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Die SVP bezeichnet sich als Partei, die Klartext spricht. Ihre Parteizeitung trägt sogar diesen Namen. Bei Themen wie Ausländer- und Europapolitik ist dies zweifellos der Fall, da können ihre Wortmeldungen nicht deftig genug ausfallen. Schwieriger wird es in Bereichen, in denen man nicht so einfach punkten kann. Und ganz schwierig wird es beim Thema Altersvorsorge.
Sie wird die Schweizer Politik im kommenden Monat doppelt beschäftigen. Am 25. September wird über die Volksinitiative «AHV plus» abgestimmt. Sie verlangt eine lineare Erhöhung der AHV-Renten um 10 Prozent. Und in der folgenden Woche berät der Nationalrat in der Herbstsession über das Reformprojekt Altersvorsorge 2020. Der erhoffte grosse Wurf zur Sicherung von AHV und Pensionskassen könnte mit einem Scherbenhaufen enden.
Die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) des Nationalrats brütete 55 Stunden über dem komplexen Geschäft und produzierte am Ende eine Vorlage, die von der Linken als «Rentenmassaker» attackiert wird: Ja zur Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre, falls die AHV in Schieflage gerät. Ja zur Senkung des BVG-Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent, was zu deutlich tieferen Pensionskassenrenten führen wird. Die vom Ständerat als Kompensation beschlossene Erhöhung der AHV-Renten um 70 Franken lehnte die Nationalratskommission ab.
Richtig zufrieden scheint keine Partei zu sein. Selbst die FDP, die den Beratungen ihren Stempel aufgedrückt hatte, hielt in einer Mitteilung fest, die Reform sei «noch lange nicht am Ziel». CVP, SP und Grüne übten teilweise scharfe Kritik. Überhaupt nicht gemeldet hat sich die grösste Partei. Die Vertreter der SVP in der SGK spielten eine eigenartige Rolle. Sie trugen die harte Linie mit und gingen teilweise darüber hinaus. So lehnten sie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zugunsten der AHV ab. Als am Ende jedoch über das Gesamtpaket abgestimmt wurde, enthielten sie sich.
Dieses zwiespältige Verhalten passt so gar nicht zum Anspruch der SVP, eine geradlinige Politik zu betreiben. Wirklich überrascht aber ist niemand. Bei den Altersrenten klafft in der Partei ein tiefer Graben zwischen der «Classe Politique» und dem Volk. Hier die neoliberalen Politiker, die für harte Reformen einstehen, dort eine sozialkonservative Wählerschaft, die sich an den Besitzstand klammert und von einem höheren AHV-Alter nichts wissen will.
Dies belegt eine Studie der Universität Zürich, über die das «St.Galler Tagblatt» berichtete. Die schrittweise Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre stosse bei SVP-Wählern genauso auf Widerstand wie die Senkung des Umwandlungssatzes in der zweiten Säule. «Es wäre bei diesem Thema nicht das erste Mal, dass sich die SVP-Basis gegen die Partei stellt», schrieb die Zeitung. Bei der BVG-Abstimmung 2010 gab die Partei die Ja-Parole aus. Ihre Wählerschaft votierte im Gleichschritt mit dem Stimmvolk zu 73 Prozent mit Nein.
Entsprechend verärgert äussern sich SGK-Mitglieder. «Es ist wirklich verrückt: Die SVP-Führung weiss genau, dass ihre Basis das Rentenalter 67 niemals akzeptieren würde – und trotzdem kommt sie mit solchen Vorschlägen», sagte die Aargauer Nationalrätin Ruth Humbel (CVP) dem Tages-Anzeiger. Der Zürcher SVP-Nationalrat Jürg Stahl räumt ein, es handle sich um ein schwieriges Thema, das seine Partei zum Spagat zwinge: «Die AHV ist wichtig für unsere Basis.»
Die Klientel der SVP müsse im Alter häufig mit wenig auskommen, erklärt SGK-Mitglied und Drogist Stahl. «Viele haben kaum mehr als die AHV und allenfalls eine kleine Pensionskassen-Rente, weil sie vom Obligatorium bei der zweiten Säule nur eingeschränkt profitiert haben.» Gleichzeitig seien Reformen bei der Altersvorsorge nötig, «denn der Rentenbezug dauert immer länger». Man müsse auch für die nachfolgenden Generation sorgen, meint Stahl.
Wie wichtig die AHV für die SVP-Anhängerschaft ist, zeigt auch die relativ hohe Zustimmung in den Umfragen zur Initiative «AHV plus». Wer im Alter von nicht viel mehr als der AHV leben muss, freut sich über eine Rentenerhöhung um 10 Prozent. Ein Ja an der Urne ist trotzdem wenig wahrscheinlich. Das Stimmvolk hat in der Vergangenheit solchen Anliegen fast immer eine Absage erteilt. Mindestens so allergisch reagiert es jedoch auf das Thema «Rentenklau».
Das macht die Beratungen über das Grossprojekt von Bundesrat Alain Berset zur Zitterpartie. Kaum eine Chance hat das Rentenalter 67. Es stehe «nicht zur Diskussion», sagt Jürg Stahl. Auch sein Parteikollege Ulrich Giezendanner, ebenfalls Mitglied der SGK, hat der Rente mit 67 in der «Aargauer Zeitung» eine Absage erteilt. Heikler ist die Senkung des Umwandlungssatzes.
Sie führt wie erwähnt zu tieferen Renten – ein «Killerargument» in einer möglichen Volksabstimmung, vor dem auch der Arbeitgeberverband eindringlich warnt. «Unser Ziel ist die Erhaltung des heutigen Rentenniveaus», sagt die Zürcher FDP-Nationalrätin Regine Sauter. Dem Vorschlag des Ständerats – 70 Franken mehr bei der AHV – erteilt sie jedoch eine Absage: «Wir wollen keine Vermischung der beiden Säulen. Sie müssen jede für sich finanzierbar sein.»
Noch scheint ein Ausweg aus diesem Dilemma nicht in Sicht. Dem «grossen Wurf» droht deshalb der Totalabsturz, vor dem die FDP selber warnt. Die letzte AHV-Revision scheiterte 2010 bereits im Parlament an einer «unheiligen Allianz» aus Rotgrün und SVP. Die Altersvorsorge ist längst zum Sinnbild für die Reformstarre in der Schweizer Politik geworden. Die letzte erfolgreiche AHV-Reform liegt 21 Jahre zurück, sie brachte unter anderem das Frauenrentenalter 64.
Im bürgerlichen Lager hofft man, dass der Reformdruck vor allem von Seiten der Jungen, die für immer mehr Alte zahlen müssen, irgendwann gross genug ist. Jürg Stahl will nicht darauf warten: «Wir müssen mit unserer Basis in den Dialog treten», sagt der SVP-Nationalrat. Wirklich fürchten muss die SVP einen Liebesentzug ihrer Wählerschaft aber nicht, so lange sie in der Ausländer- und Europapolitik weiterhin «Klartext» spricht.