Schweiz
Analyse

Rassismus mit Mohrenkopf: Woher das Wort kommt

Mohr und seine Mohrenköpfe
«Der Mohr und seine Mohrenköpfe»: Der junge William an einer Bäckerei-Ausstellung in Zürich.Bild: schweizer illustrierte
Analyse

Du meinst, der «Mohrenkopf» sei unproblematisch? Schau mal, was 1962 in Zürich los war

Die Berichterstattung über einen schwarzen Bäckerlehrling aus Zürich zeigt, wie rassistisch der «Mohrenkopf» ist. Überwunden wurde der Begriff bis heute nicht.
13.06.2020, 11:3413.06.2020, 12:17
Mehr «Schweiz»

Die Gesellschaft diskutiert über Rassismus. Ein positiver Effekt davon ist, dass das Interesse am Thema massiv und messbar angestiegen ist. So haben sich in den letzten Tagen die Aufrufe des Wikipedia-Artikels über «Rassismus» fast verzehnfacht.

In der Schweiz entgleiste letzte Woche diese Diskussion wegen Mohrenköpfen. Ist diese Süssigkeit rassistisch? Ist es richtig, dass die Migros das Produkt aus dem Sortiment wirft? Und kann «Mohrenkopf» überhaupt rassistisch verstanden werden?

Es kamen «Hamburger»-, «Wienerli»-Vergleiche auf. Sogar die «Saumoore» kam als Argument auf. Und immer wieder war der Kommentar zu lesen, man kenne doch einen schwarzen Freund, der gar nichts gegen den Begriff hat.

Mohr und seine Mohrenköpfe
Die «NZZ» publizierte 1962 kurz vor der Internationalen Bäckerei- und Konditorei-Schau dieses rassistische Inserat. Bild: NZZ

Diese Argumente, Gedanken, Einwände sind wichtig, weil sie das Verständnis über Rassismus schärfen. Es sollte aber nicht damit enden, dass die rassistische Herkunft des Begriffs «Mohrenkopf», die auf dem Aussehen der Süssigkeit beruht, geleugnet wird.

Im Juni 1962, ziemlich genau vor 58 Jahren, fand im Zürcher Hallenstadion die mehrtägige Internationale Bäckerei- und Konditoreischau (ESPA) statt. Ziel war, beim Publikum «beruflichen Nachwuchs» zu finden. Neben all den eher langweiligen Präsentationen von Maschinen, Geräten, gab es auch Attraktionen, Süssigkeiten und «Zeltli» für Schulklassen und Feinschmecker. Gross inseriert wurde das wenige Tage vor der Eröffnung in der «NZZ» mit den Worten: «Ein Neger bäckt Mohrenköpfe.»

Das war die Attraktion Nummer 1. Das zeigte sich auch in der Berichterstattung über das, was die Besucherinnen und Besucher beim Blick in die Lehrlingsbäckerei in der Halle 4 erleben konnten.

«Blitzsauber gewandet, demonstrieren jugendliche Berufsanwärter, unter ihnen auch ein junges Mädchen und ein Afrikaner, der sinnigerweise Mohrenköpfe fabriziert, ihr in der dreijährigen Lehrzeit erworbenes Können.»
NZZ, vom 21. Juni 1962

Die Sprache wandelte sich, selbst die «NZZ» käme heute nicht mehr auf die Idee, einen solch verschachtelten Satz zu formulieren, umso mehr kann auf die Aussagekraft jedes einzelnen Wortes, insbesondere von «sinnigerweise» gesetzt werden: Der Afrikaner tut das, was zu ihm passt. Diese Verbindung erkannte auch die «Schweizer Illustrierte», als sie in der Bildlegende vom «Mohr und seinen Mohrenköpfen» berichtete.

Mohr und seine Mohrenköpfe
Die «Schweizer Illustrierte» über Williams Handwerk.Bild: schweizer illustrierte

Gemeint damit war der junge William. Er sei gegen 1960/1961 von Ghana in die Schweiz gekommen, liest man in der «Illustrierten» weiter. Ghana wurde in dieser Zeit von Tag zu Tag immer mehr zur Diktatur. Ob der junge William davor flüchtete, wissen wir nicht.

Was man aber weiss, ist: William lernte rasch und gut Schweizerdeutsch, wurde als einer der «tüchtigsten und fleissigsten Lehrlinge seiner Klasse» bezeichnet.

Das muss man sich wie gesalzenen Schaumzucker auf der Zunge zergehen lassen. Obwohl William die hiesigen Gepflogenheiten wenige Monate nach der Einwanderung übernommen hatte, sich gut verständigen konnte und sogar mit seinem Können um Lehrlinge warb, blieb er der Dunkelhäutige. Der Mohr. Der Neger. Der sinnigerweise Mohrenköpfe macht, weil das zu ihm passt.

1962 gab es also eine Verbindung zwischen dunkelhäutigen Mitmenschen und der Süssigkeit. Sie existierte noch, als dreissig Jahre später der Fribourger Schokokuss-Hersteller Café von Chocolat Villars sich vom «Mohrenkopf»-Begriff verabschiedete und «in aller Stille» zu «Choco-Köpfli» wechselte. In einer Kurzmeldung aus dem Jahr 1992 der Schweizerischen Depeschenagentur ist zu lesen, die Migros habe damals schon erkannt, dass der «Mohrenkopf ausgedient hat».

Und heute, 28 Jahre später, scheinen wir vieles davon vergessen oder verdrängt oder nicht gewusst zu haben. Wer die Hintergründe des «Mohrenkopfs» nicht kennt und unsinnigerweise die Debatte nicht ernst nimmt, der vernebelt dann leider allzu häufig den Streit darüber, was Rassismus bedeutet.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
So nennt man die Schokoküsse in anderen Ländern
1 / 11
So nennt man die Schokoküsse in anderen Ländern
Fangen wir in der Schweiz an. Politisch korrekt heisst das Dessert heutzutage «Schokokuss», die Firma Dubler verkauft das Produkt aber immer noch unter dem Namen «Mohrenkopf».
quelle: keystone / gaetan bally
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Ist das Wort «Mohrenkopf» rassistisch?
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
284 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Rage Dinah
13.06.2020 11:51registriert März 2020
Ich lese aber nicht wirklich abwertendes heraus. War diese bezeichnung damals nicht normal?
Für meinen grossvater war "neger" bis zu seinem tod keine beleidigung, sondern eine bezeichnung wie etwa "indianer".

Nicht falsch verstehen, rassismus IST ein problem. Aber dieser artikel hilft meiner meinung nach nicht wirklich...
1485294
Melden
Zum Kommentar
avatar
Glenn Quagmire
13.06.2020 11:40registriert Juli 2015
Steht William für ein Interview zur Verfügung, lebt der Mann noch in der Schweiz?
83659
Melden
Zum Kommentar
avatar
smartash
13.06.2020 12:32registriert Dezember 2016
Ob ich persönlich den Ausdruck Mohrenkopf als rassistisch ansehe oder nicht, ist die falsche Frage.

Die Frage die wir uns stellen sollten ist: Wie gehen wir mit der Tatsache um, dass viele andere Menschen sich durch diesen Ausdruck verletzt fühlen?
20254
Melden
Zum Kommentar
284
Bundesgericht kippt Entscheid des Schaffhauser Kantonsrats

Niederlage für die bürgerliche Mehrheit im Schaffhauser Kantonsrat: Das Bundesgericht hat einen Parlamentsbeschluss zur Transparenz in der Politikfinanzierung aufgehoben, weil er die Rechte der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger verletzt.

Zur Story