Kaum stand fest, dass Alain Bersets Rentenreform eine Bruchlandung erleidet, entbrannte in Bundesbern der nächste Streit. Wie weiter?, lautete die Preisfrage. Denn zu den Siegern der gestrigen Abstimmung gehören die JUSO genauso wie die SVP, linke Gewerkschafter genauso wie die FDP. Sie alle hatten die Rentenreform bekämpft – wenn auch aus diametral unterschiedlichen Gründen.
Entsprechend schwierig gestaltet sich nun auch die Suche nach einem Plan B – wie mehrere Twitter-User nicht ohne Häme bemerkten.
Elefantenrunde: Es zeigt sich schon jetzt - ALLE verstehen unter dem 'Nein' etwas anderes! Tschüss Konsens und Plan B! 😏 Forget it! #AV2020
— Peter A. Brügger (@pbruegger) 24. September 2017
Jene, die GEGEN Frauenrentenalter 65 sind, und jene, die FÜR Rentenalter 67 sind, machen dann zusammen eine neue #Rentenreform?! 🤔🙄😅#AV2020
— David Stampfli (@David_Stampfli) 21. September 2017
Bereits kursieren teilweise extreme Lösungsvorschläge, deren Stossrichtungen himmelweit auseinandergehen:
Eine AHV-Schuldenbremse «mit schrittweise höherem Rentenalter» sei jetzt «zwingend»: Mit dieser Aussage provozierte der Schweizerische Gewerbeverband die Verlierer der Abstimmung bereits am frühen Sonntagnachmittag auf Twitter.
Diese reagierten postwendend: «Neoliberaler @gewerbeverband lässt Katze aus dem Sack und fordert Rentenalter 67. So nicht!», twitterte etwa der Co-Präsident der Jungen Grünen, Luzian Franzini.
Neoliberaler @gewerbeverband lässt Katze aus dem Sack und fordert Rentenalter 67. So nicht! #av2020 #abst17
— Luzian Franzini (@luzian_franzini) 24. September 2017
Im Gespräch mit watson präzisiert Hans-Ulrich Bigler, FDP-Nationalrat und Direktor des Gewerbeverbands: «In einem ersten Schritt müssten AHV und Pensionskassen getrennt reformiert werden. Bei der AHV mittels Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre und eine moderate Anpassung des Mehrwertsteuersatzes – bei der BVG muss der Umwandlungssatz auf 6 Prozent sinken.» Damit soll das Finanzierungsproblem der Sozialversicherungen für die nahe Zukunft gelöst werden.
Erst in einem zweiten Schritt gelte es sicherzustellen, dass sich die Sozialversicherungen langfristig nicht mehr verschulden können, so Bigler. «Dafür sind Interventionsmechanismen nötig, mit denen man in kleinen Schritten am Rentenalter schrauben kann.» Vom Szenario Rentenalter 67, das linke Gegner an die Wand malen, sei man aber noch weit entfernt.
Dass die bürgerlichen Sieger zumindest mit dieser Option liebäugeln, zeigt ein Blick in die Wahlhilfe Smartvote. Nicht nur Bigler gab vor den Wahlen 2015 an, eine «Erhöhung des Rentenalters für Frauen und Männer (z.B. auf 67 Jahre)» zu befürworten. Auch FDP-Chefin Petra Gössi und SVP-Präsident Albert Rösti sowie viele Mitglieder ihrer Fraktionen drückten den entsprechenden Button.
Ein radikaler Vorschlag kommt von den Jungsozialisten: Sie möchte die zweite Säule in der Altersvorsorge komplett streichen, die sich gemäss JUSO-Präsidentin Tamara Funiciello schon lange in der Krise befindet. «Mit der zweiten Säule wird Geld gescheffelt, das nicht an die Rentnerinnen und Rentner geht.»
Sie führt weiter aus: «Wir sprechen von einer monatlichen Rente von über 4000 Franken für alle, wenn wir das Geld von der zweiten Säule in die erste umverteilen.» Damit würden sich alle zusätzlichen Massnahmen erübrigen, ist die JUSO-Chefin überzeugt und die Rente wäre gerettet.
Die JUSO steht mit ihrem Vorschlag nicht alleine da. Die Partei der Arbeit (PDA) hat die Idee schon länger geäussert und hat eine praktisch pfannenfertige Volksinitiative in der Schublade. Diese verlangt, dass der obligatorische Teil der zweiten Säule in den AHV-Topf umverteilt wird. Zudem sollen die AHV-Mindestrenten von 1175 auf 4000 Franken erhöht werden und die Maximalrente von 2350 auf 6000 Franken.
Eine Abschaffung der zweiten Säule war auch schon Thema in einer Fragestunde im Parlament. Dabei warnte SP-Bundesrat Alain Berset vor einem solchen Umbau. Die volkswirtschaftlichen Auswirkungen seien kaum absehbar und die Rentenrevolution könnte das Vertrauen in die volks- und finanzwirtschaftliche Stabilität der Schweiz erschüttern.
Eine Art Mini-Lösung stellt dieser Vorschlag dar: Die Mehrwertsteuererhöhung, die das Stimmvolk gestern ebenfalls abgelehnt hat, soll nochmals vors Volk kommen – dieses Mal allerdings «nackt», also ohne Kopplung an eine Erhöhung der AHV. Die neue Reform bestünde also rein in einer Erhöhung der Mehrwertsteuer von 8 auf 8,3 Prozent.
Ein Verfechter dieser Lösung ist der Grüne Fraktionschef Balthasar Glättli. «Dies wäre wie ein Notoperation, um den AHV-Topf zu retten und ein paar Jahre zu gewinnen», sagt er. Dies verschaffte dem Parlament etwas Luft, um den nächsten Kompromiss anzustreben.
Der Vorschlag werde sicher im Parlament aufgenommen, sagt CVP-Ständerat Konrad Graber. «Wobei, nachhaltig ist sie nicht.» Und JUSO-Chefin Tamara Funiciello meint: «Vielleicht ist dies wirklich eine gute Übergangslösung.» Und fügt dann an: «Auch wenn es nicht das Gelbe vom Ei ist.»