt. Am Freitag befindet der Bundesrat darüber.
Die bürgerlichen Parteien haben zusammen mit den Branchenverbänden ein eigentliches Powerplay aufgezogen. Höhepunkt war eine Erklärung der Wirtschaftskommission, die heute Donnerstag im Nationalrat verlesen wurde. Im Kern fordern die Bürgerlichen, dass der Bundesrat auf neue Auflagen für die Skigebiete verzichtet.
Die Emotionen gehen hoch. Und das ist verständlich. Zwar ist die Zahl der Skifahrerinnen und Skifahrer stark rückläufig, doch die Schweiz versteht sich immer noch als Skination. Der Wintertourismus mag für die Wirtschaftskraft insgesamt zwar weniger bedeutend sein als etwa in Österreich.
Doch für unsere Berggebiete ist er zentral; viele Arbeitsplätze und Einkommen hängen daran. Selbst in normalen Zeiten sind die Herausforderungen gewaltig. Stichworte dazu sind etwa Klimaerwärmung oder das veränderte Freizeit- und Reiseverhalten. Die Tourismusgebiete müssen sich ohnehin neu erfinden.
Und nun kommt also noch das Virus dazu. Die Schweizer Seilbahnen und Tourismusorganisationen haben in den letzten Monaten viel Energie und Geld aufgewendet, um die Skigebiete coronafest zu machen. Sie haben etwa in Vernebelungsanlagen und UV-Licht investiert, um Anlagen zu desinfizieren, sie verlängern die Betriebszeiten, vergrössern die Anstehräume und treiben die Digitalisierung voran; mit Onlinebuchungssystemen für Gondeln oder Restaurants.
Ja, sie haben viel gemacht, der Frust über allfällige neue Auflagen ist verständlich. Allerdings darf darob nicht vergessen werden: Die Frage ist derzeit nicht, ob Ski gefahren wird, sondern wie. Der Bundesrat muss hier einen gangbaren Weg finden, mit verhältnismässigen Auflagen. Und das zu einem Zeitpunkt, wo die Infektionszahlen auf hohem Niveau stagnieren.
Der Verband der Schweizer Seilbahnen ist vor allem auch verärgert, weil das Bundesamt für Gesundheit Ende Oktober das Schutzkonzept als sehr gut beurteilt hat. Dieses Argument erinnert an die Diskussion um die Grossveranstaltungen. Auch die Sportklubs hatten viel Arbeit und Geld in Schutzkonzepte investiert.
Es ist ein grundlegendes Malaise der Schweizer Coronapolitik: Das Erwartungsmanagement des Bundesrates ist mangelhaft, es fehlt die Verlässlichkeit. So hat sich etwa Wirtschaftsminister Guy Parmelin höchstpersönlich von den Branchenorganisationen für die Kampagne «Die Schweiz fährt Ski» als Schirmherr einspannen lassen. Ob er sich bewusst war, was er damit für ein Signal aussendet und welche Hoffnungen er schürt?
Gewiss, Verlässlichkeit herzustellen, ist einfacher, wenn man eine vorsichtige Strategie wählt. Wie etwa die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bund und Kantone haben sich für eine andere Strategie entschieden, die den Menschen möglichst viel Freiheiten belässt, die Wirtschaft offen hält und auf lokale Gegebenheiten Rücksicht nimmt. Das ist richtig so, auch der Föderalismus hat sich in den letzten Wochen bewährt. Um so anspruchsvoller ist aber die Kommunikation. Hier können sich die politischen Akteure noch steigern. (aargauerzeitung.ch)