Ein Urteil des Bundesgerichts wirft hohe Wellen. Zahlreiche ausländische Medien vermeldeten den Entscheid der Lausanner Richter, wonach der Hitlergruss in der Öffentlichkeit nicht unter allen Umständen verboten ist. Nur wer mit der Geste für den Nationalsozialismus wirbt, verstösst gegen das Antirassismusgesetz.
Konkret ging es um einen Mann, der im August 2010 an einer Veranstaltung der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) auf dem Rütli während rund 20 Sekunden den Arm zum Hitlergruss erhoben hatte. Es habe sich um eine Geste unter Gleichgesinnten gehandelt, befand das Bundesgericht.
Während Neonazis das Urteil als «Sieg für die Freiheit» bejubelten, reagierten Politiker empört und forderten ein Verbot von Nazi-Symbolen. Ein solches hat der Nationalrat vor drei Jahren abgelehnt. Scharf kommentierten einige Medien: Der «Blick» bezeichnete das Verdikt als «Schande für die Schweiz». Und der «Tages-Anzeiger» befand in seiner Analyse: «Im Zweifel gegen die Nazis».
Sie liegen falsch. «Im Zweifel für die Meinungsfreiheit», müsste der Befund lauten. Und das Urteil ist keine Schande, sondern ein richtiges und wichtiges Signal.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Der Hitlergruss ist ein widerwärtige Geste, er steht für eine furchtbare Ideologie. Aber das ist kein Grund, die Meinungsfreiheit einzuschränken. Sie ist unerlässlicher Bestandteil einer liberalen Gesellschaft. Echte Freiheit herrscht nur dann, wenn man seine Meinung ohne Angst vor staatlicher Verfolgung äussern kann – und zwar auch, wenn man damit aneckt. Gerade Medienschaffende sollten sich dessen bewusst sein.
Die 1994 vom Volk angenommene Antirassismus-Strafnorm ist deshalb ein problematisches Vehikel. Sie basiert auf der Vorstellung, man müsse das schwache Wesen Mensch vor aller Unbill des Lebens bewahren. Was im Fall von körperlicher Gewalt und Gefährdung der Gesundheit seine Berechtigung hat, ist bei der Meinungsäusserung fragwürdig.
Persönliche Verunglimpfungen sollten strafbar sein, nicht aber Manifestationen allgemeiner Art. In den USA wird dieses Prinzip durch die Verfassung geschützt. Rassismus muss mit Aufklärung bekämpft werden, nicht mit Paragrafen.
Man muss den Gerichten zugute halten, dass sie die Strafnorm mit Augenmass anwenden. In den letzten 20 Jahren haben sie den Rahmen des Zulässigen stets ausgeweitet. Das Urteil vom Mittwoch ist auf dieser Linie. Es wird hoffentlich Signalwirkung haben, nicht zuletzt auf die drei «Komiker»-Fälle, die zu Jahresbeginn in die Schlagzeilen gerieten. Und die selbst bei vielen Leuten für Kopfschütteln sorgten, die ansonsten das Antirassismusgesetz befürworten.
Der Journalist und Rechtsextremismus-Kenner Hans Stutz hat das Hitlergruss-Urteil gegenüber der Nachrichtenagentur SDA wohltuend sachlich kommentiert. In der Schweiz müsse nicht mit Aufmärschen von Neonazis gerechnet werden. Wer sich öffentlich zu Hitler bekenne, gerate unter grossen gesellschaftlichen Druck, er riskiere den Verlust der Arbeitsstelle.
Wie dieser Mechanismus funktioniert, zeigt der Fall eines ehemaligen Stadtzürcher SVP-Schulpflegers, der vor zwei Jahren auf Twitter verbreitete, es brauche vielleicht «wieder eine Kristallnacht ... diesmal für Moscheen». Ein Sturm der Entrüstung brach über ihn herein, er verlor seinen Job, wurde aus der Partei ausgeschlossen und ausgegrenzt.
Am Montag wurde der «Kristallnacht-Twitterer» vom Bezirksgericht Uster wegen Rassendiskriminierung zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Es wäre nicht nötig gewesen: Die Gesellschaft hat das Urteil über ihn bereits gefällt.