Daran muss man sich erst gewöhnen: Wie ein Keil «bohrt» sich die Fraktion der Grünliberalen im Nationalratssaal in den «Rechtsblock» von FDP und SVP. Die neue Sitzordnung ist ein Abbild der «historischen» Wahl im Oktober. Sie beendete die Dominanz der Rechtsbürgerlichen und bescherte der Schweiz das grünste, weiblichste und wohl auch jüngste Parlament der Geschichte.
Gewöhnen muss man sich deshalb auch an die vielen neuen Gesichter, die am Montag zur Eröffnung der 51. Legislaturperiode der eidgenössischen Räte eingetrudelt waren. Wobei nicht alle ganz neu sind. Ein Comeback gab etwa der Luzerner Grünliberale Roland Fischer. Er war vor vier Jahren als Nationalrat abgewählt worden und ist nun dank dem Grünrutsch zurückgekehrt.
Im Gespräch amüsierte sich Fischer über die Tatsache, dass er in seiner ersten Session über die Beschaffung von Kampfflugzeugen für die Luftwaffe entscheiden muss. Der ehemalige Hauptmann der Fliegerabwehr hatte sich im Abstimmungskampf 2015 als Gegner des Gripen-Kaufs profiliert. Immerhin weiss er im Gegensatz zu anderen Neulingen, wie der Laden läuft.
Die dominierende Gefühlslage am ersten Tag der Wintersession kann mit «angespannter Erwartung» umschrieben werden. Wie wird sich das grünere, weiblichere und jüngere Parlament auf die Politik auswirken? Einen Vorgeschmack gab es, als der Nationalrat nach dem Ende des zeremoniellen Teils mit Ansprachen und Wahlen über die erste konkrete Vorlage der Legislatur beriet.
Es ging um «eine Regelung für transparentes Lobbying im eidgenössischen Parlament», basierend auf einem Vorstoss des früheren SP-Ständerats Didier Berberat. Während die kleine Kammer sich dafür aussprach, weigerte sich der alte Nationalrat im Juni, auf die Vorlage auch nur einzutreten. Weil der Ständerat im Herbst daran festhielt, kam sie am Montag erneut in den Nationalrat.
Ein weiteres Nein hätte den Vorstoss endgültig versenkt. Doch ein halbes Jahr und eine Neuwahl später kam alles anders. Hatte der Nationalrat im Juni mit 103 zu 72 Stimmen Nein gesagt, so stimmte er nun mit 107 zu 66 Stimmen für Eintreten. Symbolträchtiger geht es kaum: Der Nationalrat hat in seiner neuen Besetzung eine faktische Kehrtwende um 180 Grad vollzogen.
Den Ausschlag gab die FDP-Fraktion, deren Mitglieder mehrheitlich die Seiten gewechselt hatten. Über die Gründe rätselten die Befürworter. Lag es an den «Neuen» wie dem 25-jährigen Zürcher Andri Silberschmidt, der als jüngstes Ratsmitglied eine der Eröffnungsreden halten durfte und die Transparenzvorlage unterstützte? Der Sinneswandel ist so oder so bemerkenswert.
Bundesbern tut sich schwer damit, mehr Licht in die Dunkelkammer des Lobbyismus zu bringen. «Bisher hatten Vorstösse, die mehr Transparenz beim Lobbying verlangten, im Parlament praktisch keine Chance», schrieb die NZZ. Dabei zeigt etwa die Auflistung des Solothurner Neo-Nationalrats Felix Wettstein (Grüne), in welchem Ausmass Parlamentarier mit Lobby-Aktivitäten konfrontiert sind.
Die Branche selbst befürwortet schärfere Vorschriften durchaus. Sie leidet unter dem Image der Lobbyisten als klandestine Hinterzimmer-Mauschler, deren Deals einen Beigeschmack von Korruption haben. Denn die grössten Lobbyisten sind häufig Parlamentarier, die sich lukrative Mandate ergattert haben – wovon sich manche «Neulinge» zumindest verbal distanzieren.
Der Entscheid vom Montag ist ein erster Schritt zu mehr Transparenz. Mehr aber auch nicht. Die zuständige Kommission muss nun ein Gesetz erarbeiten. Die Vorgabe des Ständerats ist eher zahnlos. Sie verlangt, dass professionelle Lobbyistinnen und Lobbyisten ihre Auftraggeber bekannt geben. Linke und Grüne verlangen schärfere Vorschriften, etwa eine Akkreditierungspflicht.
Die Gefahr, dass die Vorlage am Ende abstürzt, ist nicht gebannt. Es droht ein Szenario wie vor vier Jahren. Am letzten Tag der Wintersession hatte die SVP/FDP-Mehrheit im Nationalrat damals die Verlängerung des Zulassungsstopps für Ärzte versenkt. Der Schnellschuss, der später korrigiert wurde, erwies sich im Nachhinein als Fanal für das Scheitern der «bürgerlichen Wende».
Dem neuen Parlament könnte es ähnlich ergehen, denn jünger, weiblicher und grüner bedeutet noch keine neue Machtkonstellation. Dies zeigte sich bereits am Dienstag. Die bürgerliche Mehrheit im Nationalrat lehnte es ab, auf eine Vorlage des Bundesrats zur Regulierung des Bauens ausserhalb von Bauzonen einzutreten, gegen den Widerstand von Linken und Grünen.