Mario Fehr ist kein einfacher Mensch. Über seine Dünnhäutigkeit können Politiker und Medienleute ein Liedlein singen. Ein peinliches Beispiel ist die Bierdusche, die ein Anhänger des FC Winterthur dem FCZ-Fan Fehr nach einem Match verpasst hatte. Der SP-Regierungsrat liess ihn polizeilich verfolgen und krebste zurück, als der Täter sich als Sohn einer Partei- und Amtskollegin entpuppte.
Fehr ist auch politisch umstritten, vor allem in seiner Partei. Er befürwortet ein Burkaverbot und betreibt als kantonaler Sicherheitsdirektor nach Ansicht seiner Kritiker eine rechtsbürgerliche Asylpolitik. Wegen der Anschaffung eines Staatstrojaners haben ihn die Juso sogar angezeigt – ein in der Schweizer Politik beispielloser Vorgang. Fehr sistierte zeitweise seine SP-Mitgliedschaft.
Nun könnte Mario Fehr die Quittung erhalten. Am Dienstag befinden die Delegierten der SP-Kantonalpartei über die Kandidaten für die Zürcher Regierungsratswahlen im Frühjahr 2019. Während die «linientreue» Justizdirektorin Jacqueline Fehr unbestritten ist, droht ihrem Namensvetter die ultimative Demütigung in Form einer Nicht-Nominierung für eine weitere Amtszeit.
Die Vorgänge im gewichtigen Kanton Zürich beunruhigen den Präsidenten der SP Schweiz. «Mario Fehr gehört zu uns, er ist seit 20 Jahren eine wichtige Figur der sozialdemokratischen Partei», sagte Christian Levrat am Samstag in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger. Diese Wortmeldung lässt aufhorchen, denn Levrat mischt sich kaum in Belange der Kantonalparteien ein.
«Ein Exekutivpolitiker, der unsere Gesetze vollziehen muss, hat eine andere Aufgabe als etwa ein Parlamentarier oder ein SP-Delegierter», ermahnte der Freiburger die Genossinnen und Genossen in Zürich. Damit verweist Levrat auf ein ewiges Problem der Linken: Sie ist hin- und hergerissen zwischen ihren Idealen und den Erfordernissen der Realpolitik.
Das ist kein schweizerisches Phänomen. Die deutschen Sozialdemokraten hadern auch nach 15 Jahren mit der Agenda 2010 ihres früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Eine pragmatische Politik erfordert Kompromisse. In der Schweiz kann die SP ihre Anliegen höchstens in den Städten im Alleingang durchbringen. Sie braucht in der Regel Unterstützung aus der politischen Mitte.
Mario Fehr beherrscht diesen Pragmatismus perfekt. Er ist gemäss dem NZZ-Politbarometer vom März 2017 der bekannteste und beliebteste aller Zürcher Regierungsräte. Der linke SP-Flügel aber zieht im Zweifelsfall die «reine Lehre» vor, auch um den Preis einer Niederlage. Das bringt Levrat in den Clinch. Er kommt ebenfalls von links, orientiert sich aber als Parteichef und Ständerat am Machbaren.
Je stärker die SP bei Wahlen abschneidet, umso besser kann sie die politische Arbeit prägen. Das gilt gerade für den Ständerat, wo die SP so stark ist wie noch nie und von einer einflusslosen Randgruppe zu einem Machtfaktor geworden ist. In der Deutschschweiz aber hat sie bei Wahlen in die kleine Kammer fast nur mit Politikern wie Daniel Jositsch oder Pascale Bruderer eine Chance, die ein gemässigtes Profil aufweisen. Ausnahmen wie der St.Galler Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner bestätigen die Regel.
Bei den Wahlen 2019 droht der SP ein Aderlass, mehrere Ständeräte könnten aus Altergründen zurücktreten. Für Pascale Bruderer wäre dies kein Problem, dennoch will die beliebte Aargauerin aufhören. Ihr Sitz dürfte für das linksgrüne Lager verloren sein, denn in ihrem Kanton gibt es nur eine Persönlichkeit mit einer ähnlichen Breitenwirkung: Die frühere grüne Regierungsrätin Susanne Hochuli. Sie hat eine Rückkehr in die aktive Politik bereits ausgeschlossen.
Ein Affront gegenüber Mario Fehr könnte Bewerber mit einem ähnlichen Profil abschrecken. Christian Levrat verweist im Interview auf Bundesrätin Simonetta Sommaruga, deren Asylpolitik häufig von links kritisiert wird und mit der die SP trotzdem ein gutes Verhältnis habe. Und selbst Fehrs Gegner attestieren ihm, dass er in der Sozialpolitik – die in Zürich bei der Sicherheitsdirektion angesiedelt ist – durchaus auf Parteilinie agiert.
Trotzdem steht seine Nominierung auf der Kippe. Daran trägt das Co-Präsidium der Zürcher SP eine Mitschuld. In einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» verweigerten Nationalrätin Priska Seiler Graf und Kantonsrat Andreas Daurù eine Wahlempfehlung für Mario und Jacqueline Fehr. Zudem behaupteten sie, Mario Fehr werde «nicht kandieren», wenn ihn die Delegierten abweisen.
Doch Fehr will anscheinend nur nicht für eine andere Partei antreten. Eine «wilde» Kandidatur als Parteiloser könnte sich der 59-Jährige offenbar vorstellen, mit angesichts seiner Popularität mehr als berechtigten Wahlchancen. Der SP hingegen droht der Verlust eines ihrer beiden Sitze im Zürcher Regierungsrat, was Fehrs Gegner auf dem linken Flügel nicht zu stören scheint.
Eine Prognose ist schwierig, niemand will sich im Vorfeld der Delegiertenversammlung am Dienstagabend in die Karten schauen lassen. Für Christian Levrat ist klar, dass die Zürcher die ideologische «Reinheit» der Realpolitik unterordnen sollten: «Wenn ich selbst Delegierter wäre, würde ich ihn erneut als Regierungsratskandidaten nominieren», sagte er dem «Tages-Anzeiger».