Nach dem Urteil des Bundesgerichts zum «Hitlergruss» muss in der Schweiz nicht mit Aufmärschen von Neonazis gerechnet werden. Die rechtsextreme Szene wirke in der Schweiz eher im Verborgenen, sagte der Journalist und Rechtsextremismus-Beobachter Hans Stutz.
Zu erwarten sei aber, dass bei den Veranstaltungen der rechtsextremen Szene öfter einer oder mehrere Hitlergrüsse zu sehen sein würden. Die Bundesrichter hatten in ihrem am Mittwoch veröffentlichten Urteil entschieden, dass der Hitlergruss in der Öffentlichkeit nicht immer verboten ist.
Wegen Rassendiskriminierung strafbar mache sich nur, wer mit dem Hitlergruss für den Nationalsozialismus werbe, präzisieren die Richter. «Damit folgen die Richter der herrschenden Lehre», sagte Stutz.
«Sie haben damit den Tatbestand ‹Verbreiten› in der Antirassismusstrafnorm so stark eingeengt, dass weder der Hitlergruss noch Heil-Hitler-Rufe kaum noch als ‹Verbreiten einer Ideologie› gelten werden.» Die Hürden für eine Verurteilung seien hoch.
Auf einer rechtsextremen Westschweizer Website wurde das Urteil aus Lausanne am Mittwoch bereits als «Sieg für die Freiheit» bejubelt.
Nach diesem Urteil dürfte es gemäss Stutz selbst dann nicht strafbar sein, wenn eine ganze Gruppe Neonazis in der Öffentlichkeit den Hitlergruss zur Selbstbestätigung zeige - auch vor Familien, die auf dem Rütli picknickten.
Trotz dieses Urteils rechnet er aber nicht mit mehr Zwischenfällen. Denn werden die Beteiligten beim Hitlergruss fotografiert und die Bilder veröffentlicht, geraten sie unter grossen gesellschaftlichen Druck. Wer sich öffentlich zu Hitler bekenne, riskiere zum Beispiel den Verlust der Arbeitsstelle.
Beurteilt hatten die Richter den Fall eines Mannes, der am 8. August 2010 an einer Veranstaltung der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS) auf dem Rütli den Hitlergruss während 20 Sekunden gezeigt hatte. Die Geste war auch für anwesende Polizeiangehörige und Spaziergänger sichtbar.
Die Kantonspolizei Uri, die das Ganze auf Kamera festgehalten hatte, zeigte den Mann an. Das Urner Obergericht verurteilte ihn in zweiter Instanz wegen Rassendiskriminierung zu einer Geldstrafe von zehn Tagessätzen zu 50 Franken bedingt und einer Busse von 300 Franken.
Jetzt hat das Bundesgericht das Urteil aufgehoben. Die Begründung: Der Mann habe mit seiner Geste nur seine Gesinnung kundgetan und damit nicht versucht, andere für das nationalsozialistische Gedankengut zu gewinnen. Damit habe er sich nicht strafbar gemacht.
Das Urteil des Bundesgerichtes polarisiert naturgemäss. Während viele Organisationen und Privatpersonen mit Unverständnis reagieren, gibt es in der vermeintlichen Anonymität der sozialen Medien auch Personen, die sich darüber freuen.
@PeterBurkhardt Das können wohl nur Juristen verstehen. @_Wochenblatt
— Hansruedi Widmer (@HansruediWidmer) 21. Mai 2014
*Liebe* #Bundesrichter, ein #Hitlergruss ist für alle anständigen Menschen eine #Beleidigung. Für Euch nicht. Was seid Ihr? Schämt Euch.
— Laurens van Rooijen (@bikejourno) 21. Mai 2014
Der #Hitlergruss ist nicht verboten http://t.co/Za14tlnGuz #Schweiz @NZZ
— The Israel Company (@israel_flash) 21. Mai 2014
"#Sauausländer", "#Drecksasylant" und das Zeigen des #Hitlergruß gelten in der #Schweiz nicht als rassistisch. Bedenkliche #Demokratie
— Vincent (@LocoVincent) 21. Mai 2014
Das mache die Geste noch lange nicht akzeptabel, sagte die Präsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR), Martine Brunschwig Graf. «Das Urteil bedeutet nur, dass es juristisch keine Handhabe gegen den Hitlergruss gibt», so Brunschwig Graf.
Die Frage, ob die Öffentlichkeit beteiligt war oder nicht, sei der Knackpunkt der Antirassismusstrafnorm, sagte Brunschwig Graf. Sie glaube aber nicht, dass die Schweizerinnen und Schweizer derzeit einverstanden damit wären, die Strafnorm auch auf den nicht-öffentlichen Bereich auszudehnen.
Die Versuche, gegen rassistisches oder nationalsozialistisches Gedankengut vorzugehen, scheiterten regelmässig. So verzichteten Bundesrat und Parlament vor knapp drei Jahren auf ein Verbot von Nazisymbolen. (tvr/dwi/sda)